Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Wil van Iersel

Aktuelle Aufführungen

Schwarzes Seelengemälde

MACBETH
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
27. November 2016
(Premiere am 13. November 2016)

 

 

Theater Aachen

Der Erfolg sei Kazem Abdullah in seiner letzten Spielzeit als Aachens Generalmusikdirektor gegönnt: Eine Produktion von Verdis Macbeth, die sich musikalisch und szenisch in nahezu allen Punkten sehen und hören lassen kann. Über die Gründe, warum Abdullah nach nur fünf Jahren die Kaiserstadt verlässt, schweigt sich der Amerikaner bis heute aus. Es ist aber nicht zu übersehen, dass er sich in Aachen nie wirklich heimisch gefühlt hat. Und der Schatten seines kontaktfreudigen Vorgängers Marcus Bosch wirkt im Bewusstsein der Besucher noch immer nach.

Von dieser Situation ist in der aktuellen Neuproduktion von Verdis erster Shakespeare-Oper nichts zu spüren. Tobias Heyder, Spielleiter an der Frankfurter Oper, der noch im Sommer mit einer spartanisch ausgestatteten, aber hoch konzentrierten Inszenierung von Verdis Oberto bei den Heidenheimer Opernfestspielen unter der musikalischen Leitung von Marcus Bosch für einen Überraschungserfolg sorgte, bleibt auch in Aachen seiner Devise treu, mehr ins Innenleben der Figuren zu blicken als mit äußerem Aufwand vom Kern des Stücks abzulenken.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Tragödie um den königstreuen Clan-Chef Macbeth, von inneren und äußeren Reizen zum Königsmörder entartet, rollt Heyder konsequent und unspektakulär als ein von Fieberschauern erschüttertes Seelengemälde vor den Augen der Zuschauer ab. Angesiedelt ist die Handlung in einem zeitlos abstrakten Umfeld ohne konkrete aktuelle Bezüge. Als Meister der Ökonomie erweist er sich, wenn er, durchaus sinnvoll, Hexen und Festgäste sowie Mörder und die Kellner der Festgesellschaft als identische Wesen präsentiert. Der Titelfigur bleiben monströse Überzeichnungen erspart. Im Gegenteil: Heyders Macbeth wird von Selbstzweifeln und Gewissensbissen aufgerieben. Den ermordeten König und seine tote Gattin wiegt er geradezu liebevoll in den Armen.

Foto © Wil van Iersel

Auch die Rolle der Lady Macbeth deutet der Regisseur mehrschichtig. Sie nährt zwar den Ehrgeiz ihres Gatten, löst ihn aber nicht ursächlich aus. Beide präsentieren sich als ein Paar, das bis zum letzten Atemzug ein enges, geradezu inniges Verständnis miteinander verbindet. Beide behalten ihre menschlichen Züge, auch als Verbrecher.

Vereinfachenden Schwarz-Weiß-Kontrasten geht Heyder auch bei den übrigen Figuren aus dem Weg. Am deutlichsten bei Malcolm, dem Sohn des ermordeten Königs Duncan, der nach dem Tod Macbeths den Thron besteigt. Er schmiegt sich schon nach dem Mord an seinem Vater behaglich an den roten Purpurmantel des Herrschers. Am Ende posiert er noch machtgieriger in dem roten Herrschaftstextil als zuvor der besiegte Macbeth. Bessere Zeiten hat Schottland auch von dem neuen König offenbar nicht zu erwarten.

Bühnenbildnerin Christina Mrosek begnügt sich mit einer kühlen metallenen, von einigen Fenstern und Toren durchbrochenen Rückwand und hält sich mit ihrem Beitrag wohltuend zurück, um das blutige Spiel um Macht und Ruhm nicht zu behindern. Auch sie überzeugt wie Heyder eher mit kleinen, aber feinen Anspielungen. Etwa, wenn sich das machtgierige Liebespaar im gleichen Bett vergnügt, in dem vorher König Duncan verblutete.

Adäquat zur Inszenierung findet auch Abdullah eine ausgewogene Mischung aus herben und zarten Tönen, die der komplexen Psychologie der Figuren gerecht wird. Erfreulich, dass sich die Sänger trotz des voluminösen Orchestereinsatzes nicht überanstrengen müssen. Ein Umfeld, in dem der bereits als Pelléas angenehm hervorgetretene Bariton Hrólfur Saemundsson zur Höchstform auflaufen kann. Mit Haut und Haaren spielt er die gegensätzlichen Fassetten der Figur aus und scheint sich stimmlich in der Rolle pudelwohl zu fühlen. Nicht nur seine Schlussarie gerät grandios.

In der besuchten Vorstellung fallen leider beide für die Rolle der Lady Macbeth vorgesehenen Sängerinnen, Irina Popova und Sanja Radišić, aus Krankheitsgründen aus. Die kurzfristig aus Würzburg eingeflogene Sopranistin Karen Leiber findet sich in der Inszenierung erstaunlich gut zurecht und bewältigt die schwierige Partie mit Bravour, wobei sie stimmlich auch die von Verdi eingeforderten „fahlen“ Farben bedient. Nicht nur angesichts der unglücklichen Umstände eine fabelhafte Leistung.

Zu den Pluspunkten der Aufführung zählt auch der kultivierte Tenor von Alexey Sayapin als Macduff, während Lukasz Konieczny dem Banquo einiges an stimmlichem Volumen schuldig bleibt. Der Aachener Opernchor entfaltet eine beeindruckende Dynamik, auch wenn die Koordination mit dem Orchester durch einige Wackelkontakte gestört wird.

Insgesamt also eine herausragende Gesamtleistung mit einem schwierigen Werk, die das Publikum im ausverkauften Aachener Theater mit vehementer Begeisterung bejubelt.

Pedro Obiera