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Henry Purcells „King Arthur“: Ein Winternachtstraum

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„King Arthur“ als poetisches, prickelndes Spiel im Geiste Shakespeares, hier Camille Schnoor als Cupido und Tobias Greenhalgh als Cold Genius.
„King Arthur“ als poetisches, prickelndes Spiel im Geiste Shakespeares, hier Camille Schnoor als Cupido und Tobias Greenhalgh als Cold Genius. © Foto: Marie-Laure Briane

München - Regisseur Torsten Fischer und Choreograf Karl Alfred Schreiner bringen die Semi-Oper „King Arthur“ in der Reithalle heraus. Es ist die beste Gärtnerplatz-Produktion seit langem.

Und wer bekommt nun den Zuschlag? Arthur, der heißblütige Bulle, der immer wie ein großes Kind über die Szene segelt? Oder doch Oswald, der scharfkantige und -züngige Intellektuelle? Beide samt der von ihnen angebeteten Emmeline mischen sich am Ende unters Volk. Alle sitzen sie zusammen, schauen uns an. Ein seltsames, wenngleich erhellendes Spiel mit den Hormonen war das gerade. Toleranz, Zueinanderstehen statt Eigensucht, die ja nicht nur Liebesbeziehungen zerstören, sondern auch Kriege gebären kann – man macht sich so seine Gedanken. Und verlässt die Münchner Reithalle leicht berauscht nach zweieinhalb Stunden „King Arthur“, nach der besten Gärtnerplatz-Produktion seit langem.

Henry Purcell (Musik) und John Dryden (Text) haben Konjunktur. Nicht unbedingt, weil alle Welt Barockes will, sondern auch, weil die beiden längst für sich und uns entdeckt haben, woran heutige Theatermacher dramaturgenschweißtriefend basteln und es als Avantgarde verkaufen. Aufbrechen der Form, Versöhnung der Genres Oper, Schauspiel und Tanz, heute heißt das „Performance“, vor 325 Jahren nannte man es „Semi-Opera“. Man kann wunderbar mit einem solchen offenen System spielen, es vor allem in die Groteske, ins Gag-Feuerwerk treiben. Dem „King Arthur“ ist das (zu) oft passiert. Regisseur Torsten Fischer, dem für die Gärtnerplatzler im Prinzregententheater eine grandiose „Aida“ glückte, und Choreograf Karl Alfred Schreiner tun das Gegenteil. Sie wählen damit den ungleich schwierigeren Weg.

Fischer und Schreiner verschränken ihre Kunst in symbiotischer Weise und treten vom Stück zurück. Kaum Nachzeichnen der Handlung, kaum Linearität, dafür Schlaglichter, Befindlichkeiten, Atmosphäre, Emotion – das ist bei Purcell/Dryden ohnehin schon so angelegt. „Wir sind hier, um zu träumen“, ruft jemand anfangs. Und was dann folgt, ist ein dunkles, prickelndes, sehr körperbetontes Spiel im Geiste Shakespeares. Ein Winternachtstraum, schön und poetisch, der einen keine Sekunde aus der Aufmerksamkeit entlässt. Riesig und leer ist die nach hinten ansteigende Spielfläche (Ausstattung: Herbert Schäfer, Vasilis Triantafillopoulos), schwarz-weiß-grau das „Farbenspiel“. Nur durch kleine rote Accessoires – Arthurs Halskrause, das Kleid einer Sängerin, die Ruder, die im Finale alle schwenken und doch nicht vom Fleck kommen – wird das gebrochen.

Zwischen höfischem Zeremoniell, erotischer Muskelschau und Theatercoup

Gärtnerplatz-Chor, der wunderbar mitgeht, und Gärtnerplatz-Ballett mischen sich zum großen Ganzen, bei dem schwer auszumachen ist, wer zu welcher Fraktion gehört. Manches ist wie höfisches Zeremoniell, anderes erotische Muskelschau. Letzteres driftet auch in den Selbstzweck: In der schwülen Körperlichkeit scheint alles minutenweise gefangen, um sich selbst zu kreisen. Und doch wird man Zeuge einer penibel gearbeiteten, letztlich minimalistischen Aufführung, in der die wenigen Einfälle einen mit der Wucht eines Theatercoups treffen: Als Krieg herrscht, stampfen, hecheln und gestikulieren alle im Takt, zerreißen Kartons, werden zum vor Energie berstenden Kollektiv. Und als im zweiten Teil die kalte Jahreszeit über die Zauberwelt hereinbricht, werden schwarze Säcke geöffnet, aus denen unzählige weiße Bälle kullern, in denen mancher versinkt, ertrinkt.

Dass Torsten Fischer, Karl Alfred Schreiner und Dirigent Marco Comin am Stück schraubten, Text eliminierten, manches sogar zweisprachig laufen lassen, kommt dem Abend nur zugute. Mehrere Figuren wurden zu einer zusammengefasst: Ob Diesseitsperson oder magisches Wesen, das ist irgendwann nicht mehr entscheidend in dieser wogenden Laborsituation. Simon Zigah (Arthur) und Markus Gertken (Oswald) spielen, als ob sie zwei konträre Seiten desselben Mannes seien. Judith Rosmair gibt der Emmeline herbe, unbedingte Vehemenz. Tobias Greenhalgh (unter anderem Merlin und Cold Genius) ist ganz viriler, dominierender Faun, dem man Emmeline auch gern gegönnt hätte. Und dann gibt es noch, neben den anderen guten Solisten, Sophie Mitterhuber, Camille Schnoor und Leela Subramaniam, die Barock nicht als anämische Kunst missverstehen, sondern ihre eigenen, leuchtstarken Vokalfarben einbringen.

Ein paar Dinge sind auch stilistisch anfechtbar, doch das fällt nicht ins Gewicht. Schwieriger wird es beim Orchester. Die Musiker spielen unsichtbar hinter der großen Bühnenebene und werden wie alle Solisten verstärkt. Purcells Nummern klingen anfangs ungewohnt, künstlich, wie von der CD zugespielt. Doch man hört sich ein. Und erfährt, wie weit der scheidende Chefdirigent Marco Comin in der barocken Spielpraxis mit seinem Ensemble gekommen ist. Ganz selbstverständlich und -bewusst wird auch in den kniffligen Soli musiziert. Besonders aber staunt man über die Präzision, mit der das Riesenensemble verzahnt ist, Comin ist schließlich nur über Monitore zu sehen. Als das Licht zum Schlussjubel angeht, ist das ein wenig unsanft. Wie ein Erwachen.

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