Wenn nach den ersten zwölf Takten der Ouvertüre das Orchester in einer stürmischen Bewegung der Streicher vom wütenden Ausbruch des Rentiers Gabriel von Eisenstein erzählt, dann kehrt Johann Strauß' wohl bekannteste Operette auf die Bühne zurück. Vom sanften Klang der Oboe zunächst belächelt, mündet das Vorspiel schließlich in einen feierlichen Glockenschlag, der das Ende einer rauschhaften Ballnacht einläutet. In ihrer leicht beschwingten Melodie wird Die Fledermaus am Nationaltheater Mannheim in einer Ende 1978 entstandenen Inszenierung nun unter der Leitung von Alexander Soddy musikalisch entstaubt im Versuch, dem historischen Entwurf einer leichtlebigen Gesellschaft um 1870 neues Leben einzuhauchen.

Galt die französische Vorlage, das Pariser Vaudeville Réveillon, im Wien am Ende des 19. Jahrhunderts als zu frivol, so bleibt der gesellschaftskritische Blick auf das Spiel von Sein und Schein im verspielten Zeitbild von Friedrich Meyer-Oertel unter ihrer dicken Patina getrübt. Vor dem klassizistischen Ambiente einer längst vergangenen Zeit, die von Wolf Wanningers opulentem Bühnenbild zwischen Federschmuck und Marmorsäulen wieder heraufbeschworen wird, und den prächtigen Kostümen von Reinhard Heinrich wirkt die szenische Belebung der Fledermaus im blendenden Licht der Gegenwart nur mehr als flüchtiges Amüsement ohne tieferen Sinn.

Gleich einer musealen Bemühung erweist sich die Groteske im Salon, dessen florale Mustertapete die Brüche im Idyll überdecken, sowie im mit üppigem Blumenschmuck versehenen und eine ganze Gemäldegalerie darbietenden Ballsaal, der mit Vergnügen die Scheinheiligen zu blenden weiß, im wiegenden Takt der Champagnerstimmung als leere Erheiterung. Die Ironie, welche Richard Genée und Carl Haffner dem Textbuch zu Die Fledermaus eingeschrieben haben, wird in den dunklen Mauern des marode wirkenden Gefängnisses gänzlich begraben. Allein dessen Aufseher Frosch scheint, wenn auch nur im betrunkenen Zustand, „doppelt“ zu sehen. 

Was dieses 1874 im Theater an der Wien uraufgeführte Werk an einem der größten und ältesten Repertoiretheater Deutschlands am vergangenen Aufführungsabend jedoch hörenswert machte, war Astrid Kesslers Rosalinde. Mit schönem und geschmeidig fließendem Sopran ließ sie im zweiten Aufzug inmitten des turbulenten Balls ihren Csárdás „Klänge der Heimat“ für einen kurzen Augenblick zum Sehnsuchtsort werden. In ihm spiegelten sich jene Träume wieder, die hinter der glanzvollen Marmorfassade der Szenerie zunächst verborgen blieben und sich nun in Strauß‘ feiner Klangwelt abzuzeichnen begannen.

Neben ihr, die sich mit kühler Ausstrahlung hinter einer Maske den amourösen Avancen ihres feurigen Gatten zu erwehren wusste, gab Nikolai Schukoff einen gut nuancierten Eisenstein, der den fliegenden Wechsel zwischen gesprochenem Wort und gesungenen Passagen hervorragend löste. Mit hellem, klarem Tenor verlieh er dem Rentier eben jenen jugendlichen Leichtsinn, mit dem er auf dem Parkett des Prinzen Orlofsky dem gesamten Balletcorps verfiel. Michael Schade, der in dieser Vorstellung für den erkrankten Peter Seiffert einsprang, zog als Rosalindes Liebhaber Alfred alle Register seiner Verführungskünste. Im Bademantel Eisensteins schwebte er leichtfüßig im Takt der Straußschen Melodien mit einem Fez über das Parkett und bestach mit einem hinreißenden Wienerisch.

Thomas Berau gab mit lyrischem Tenor einen stattlichen Dr. Falke, der als Spielmeister am Ende im Kostüm einer Fledermaus auf dem Tisch tanzte, während Thomas Jesatko als Gefängnisdirektor Frank mit geschmeidigem Bariton nicht allein sein komisches Talent, sondern auch im besten Küchenfranzösisch den Dialog mit Eisenstein zur hintergründigen Farce werden ließ. Vera-Lotte Böcker überzeugte mit klarem Sopran im Koloraturgesang, verlor sich jedoch allzu oft in leeren Attitüden und Gesten. Neben Rica Westenberger als Adeles Schwester Ida mit warm tönendem Sopran und dem Tenor Christopher Diffey als stotterndem Advokaten Doktor Blind komplettierte die Mezzosopranistin Maria Markina als Prinz Orlofsky mit russischer Sprachgewandtheit ein Sängerensemble, das wie der Chor in der schillernden Kostümwelt große Mühe hatte, im üppigen Bühnenbild nicht selbst zur Staffage zu geraten.

Alexander Soddy führte das Orchester des Nationaltheaters zu Beginn mit sehr viel Behutsamkeit und schuf unter der überschäumenden Verve der Musiker einen wienerischen Walzerklang von solcher Wucht, dass er das Gefangensein der Figuren im Rausch des Tanzballs aufzusprengen schien. Dennoch vermochte auch er den imposanten Kulissenbau und die damit verbundenen Einschränkungen im subtilen Klangbild der Operette nicht gänzlich zu überwinden.

Am Ende, wenn auch der von Uwe Schönbeck mit viel Spiellust und Hang zur Komik dargestellte Frosch das Gefängnis verlässt, scheint die Frage des Grafen Orlofsky – „Und meinen Sie, dass wir heute lachen werden?“– beantwortet zu sein. Was zu einem stimmungsvollen, melancholischen Endspiel inmitten der Polkaklänge werden könnte, erwies sich über die Distanz zur Entstehung der szenischen Deutung als heiteres Vergnügen, als eine ähnlich dem titelgebenden Tierchen zu beschreibende, flatterhafte Erscheinung ohne Nachklang.

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