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Wunderland Mikropolis

Die Kinder im Publikum freuts: Das unerschrockene Bärchen muss nicht alleine reisen.

Der Text ist nicht immer verständlich. So ist das halt in Opern. Und auch die Übertitel nützen den Kindern im Publikum (ab 6 Jahren) wenig. Macht aber nichts. Die bunten Bilder (Bühne Ralph Zeger) und Klänge aus der Feder des 1984 geborenen Komponisten Fabian Künzli sprechen für sich. Und ebenso die Bühnenbilder: Die «Reise nach Tripiti» – eine Koproduktion mit dem Theater Winterthur – ist ein Album aus eingängigen, holzschnittartigen Szenen, die man versteht, auch ohne die Geschichte zu kennen.

Stockdunkel ists auf der Bühne, als der kleine Max (Leon Gospodinova) sich parat macht, ins Bett zu gehen. Zähneputzen, Duvet über die Ohren und Theodor unter den Arm. Mit dem Bären an der Brust ist Schlafengehen ein Kinderspiel. Wenn nur die Eltern nicht wären! Kaum im Traum, hört Max sie zetern: «Der Bär muss w-e-g!» Wieso bloss das ganze Theater, denkt der schlafende Bub, wo seinem abgewetzten Theobär doch sonst nichts fehlt als ein Öhrchen?

An der Endstation ist Anfang

Vergeblich. Der Lichtmeister (Bernhard Bieri) hat die Bühne in gespenstisches Violett getaucht. Und die Musiker im Orchestergraben zupfen unheimliche Töne aus den Saiten. Der Mix verheisst nichts Gutes. Da greift auch schon eine riesige rostige Abfallkralle nach Theo, dem Ein-Ohr-Bären, packt ihn am Bein, hebt ihn hoch und lässt ihn erst wieder fallen, als unter seinem Pelz eine Mülldeponie ihr gieriges Maul auftut. Ungemütlich: Kehrichtsäcke, soweit das Auge blickt, gebettet in grauen Mief und Trommelwirbel. Und die Bassposaune nimmt mit ihrem Blasen schon mal die Endzeitstimmung vorweg.

Endstation auf dem Müll? Nicht für Theobär (Carl Rumstadt). Für den mutigen Zottel beginnt genau hier das grosse Abenteuer: die Reise ins gelobte Land Tripiti. Da verwandeln sich Müllsäcke in schwebende Schönwetterwolken. Und in der Stadt Mikropolis warten Heerscharen von gelb behelmten Handwerkern in blauen Overalls (die Minions lassen grüssen!) darauf, Kaputtheiten jeglicher Art zu reparieren und altem Spielzeug zu einem zweiten Leben zu verhelfen. Recycling aus Liebe? Könnte auch heute nicht schaden. Nichts wie hin.

Kaputtgeliebt und entsorgt

Die Kinder im Publikum freuts: Das unerschrockene Bärchen mit der samtigen Bassstimme muss nicht alleine reisen. Je dunkler der Theo seine Lieder anstimmt, desto vertrauenserweckender ist die Wirkung. Zwischen den Müllsäcken kommen weitere versehrte Lieblingsspielzeuge hervor, die sich ihm anschliessen. Sie teilen das gleiche Schicksal, wurden von Kindern kaputtgeliebt und entsorgt. Die bauchige Babuschka (Hatice Zeliha Kökcek) und ihre zwei Kinder, die mit ihrem synchronen Trippelgang entzücken. Oder die schlaksige Trachtenpuppe Resi (Oriane Pons), die den Kopf verloren hat und jetzt etwas angestrengt aus dem Bauch heraus singt und redet.

Oder Stelzfuss Ali, der Akrobat (Samuel Müller), der als Einziger ein breites Berndeutsch spricht, was zwar nett gemeint ist, aber im Kontext nicht nötig wäre. Kaspar, das schwatzhafte Steckenpferd (Andries Cloete), bringt mit seinem fliegenden Galopp auf einem Rollschuh nicht nur sich, sondern auch das Orchester ganz schön ins Schwitzen: Wenn er auftritt, flirren aus allen Registern exotische Klänge, holpern die Rhythmen auf Xylofon, Glocken, Rätschen und Hölzern.

Doch so ungewohnt die neue Opernmusik auch daherkommt, so fremd ist sie dann doch wieder nicht. Fabian Künzli weiss in seiner hybriden Vertonung dissonante Schrägklänge und vertraute Harmonik, Minimaltexturen und grosse Instrumentalflächen geschickt zu verquicken. Vieles kommt unerwartet, so hört man bis zum Schluss neugierig hin: Das Tripiti-Lied setzt Künzli als Leitmotiv ein, die Chorteile klingen wie ein Cocktail aus Puccini und Musical. Die Oboe tröstet, die Klarinette exponiert sich mit klezmerartigen Melodien, und in Glücksmomenten walzert das Orchester in torkelndem Eins-zwei-drei.

Gewinn für Jung und Alt

Das Berner Symphonieorchester (Leitung Zsolt Czetner), der Chor Konzert Theater Bern und der Kinderchor der Musikschule Köniz illustrieren, grundieren und kommentieren, was auf der Bühne passiert. Zuweilen könnte die Balance zwischen Stimmen und dem Orchester noch ausgewogener sein, gelegentlich wirken die Gruppenszenen bei der Premiere zu improvisiert. Dennoch ist die Ensembleleistung insgesamt bemerkenswert und der aufwendige Abend ein Gewinn für Jung und Alt. Das Bewusstsein, dass es Dinge aus dem Analogzeitalter gibt, die nicht totzukriegen sind, ist für die Erwachsenen im Publikum irgendwie tröstlich.

Man denkt an nostalgische Bilderbücher – das auch diese «Reise nach Tripiti» ursprünglich war: ein Klassiker bis heute. Oder an Bären wie den gemütvollen Baloo aus dem Dschungelbuch, Winnie Puuh, der in den 1920er-Jahren die Kinderherzen wärmte, oder den drolligen Paddington aus den 1950ern. Theo aus Tripiti ist der Jüngste von ihnen. Er stammt aus den 1960ern und ist eine Erfindung des Schweizer Karikaturisten und Autors Hans U. Steger, der im Juni 2016 im Alter von 93 Jahren verstorben ist. Stegers Engagement für die Umwelt, zu einer Zeit, als das noch kein gesellschaftliches Thema war, macht seine Geschichte umso aktueller. Die gut 100-minütige Inszenierung von Regisseurin Nina Russ findet das richtige Tempo und endet mit einem Epilog, wie man sich das wünscht: Er lässt offen, ob Max' Traum vom geflickten Teddybären Theo nicht doch noch in Erfüllung geht.

Stadttheater Bern, weitere sieben Vorstellungen bis 4. April.