Kein Happy End, aber immerhin keine Toten zu beklagen: während im Großteil von Giacomo Puccinis Opern recht munter gestorben wird, flattert seine La rondine ganz schön aus der Reihe, was angesichts ihrer Entstehungsgeschichte aber gar nicht weiter verwunderlich ist. Eine Operette hätte es nach Wunsch seiner Auftraggeber werden sollen, als Commedia lirica wollte der Komponist selbst sein Werk bezeichnet wissen. Tatsächlich sind sowohl Handlung als auch Musik zu einem Stilmix aus operettenhaften Elementen und großen opernhaften Gefühlen geworden. Aber da sich der Erfolg für dieses Werk nie so recht einstellen wollte und es nicht zu einem Repertoire-Klassiker wurde, setzte Puccinis Schwalbe knapp 100 Jahre nach der Uraufführung in Monte Carlo nun (reichlich spät) zum ersten Mal zur Landung an der Oper Graz an.

Die heimliche Hauptrolle spielte am Abend der Grazer Erstaufführung aber gar nicht das titelgebende Vogerl, sondern das Orchester unter der Leitung des Venezianers Marco Comin. So viel üppige Italianità bekommt man in der steirischen Landeshauptstadt wahrlich nicht alle Tage zu hören. Die vielschichtige Partitur Puccinis setzte das Orchester präzise und mit Augenmerk auf die kleinen Details um; Comin hielt die Musiker zu träumerisch romantischen Bögen im ersten und damit wunderbar kontrastierenden dramatischen Ausbrüchen im finalen Akt an und verdeutlichte so auch den Wandel der Gefühle zwischen Magda und Ruggero zusätzlich. Darüber hinaus war der Dirigent sichtlich um eine ideale Verbindung von Graben und Bühne bemüht und atmete mit den Sängern mit, die an einigen Stellen doch ihre Mühe zu haben schienen. 

Als Titelheldin Magda hatte Sophia Brommer zweifellos einige wunderbare Momente, ihre Paraderolle dürfte sie aber nicht werden. Verdis Luisa Miller letzte Saison oder Gounods Juliette scheinen ihr da um einiges besser in der Kehle zu liegen. Vor allem im ersten Akt rang sie in den tiereren Passagen immer wieder hörbar um Substanz und Volumen und weder das damenhaft Glamouröse noch die romantischen Anwandlungen konnte sie für mein Empfinden bis zur Pause wirklich glaubhaft transportieren. Erst in ihren höchst emotionalen Szenen des dritten Akts konnte sie die gewohnt schwebenden Höhen und herrlich fließenden Bögen ihrer Stimme voll ausspielen und einen sehr selbstbestimmten, eleganten und tieftraurigen Abschied von Ruggero gestalten.

Den verlassenen Liebhaber stattete ihr Bühnenpartner Mickael Spadaccini leider mit weit weniger Eleganz, dafür mit der Intensität von gefühlten zehn Espressi aus. Mit seinem stählern timbrierten Tenor warf er regelrecht verschwenderisch um sich, was bei energischen Spitzentönen zwar durchaus beeindruckend war, aber ansonsten den Charakter eines großen Teils seiner verträumten Tiefe beraubte. Ebenso fielen jegliche Piani und legato-Bögen seiner draufgängerischen Attacke zum Opfer; Lediglich in der Darstellung konnte Spadaccini auch jenen gefühlvolleren Momenten Platz einräumen, die ich mir auch in der stimmlichen Gestaltung gewünscht hätte.

Deutlich homogener agierte das zweite Paar des Abends, Pavel Petrov als Dichter Prunier und Tatjana Miyus als von der Regie sehr überzeichnete Kammerzofe Lisette. In ihren gemeinsamen Szenen konnten die beiden durch Humor und gesangliche Leichtigkeit überzeugen und auch in ihren jeweiligen lyrischeren, emotionalen Passagen schimmerten viele Facetten und warme Farben in den Stimmen mit. Immer wieder hatte Petrov jedoch mit den Wogen des Orchesters zu kämpfen, in denen er stellenweise fast ein bisschen untergehen zu schien, wohingegen Miyus keck und mit glockenklarem Timbre problemlos alle Ohren auf sich richten konnte. Von der Regie etwas allein gelassen schien Wilfried Zelinka, der die Rolle von Magdas vermögenden Gönner Rambaldo trotzdem mit großer Präsenz und würdevollem Bass auf die Bühne brachte. Die vielen Nebencharaktere boten vor allem einigen Mitgliedern des Opernstudios eine wunderbare Chance, sich einem größeren Publikum zu präsentieren, und auch der Chor durfte im zweiten Akt einmal mehr nicht nur stimmlich, sondern auch mit unbändiger Spielfreude glänzen. 

Die Inszenierung von Neo-Regisseur Rolando Villazón, die 2015 schon in Berlin zu sehen war, legt den Fokus weniger auf das Problem der unehrenhaften Vergangenheit Magdas, die eine Beziehung zu Ruggero unmöglich macht, sondern auf ihren unbändigen Freiheitsdrang, der Magda am Ende dazu veranlasst, nach einem schönen Sommer ihrem Liebhaber wieder zu entflattern und in den Kreis ihrer Freundinnen zurück zu kehren. Ansonsten bleibt  der Regisseur auffallend nah am Libretto und illustriert die Handlung in mondänen Bildern, die mit vielen Details einen rechten Augenschmaus boten. Zum uneingeschränkten Höhenflug konnte die Grazer Erstaufführung letztlich nicht abheben; dennoch sollten sich Opernliebhaber die Chance, Puccinis selten gespielte La rondine einmal „in freier Wildbahn“ zu erleben, nicht entgehen lassen. 

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