Zu schön, um wahr zu sein

Mit «Gegen die Wand» nach Fatih Akins Film gelang dem Komponisten Ludger Vollmer ein vielerorts nachgespieltes Erfolgsstück. Mit seiner Oper «Crusades» packt er nun wieder ein ausgesprochen heisses Eisen an.

Georg Rudiger, Freiburg i. Br.
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Der zeitgenössischen Oper wird oft vorgehalten, sie habe mit dem «wirklichen» Leben nichts zu tun – sperrige Musik treffe da oft auf ein ähnlich unverständliches Libretto, und kaum ein Werk findet den Weg ins Repertoire. Am Freiburger Theater wollte man es in der letzten Spielzeit unter der Intendantin Barbara Mundel besser machen: Mit dem Auftragswerk «Crusades» von Ludger Vollmer packte man ein ganz heisses Eisen an – die Fanatisierung des Menschen durch die Religion.

Lieber nicht anecken?

Giuseppe Verdis Oper «Jerusalem» in der Inszenierung von Calixto Bieito hatte die Saison eröffnet, «Zaide/Adama», ein Doppelwerk von Mozart und der israelischen Komponistin Chaya Czernowin, wird sie beschliessen. In Vollmers «Crusades» (Kreuzzüge) gibt es Hassprediger, Pazifisten, einen Waffenhändler – und am Ende sogar ein Attentat in der Jerusalemer Grabeskirche, wo sich die Vertreter der drei monotheistischen Weltreligionen zu einem Friedensgebet versammelt haben.

Dabei wollten die Theatermacher keine Schuldzuweisungen vornehmen. Dreissig Versionen des Librettos fertigte Tina Hartmann an, bis alle zufrieden waren. Politisch korrekt ist die bei der Uraufführung stark bejubelte Oper nun ohne Frage geworden – aber eben auch ziemlich blutleer, konfliktarm, naiv und stellenweise banal. Auch die Musik von Ludger Vollmer, dem mit «Gegen die Wand» nach Fatih Akin ein – obendrein vielerorts nachgespieltes – Erfolgsstück gelang, hat wenig Biss, sondern bleibt stets süffig. Musikalische Häppchenkultur: mal eine arabische Skala hübsch garniert, mal ein Kirchenchoral, der im Orchester durch den Mixer gedreht wird, mal sinfonisches Breitwand-Pathos wie aus der Filmmusik.

Das Philharmonische Orchester Freiburg kann unter der souveränen Leitung des ersten Kapellmeisters Daniel Carter die verschiedenen Stile und plötzlichen Stimmungswechsel problemlos bedienen. Besonders die Schlagzeuger agieren präzise und trotzdem dezent. Eine Darbuka sorgt für orientalisches Flair.

Die stark melodisch und rhythmisch geprägte Musik kann in einzelnen Szenen Wirkung entfalten, vermag es aber nicht, das Werk zusammenzuhalten und ihm eine Prägung zu geben. Der Regisseur Neco Celik setzt auf ästhetische Abstraktion und schafft stimmungsvoll beleuchtete Bilder (Licht: Michael Philipp), aber keine szenischen Verdichtungen.

Seltsame Mutationen

«Crusades» spielt auf zwei verschiedenen Zeitebenen: im christlichen Mittelalter und der Gegenwart einer europäischen Grossstadt. Nur von einer arabischen Laute begleitet, stimmt Matthew Shaw als Walter von der Vogelweide schlicht und ergreifend das «Palästinalied» an und führt damit direkt zum Sehnsuchtsort: dem Heiligen Land. Papst Urban II. (mit tragfähigem, beweglichem Bass: Jin Seok Lee) und Bernhard von Clairvaux (stark, nur in der Tiefe mit zu wenig Präsenz: Alejandro Lárraga Schleske), die Chefideologen der Kreuzzüge, legen sich ihre Argumentation zurecht. Das Tötungsverbot gelte nicht für Heiden: «Der Tod, den wir zufüg’n, kommt Christus zugute; der, den wir erleid’n, erlöst uns selbst.»

Die Figuren werden zu islamistischen Extremisten der Gegenwart. Der Papst mutiert zum Hassprediger Imam Ibrahim, der Abt zum muslimischen Studenten Omar, der sich allmählich radikalisiert und vom fundamentalistischen Hetzer Maciel (wenig angsteinflössend: Ünüsan Kuloglu) zum Selbstmordattentäter bestimmt wird. Die eigentliche Geschichte spielt im Studentenmilieu einer westlichen Universitätsstadt. Auf dem von vier Strassenlaternen begrenzten Platz von Bühnenbildner Rifail Ajdarpasic finden die Liebespaare zusammen.

Kim Lillian Strebel und Chor (Bild: Maurice Korbel / Theater Freiburg)

Kim Lillian Strebel und Chor (Bild: Maurice Korbel / Theater Freiburg)

Der agnostische Juniorprofessor und Sprengstoffexperte Gabriel, dem der Schweizer Tenor Christoph Waltle strahlende Höhe und grosse Ernsthaftigkeit verleiht, verliebt sich in seine muslimische Studentin Safiye (mit Zwischentönen und Stehvermögen: Kim-Lillian Strebel) und konvertiert für diese Liebe sogar zum Islam. Die jüdisch-christliche Tamar (präsent: Sirin Kilic) kommt mit Omar zusammen, kann ihn aber in seinem religiösen Eifer nicht stoppen. Warum sich Omar plötzlich radikalisiert, bleibt unklar. Wie überhaupt die Figuren kaum näher rücken. Sie bleiben in ihren Klischees stecken und werden von der Regie zu wenig geführt.

Stimmiger gelingt die Einbindung des Kinderchors des Freiburger Theaters (Leitung: Thomas Schmieger), der an das grausame Scheitern des friedlichen Kinderkreuzzuges von 1212 erinnert. Mit ihren schwarzen Perücken, die das Gesicht verdecken, sind sie ihrer Individualität beraubt. (Kostüme: Ariane Isabell Unfried). Die hellen, reinen Kinderstimmen sind stille Friedensmahner, denen Vollmer einen besonderen, unverwechselbaren Ton gewährt.

Pädagogisches Ende

Im Übrigen arbeitet der Komponist mit Orgelpunkten und Ostinati, härtet den Orchesterklang durch viel Schlagzeug und fokussiert die klangmächtigen Chöre (Opernchor des Theaters Freiburg, verstärkt von Studierenden der Musikhochschule, Leitung: Bernhard Moncado) mit gleichen Rhythmen. Die beiden kläglichen Raps, die der bedauernswerte Kriegsgewinnler Dandolo (Andrei Yvan) hinlegen muss, erinnern an gut gemeintes Schülertheater.

Auch das Ende gerät eher pädagogisch als künstlerisch wertvoll. Kurz vor dem Attentat zögert Omar – und wird von Maciel erschossen. Zum Epilog kommen alle Beteiligten nochmals auf die Bühne. Die Kinder legen die Perücken ab und zeigen ihre Gesichter. Mit hymnischen Melodien werden Frieden und Gerechtigkeit gefordert. Zu schön, um wahr zu sein.