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Liebe ist nicht nur SpaßVon Stefan Pieper / Fotos von Klaus Lefebvre
Weibliche Hingabe und die dunkle Seite von Geschlechterbeziehungen thematisiert die Kölner Oper in dieser Wiederaufnahme einer Produktion aus dem Jahr 2010 (unsere Premierenrezension) mit gleich zwei Schlüsselwerken der Moderne: Francis Poulencs La Voix Humaine und Bela Bartoks Herzog Blaubarts Burg ziehen hinein in Elementargewalten, die sich auftun, wenn es in der Liebe ans Eingemachte geht. Diese beiden Komponisten des 20. Jahrhunderts malen hier große Empfindungen sowie deren Abgründe in unterschiedlichen Farben aus: Sinnlich, nur manchmal bohrend dissonant, aber dann wieder verträumt, sehnsuchtsvoll, manchmal schwärmerisch-bittersüß muten die vom französischen Klassizismus inspirierten Klangteppiche eines Francis Poulenc an. Schroff, manchmal frenetisch, durchgehend dunkel und immer kolossal türmt Bela Bartok das klingende Material im Dschungel der dunklen Leidenschaften auf. La voix humaine
Um diese erfahrbar zu machen, nutzt das Orchester unter Gabriel Feltz Leitung die spezifischen Aufführungsbedingungen im Staatenhaus: Das Orchester ist hier ja nicht in einen engen Graben verbannt, sondern agiert halb überirdisch und breitet dadurch ein sehr präsentes Klangbild aus. Dadurch sind die Sängerinnen und Sänger umso mehr gefordert, von sehr weit hinten quasi über das Orchester hinweg singen müssen. Aber Juliane Banse als namenlose Frau in La Voix Humaine sowie Samuel Youn als Herzog Blaubart und Adriana Bastidas Gamboa als Judith können so etwas! Juliane Banses Sopran ist weich und raumfüllend zugleich. Sie verkörpert in Poulencs Einakter die still leidende, sich hingebungsvoll ergebende, schließlich verzweifelt lebensmüde Frau. Bernd Mottls Inszenierung verpflanzt dieses Szenario metaphorisch in die nebeldurchwehte Einsamkeit eines Waldes, wo die Frau sich am Smartphone festhält, dem Medium, was den Alltag und die Kommunikation sämtlicher Menschen heute beherrscht - ein Apparat, der auch zur Waffe werden kann, wie Jean Cocteaus Libretto treffend konstatiert. „Geh mit Deiner Neuen bitte nicht dorthin, wo du mit mir warst“, fleht die Frau auf der Bühne ihren unsichtbaren Gesprächspartner an. Von dem hat sie gerade eröffnet bekommen, dass endgültig Schluss ist, weil er eine andere hat. Die Verlassene reagiert mit all jenen Emotionen, die aufleben, wenn jemand wirklich verstanden hat, dass es endgültig ist. Da tobt kein Krieg mehr, sondern nur der verzweifelte Wunsch nach einem letzten Moment der Nähe. Wird sie überhaupt nochmal den Geliebten erreichen? Das Handy als letzte Lifeline, als kleines Stückchen Holz zum Anklammern, bevor das Ertrinken unausweichlich ist. Juliane Banse macht auf der Bühne solche Emotionen hautnah packend nachfühlbar und gibt ihrer Rolle durch ihren deklamatorischen Gesang und einer ruhigen Gestik etwas würdevolles, getragenes. Morbide, fast schon sakral wirkt es, wie sich die Verlassene ins eigene Grab legt und anfängt, sich in der stillen Erde einzugraben. „Ich liebe Dich“ sagt sie noch einmal. La voix humaine
Man brauchte erst einmal die Pause, um sich halbwegs loszulösen aus der Beklemmung dieses Liebes-Psychogramms. Doch es sollte düster weiter gehen: Unheilverkündend stimmen die Streicher diese typische Motivik an, wie sie etwa auch Bartoks Konzert für Orchester einleitet. Atemlos geht es hinein in diese ebenfalls einaktige Liebestraum-Sequenz, die zum Alptraum wird. Hier wurde ein altes Märchen im Hinblick auf seine psychologische Relevanz befragt. Auch hier fällt die weibliche Hingabe einer despotischen Männlichkeit anheim. Aber Opfer sind beide. Herzog Blaubart bleibt einsam, wenn er seine Geliebte auf die eigene Burg entführt. Etwas unnahbar, latent bedrohlich, aber auch getrieben verkörpert Samuel Youn diese kolossale Rolle. Seine Bass-Stimme ist druckvoll, hat Autorität, auch wenn sie manchmal etwas metallisch wirkt, und er artikuliert glasklar. Adriana Bastidas Gamboa setzt alldem viel lodernde Leidenschaft und selbstbewussten Stolz entgegen. Sie überzeugt als idealistische, schließlich scheiternde Liebende, die darauf besteht, dass Herzog Blaubart alle Türen dieses Gemäuers und damit des eigenen Unterbewusstseins aufmacht. Zwar gibt es verzückende Momente, aber auch eine schaurige Erkenntnis nach der anderen: Alles ist voller Blut, es gibt Folterwerkzeuge und einen See aus Tränen. Und schließlich die Gewissheit, dass Judith das nächste Opfer sein wird. Blaubart hat schon viele Vorgängerinnen entführt, verführt und schließlich gemordet. Sie selbst wird den Einsamen nicht erlösen, sondern ebenfalls zu Grunde gehen. Herzog Blaubarts Burg
Tränen weint das Gemäuer der Burg über diese bittere Wahrheit. So formuliert es das Libretto – und so regnet schließlich eine Wand aus Wasser auf die Bühne herunter. So treffsicher sind Regie und Bühnenbild an diesem Abend, weil sie die wesentlichen Momente im Blick behalten und sich jedem überlagernden Schnickschnack konsequent verweigern. Stimmig gewählt ist auch der Schauplatz: Ein beängstigend großes, düster tapeziertes Schlafzimmer, das so auch in einem bitteren Roman-Polanski-Film vorkommen könnte. (Übrigens hängt über dem Ehebett ein Bild mit dem Nebelwald aus der ersten Oper an diesem Abend...) Herzog Blaubarts Burg
Weißer Trockeneisnebel, der als „See aus Tränen“ über den Boden wabert, leitet den unheimlichen Showdown ein: Wie Untote entsteigen hintereinander sämtliche Verflossene der Badewanne - man sieht es durch die geöffnete Tür – und schreiten nackt, bleich und stumm in den Raum hinein. Alles nur geträumt? In der letzten Sequenz liegen Blaubart und Judith in profanem Nachtgewand im Ehebett. Keine Leidenschaft beim Aufwachen, keine Abgründe, die sich auftun. Der Mann dreht sich weg, will seine Ruhe. Viele Beziehungen scheitern daran, dass eben keine unbewussten Türen mehr geöffnet werden und dies auch niemand einfordert. Die Musik, die jede Gefühlsregung und jeden Abgrund zuverlässig überhöht, wirkt so, weil sie von Gabriel Felz und dem Orchester mit luftiger Transparenz dosiert wird. Die ganze aufbrausende Wucht in manchen Momenten ist kein Widerspruch zum hellhörigen Weitblick, der das Geflecht sämtlicher motivischen Bezüge und damit auch die feinsten Seelenregungen in diesem Labyrinth präsent macht bringt. Was letztlich auch den souverän gemeisterten, komplexen Gesangsparts alle Luft zum Atmen gibt, die sie braucht.
Die Kombination dieser beiden tiefschürfenden Opern-Einakter zog in die Dualität von Liebe und Leiden hinein, wie es kaum fesselnder, beklemmender gehen kann. Beide Werke sind darüber hinaus so inszeniert, dass trotz ihrer Verschiedenheit ein Gesamterlebnis entstand. Besetzung und musikalische Realisierung wurden dem ambitionierten Unterfangen in jedem Moment bestens gerecht. Wer am Ende nicht komplett überwältigt das Staatenhaus verließ, muss ein Gefühlslegastheniker sein. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Dramaturgie
SolistenLa voix humaine
Die Frau
A kékszakállú herceg vára
Herzog Blaubart
Judith
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