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Premierenkritik - Rossinis "Italienerin in Algier" in Nürnberg Drei Stunden Bunga Bunga

Das dürfte die heißeste Erotikshow der laufenden Spielzeit sein: Laura Scozzi hat in ihrer Inszenierung von "Die Italienerin in Algier" alle Register gezogen - von Striptease über Sado-Maso-Sex war bei der Premiere am Samstagabend im Staatstheater Nürnberg alles dabei.

Szene aus der Oper "Die Italienerin in Algier" am 21. Januar am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Ludwig Olah

Bildquelle: Ludwig Olah

Am Nürnberger Staatstheater ließ nicht nur eine ausgebildete Striptease-Tänzerin alle Hüllen fallen, es gab auch jede Menge Sado-Maso-Sex, Unmengen aufreizende Dessous, prickelnden Bauchtanz, einen golden Dildo, jede Menge Porno-Fantasien vom Schulmädchen über die lüsterne Stewardess und das devote Zimmermädchen bis hin zur rabiaten Domina.

Drei Stunden "Bunga-Bunga"

Kurz und gut: Diese "Italienerin in Algier" sah aus wie ein Betriebsausflug von deutschen Versicherungsvertretern oder Automanagern, vielleicht auch wie bei Berlusconi auf der Liebesinsel oder bei Donald Trump in Florida - drei Stunden Bunga Bunga sozusagen. Führungskräfte wissen ja zu feiern und manche von ihnen machen zwischen Luxus-Autos, Luxus-Uhren und Luxus-Frauen wenig Unterschied.

Regisseurin Laura Scozzi, eine gebürtige Mailänderin, inszenierte Rossinis reichlich seichte, aber herrlich unterhaltsame Oper als leidenschaftlichen Geschlechterkampf. Zwei Statisten führen immer wieder stumme Szenen einer Ehe vor, die allesamt blutig enden: Es wird erstochen, erschossen, erdrosselt und erstickt - dazwischen immer wieder geliebt, geküsst und gestreichelt. Mann und Frau, dass ist eben irgendwas zwischen Dressur und Zuchthaus. Und ein berühmtes Foto von Helmut Newton an der Wand spricht für sich: Ein mächtiger Alligator verschluckt eine nackte Frau - das Testosteron und seine Beute.

Bühnenbildnerin Natacha Le Guen de Kerneizon hatte für diese Koproduktion mit dem Theater Toulouse eine Luxus-Villa entworfen. Die Drehbühne ist unentwegt im Einsatz, die Bühnentechniker haben viel zu tun: Eine elegante Bar, ein laszives Schlafzimmer, eine schäbige Absteige für Dienstboten, alles ist vorhanden, und in der schicken Küche zerlegt die titelgebende "Italienerin in Algier", nämlich Isabella, fachgerecht, aber blutspritzend einen Hasen. Auf dass es dem dummdreisten Drogenhändler und Vorzeige-Macho Mustafà schmecken möge. Der wird am Ende doch noch von der Polizei erwischt und abgeführt, aber das Publikum ahnt: Der Geschlechterkampf, der geht mit und ohne Revolver weiter.

Geschichte könnte überall stattfinden

Bei Rossini wickeln die unglücklicherweise in Algier gefangenen Italiener, angeführt von Isabella, den einfältigen, morgenländischen Potentaten mir nichts, dir nichts um den Finger. Das kann gerade in den Zeiten von Islamismus-Debatten alles sehr plump, ja arrogant oder gar kolonialistisch wirken. Umso besser, dass sich Laura Scozzi um Algier und den Islam gar nicht scherte: Ihre Geschichte könnte auch auf Sardinien oder Sylt stattfinden, überall dort eben, wo Männer durchdrehen und Frauen abkassieren.

Ein sarkastisch, ätzender Rossini

Die österreichische Mezzo-Sopranistin Ida Aldrian als Isabella und der ungarische Bass Marcell Bakonyi als Mustafà spielten großartig und sangen solide, wenn auch etwas zu wenig komödiantisch. Der junge Tenor Martin Platz war als Lindoro ein emsiger romantischer Liebhaber, stimmlich aber noch etwas zu unerfahren für diese kräftezehrende Rolle. Dirigent Guido Johannes Rumstadt gab gleich bei der Ouvertüre eine ziemlich drastische, ja ruppige Tonlage vor, die allerdings zur grellen Inszenierung hervorragend passte.

Ein verspielter, heiterer Rossini war da nicht zuhören, eher ein sarkastischer, ätzender. Wie fast immer, wenn Regisseure auf deftig-derbe Bilder setzen, war im zweiten Teil nach der Pause etwas die Luft raus, da waren optische Steigerungen kaum noch möglich. Und Mustafà, der Boss der Bosse, lässt sich allzu willfährig zum Idioten machen. Dennoch gab es herzlichen, wenn auch keinen überschwänglichen Applaus. Hinter dem Erotikstudio geht die Welt ja weiter, und zwar mit einer dicken Rechnung. 

Rossinis "Italienerin" in Nürnberg

Staatstheater Nürnberg, Opernhaus

Inszenierung: Laura Scozzi
Musikalische Leitung: Guido Johannes Rumstadt

Premiere:
21. Januar 2017, 19.30 Uhr

Weitere Vorstellungen:
24. und 28. Januar 2017, jeweils um 19.30 Uh
1. (19.30 Uhr) 5., 12. (jeweils 19.00 Uhr) und 26. Februar 2017 (15.30 Uhr)
außerdem Termine im März und April

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