Gelsenkirchen. Selten hinterlässt ei­ne Aufführung eine so spürbare Betroffenheit wie jetzt die Premiere von Mieczysław Weinbergs Oper „Die Passagierin“ am Musiktheater im Revier (MiR). Ein Werk wider das Vergessen des Holocausts – nicht eben ein Bilderbuch-Opernstoff. Der mittlerweile 93-jährigen Auschwitz-Überlebenden Zofia Posmysz ist es aber gelungen, mit ihrem Libretto das Thema behutsam und eindrucksvoll anzugehen. Dass die Polin, die als 19-Jährige Auschwitz erlitt, der Premiere bewohnte, wurde vom Publikum mit Standing Ovations bedacht. Die rundum überzeugende Produktion ist ein weiterer Beweis für die Leistungsfähigkeit des MiR, das die einst starke Konkurrenz in Essen mittlerweile deutlich überflügelt.

Selten hinterlässt ei­ne Aufführung eine so spürbare Betroffenheit wie jetzt die Premiere von Mieczysław Weinbergs Oper „Die Passagierin“ am Musiktheater im Revier (MiR). Ein Werk wider das Vergessen des Holocausts – nicht eben ein Bilderbuch-Opernstoff. Der mittlerweile 93-jährigen Auschwitz-Überlebenden Zofia Posmysz ist es aber gelungen, mit ihrem Libretto das Thema behutsam und eindrucksvoll anzugehen. Dass die Polin, die als 19-Jährige Auschwitz erlitt, der Premiere bewohnte, wurde vom Publikum mit Standing Ovations bedacht. Die rundum überzeugende Produktion ist ein weiterer Beweis für die Leistungsfähigkeit des MiR, das die einst starke Konkurrenz in Essen mittlerweile deutlich überflügelt.

Keine noch so kleine Partie fällt ab

Selbst Dimitrij Schostakowitschs Einsatz für seinen Freund Weinberg konnte nicht verhindern, dass dessen 1968 entstandene Oper erst vor sechs Jahren uraufgeführt werden konnte: in Bregenz, mit überwältigendem Erfolg. Weinberg, 1918 geboren, wuchs in Warschau auf und floh 1939 als Jude nach Taschkent; Schostakowitsch wurde 1943 auf ihn aufmerksam und lud ihn nach Moskau ein, wo er bis zu seinem Tod 1996 relativ unbehelligt leben konnte.

Die Handlung: Auf einem Auswandererschiff nach Brasilien begegnet die einstige KZ-Aufseherin Lisa 1959 der Gefangenen Marta, die sich von Lisa ausnutzen lassen musste, bevor sie ihrem Schicksal überlassen wurde. Die Begegnung löst in Lisa eine heftige Krise aus, in Marta schreckliche Erinnerungen. Das Libretto zeigt Menschen aus Fleisch und Blut: unpathetisch, kraftvoll, mit viel Einfühlungsvermögen für Täter und Opfer, deren Grenzen verschwimmen. Keine Anklage – ein Appell, das Geschehene niemals zu vergessen.

Dazu eine Musik auf der Höhe Schostakowitschs und Janáčeks, die jede seelische Regung punktgenau trifft und jede Figur ernst nimmt. Energiegeladen, aber nie lärmend, mitfühlend, aber nie larmoyant, durchsetzt mit Erinnerungsfetzen an bessere Zeiten, ausgedrückt durch schlichte Lieder aus der Heimat der Gefangenen, gipfelnd in einer zarten, überwältigenden Bach-Paraphrase.

Dass Posmysz‘ Libretto ursprünglich als Filmskript konzipiert war, merkt man an den vielen Rückblenden. Regisseurin Gabriele Rech nutzt diese Dramaturgie geschickt aus, ihre Inszenierung ist so feinfühlig wie das Libretto und die Komposition. Das Bühnenbild von Volker Thiele zeigt einen Schiffs-Ballsaal im nüchternen Stil der 50er-Jahre mit kleiner Bühne und schlichter Theke. Für die Rückblenden in die Auschwitz-Hölle bedarf es nur weniger Requisiten und einiger Lichteffekte. So vermischen sich die beiden Zeitebenen, wenn Lisa etwa im modernen Cocktailkleid in die Rolle der KZ-Aufseherin schlüpft oder sich SS-Schergen und Häftlinge unter die spätere Ballgesellschaft mischen.

Das hoch engagierte Ensemble trägt Rechs Konzept vorbildlich mit. An der Spitze das Frauenpaar: Ilia Papandreou als Marta bewältigt ihre teilweise hochdramatische Partie mit großem stimmlichen Einsatz und identifiziert sich derart mit der Rolle, dass ihr nach dem ergreifenden Schlussmonolog die Tränen in den Augen standen. Ihr ebenbürtig Hanna Dóra Sturludóttir als kühle Lisa, deren Selbstvertrauen durch die Begegnung mit der einstigen Gefangenen heftig erschüttert wird. Eindringlich bringt sie Gefühls­irritationen zum Ausdruck, darstellerisch wie stimmlich. Martas Verlobtem, dem Musiker Tadeusz, verleiht Piotr Prochera mit seinem imponierenden Bariton markantes Profil. Keine noch so kleine Partie fällt ab. Anke Sieloff, Christa Platzer und Silvia Oelschläger seien hier stellvertretend für die vielen Gefangenen genannt, Alfia Kamalova bekam für ein ergreifend schön gesungenes Lied am Ende Extrabeifall. Valtteri Rauhalammi lässt die Musik am Pult wie besten Schostakowitsch ertönen und sorgt für eine differenzierte und leuchtkräftige Umsetzung der großartigen Partitur.

Großer Beifall für alle Mitwirkenden, auch den massiv besetzten Chor. Eine außergewöhnliche Produktion, die als ein Höhepunkt der Saison gewertet werden darf.