«Macht Liebe, nicht Krieg!»

Die Neuproduktion von Francesco Cavallis selten gespielter Oper «Il Giasone» in Genf überzeugt musikalisch –und betont eine ungewohnte Seite der antiken Sage.

Thomas Schacher, Genf
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Am Schluss der Oper bilden sich unerwartet vier recht schräge Liebespaare, denen bestimmt keine lange Zukunft beschieden ist. Auf der Ebene der High Society verbinden sich der Hauptheld Giasone mit Königin Isifile von Lemnos und König Egeo von Athen mit Medea, der Königin von Kolchis; auf der niederen Ebene des Personals tut sich Ähnliches: Egeos Diener Demo findet Medeas Amme Delfa, Giasones Gefährte Besso gesellt sich zu Isifiles Hofdame Alinda. Die Botschaft wird zusätzlich auf einem Transparent entrollt: «Fate l'amore, non la guerra.» Ende gut, alles gut?

Szene aus Francesco Cavallis Oper «Il Giasone» in Genf. (Bild: PD)

Szene aus Francesco Cavallis Oper «Il Giasone» in Genf. (Bild: PD)

Giasone ist der Argonaut Jason, man kennt ihn aus der griechischen Mythologie. Doch Francesco Cavalli und sein Librettist Giacinto Andrea Cicognini haben die antike Sage sehr eigenwillig für ihre Bedürfnisse abgeändert. In Venedig, wo die Oper «Il Giasone» im Jahr 1649 am Teatro San Cassiano uraufgeführt wurde, herrschte Carnavale, das Publikum erwartete also vor allem süffige Unterhaltung. Da wäre die originale mythologische Geschichte viel zu blutrünstig und unappetitlich gewesen. Zudem erforderte die Konvention ein «lieto fine», einen glücklichen Ausgang der Handlung.

Restlos überzeugende Musik

Nach den antiken Quellen ist Jason der Anführer der Argonauten, die sich mit ihrem Schiff auf die Suche nach dem Goldenen Vlies, dem Fell eines goldenen Widders, machen. Auf der männerlosen Insel Lemnos verzögert Jasons Liebe zu Königin Hypsipyle die Weiterfahrt. Nächste Station ist Kolchis am Schwarzen Meer. Weil Jason hier die Liebe der Königstochter Medea gewinnt, schafft er es, das von einem Drachen bewachte Vlies zu entwenden. Auf der Rückfahrt heiraten Jason und Medea. Zurück in Griechenland, wird aber Jason der barbarischen Medea überdrüssig und will die korinthische Prinzessin Glauke heiraten. Medea rächt sich, indem sie der Nebenbuhlerin ein flammensprühendes Brautkleid schickt und die beiden mit Jason gezeugten Kinder ermordet.

Dieser zweite Teil der Geschichte fehlt bei Cavalli, er kann beispielsweise in Luigi Cherubinis «Medea» und in der derzeit am Opernhaus Zürich gezeigten «Médée» von Marc-Antoine Charpentier mitverfolgt werden. Am Genfer Grand Théâtre wird – nach wie vor in der Ausweichspielstätte Opéra des Nations – eine Version von Cavallis «Giasone» gespielt, die der Dirigent Leonardo García Alarcón hergestellt hat. Im Original sind offenbar nur die Singstimmen mit beziffertem Bass, also einer Zahlenkurzschrift für die gemeinten Akkorde und Harmonien, überliefert. Die Einrichtung dieses Generalbasses für konkrete Instrumente ist dann Sache der Bearbeiter.

Alarcón hat sie ganz auf die Fähigkeiten seiner Cappella Mediterranea zugeschnitten. Er selber dirigiert am Spinett. Die reiche Palette der Generalbassinstrumente umfasst zwei Cembali, Truhenorgel, Laute, Theorbe, Harfe, Gambe, Cello und Violone. Dazu treten bei den ariosen Teilen weitere Streichinstrumente, zwei Zinken, zwei Blockflöten und ein Dulzian.

Die von Monteverdi begründete und von Cavalli fortgeführte venezianische Oper kennt noch keine strenge Trennung von Rezitativ und Arie. Bei «Giasone» überwiegen klar die rezitativischen Teile, geschlossene Formen wie Lamenti oder Duette sind in der Minderzahl. Für die Zuschauer ergibt sich daraus die Schwierigkeit, dass die Musik überwiegend den Kurven des Textes folgt und wenig Einprägsames wie Rondelle und dergleichen bietet. Dennoch begeistert die Wiedergabe der Cappella Mediterranea in ihrer Farbigkeit, ihrem beredten Ausdruck und ihrem Temperament restlos. Zudem hat Alarcón einige sinnvolle Kürzungen vorgenommen, dauert das in Genf gut dreistündige Werk doch in der Referenzeinspielung mit Concerto vocale unter René Jacobs noch fast eine Stunde länger.

Komische Akzente

Die Regisseurin Serena Sinigaglia nimmt die Akzentverschiebungen bei Cavalli und Cicognini zum Anlass, um die witzigen und ironischen Elemente der Oper in den Vordergrund zu stellen. Eine Schlüsselrolle nimmt dabei Jason ein. Die ursprünglich für einen Kastraten geschriebene Rolle wird von dem Countertenor Valer Sabadus musikalisch in umwerfend virtuoser Art gesungen. Als Charakter ist er nicht der Frauenheld des Klischees, sondern ein weicher, androgyner Mann, was den Liebesszenen oft einen komischen Nebenaspekt verleiht. Vor allem aber ist Giasones Benehmen total unkriegerisch, was beispielsweise in der Szene mit seinem Gefolgsmann Ercole (Alexander Milev) geradezu plakativ gezeigt wird.

Die beiden Königinnen, die Giasone verführt hat und mit denen er beide Male Zwillinge gezeugt hat, könnten gegensätzlicher nicht sein: Die Medea von Kristina Hammarström, ein Mezzosopran mit dunklem Timbre, gibt die würdevolle Königin, die Isifile von Kristina Mkhitaryan, ein jugendlich-leichter Sopran, mimt das Model vom Dienst. Für Komik sorgen nicht zuletzt die Nebenfiguren: der tumbe und stotternde Diener Demo (Migran Agadzhanyan) mit seiner Augenbinde, die mannstolle Magd Delfa (Dominique Visse), die es auf die Argonauten abgesehen hat, Isifiles Spion Oreste (Willard White), der sich an seiner schlafenden Herrin vergreift, und der gnomenhafte Gott Amor (Mary Feminear), der mit seinen Pfeilen die Liebenden in die von ihm gewünschten Bahnen lenkt.

Wesen und Wandel der Figuren

Die vom Ausstatter Ezio Toffolutti entworfene Bühne besteht aus Steinlandschaften, welche die Inselreiche der beiden Königinnen repräsentieren. In der Mitte erhebt sich ein turmartiger Stein, durch dessen Spalte Giasone gleichsam in den Uterus der Erde tritt, um dort das Goldene Vlies herauszuholen. Während diverse zweidimensionale Requisiten an ein barockes Bühnenbild erinnern, verzichtet Toffolutti bei den Kostümen auf Barockes und verdeutlicht mit seinen Gewändern Wesen und Wandel der Figuren. Der weisse Hut, den Medea von Egeo (Raúl Giménez) geschenkt bekommt, deutet schon einige Szenen vor dem Ende an, wer im Schlussbild an der Seite der Königin von Kolchis stehen wird. Und hier fehlen denn auch die beiden Kinderwagen mit den Zwillingspaaren nicht.