Eine Wucht. Das beschreibt in einem Wort Das Wunder der Heliane, Korngolds expressionistisch-überkandideltes und groß orchestriertes Mysterienspiel, das zur Uraufführung 1927 den Zeitgeschmack kaum traf und in der Publikumsgunst gegen Kreneks nur unwesentlich früher aufgeführte Oper Jonny spielt auf den Kürzeren zog. Heute allerdings, wo man vielleicht gerade deshalb in die Oper geht, um Unwirkliches, eben opernhaft Übersteigertes zu erleben, stehen die Chancen auf eine Wiederbelebung des Werks besser denn je, noch dazu wenn es so überzeugend aufgeführt wird wie in dieser konzertanten Serie der Volksoper.

Heliane erweckt einen Toten zum Leben, bevor sie mit ihm in einer Art Liebestod (wie dieser in H-Dur) in Korngolds Klang-Nirwana aufsteigt. Dazu kommt es, weil sie einem Gottesurteil unterworfen wurde, und dazu wiederum kam es, weil wie in Turandot ein Fremder für Unruhe sorgte, indem er im Reich von Helianes schreckensherrschendem Ehemann die Liebe predigte. Den deshalb zum Tode Verurteilten tröstete Heliane in seiner Zelle; nur war es nicht sehr geschickt, sich ihm dazu nackt wie Salome zu zeigen und dabei vom Ehemann erwischt zu werden, dem dieser Anblick noch nie vergönnt war.

Die salbungsvollen Worte dazu sowie etliche Kuriosa à la Wagner schrieb Hans Müller-Einigen frei nach einem mittlerweile verschollenen Drama des jung verstorbenen österreichischen Expressionisten Hans Kaltneker. Als bunter Hund und Faktotum der damaligen Literatenszene (unter anderem schrieb er die Libretti zu Im Weißen Rössl und Ein Walzertraum) war er ein ökonomischer Schreiber und bediente sich, wie erwähnt, an einigen Vorbildern der Opernliteratur. Doch bei aller Ironie, mit der man das Werk betrachten könnte, muss man eines gestehen: Es hat dieses gewisse Etwas, diese Dramatik zu wechselhafter Harmonik, die Korngolds Filmmusik jene „Suspense“ (Gespanntheit) gibt, die er ihr an eingängigen Melodien mitunter vorenthält.

Dirigent Jac van Steen und das Volksopernorchester in großer Besetzung bis hin zur Orgel machten aus dieser Heliane tatsächlich ein Wunder. Allein so ein ausgefallenes wie anspruchsvolles Werk einzustudieren verdient Respekt; die bunte, doch übersichtliche und saubere Ausführung der komplizierten Details Begeisterung. Von den vielen Eindrücken dieses Abends sei jener Moment erwähnt, in dem die Streicher im Vorspiel zum dritten Akt mit perfekt synchronen Glissandi glänzten.

In der Titelpartie gefiel die Niederländerin Annemarie Kremer, dem Volksopern-Publikum als Salome bekannt. Ihrer sehnig-muskulösen Stimme hört man an, dass sie auch schon Norma, Maddalena in Andrea Chénier und Cio-Cio San gestemmt hat. So gelang es, dass ihr Sopran durch Korngolds Klangwolken wie Sonnenstrahlen auf religiösen Gemälden des 19. Jahrhunderts schien und sie im dritten Akt mit Blitzen durchzuckte. Wenn man, wie die Partie es verlangt, den Spagat zwischen Reinheit und Erotik schafft, darf man sich auch ein, zwei Intonationsschwierigkeiten in dem berühmten „Ich ging zu ihm“ leisten.

Den Herrscher verkörperte Martin Winkler, der einmal mehr seine Wandlungsfähigkeit bewies. Schöne große Stimmen gibt es viele, doch das Maß aller Dinge im Sängerberuf ist letztendlich, wie man Gedanken und Emotionen im Rahmen des vorgegebenen Textes und der Musik vokal umsetzt. Gerade in konzertanten Aufführungen hilft kein Schauspiel, das Publikum muss den Charakter einer Figur und wechselnde Stimmungen hören. Das und das kluge Spiel mit dem Text beherrschte Martin Winkler in Perfektion, egal ob er Dr. Bartolo in Der Barbier von Sevilla oder Helianes despotischen Ehemann gibt. Besonders beeindruckte an diesem Abend, dass er seinen Bösewicht auch zweifeln und zaudern ließ, dabei aber immer autoritärer Machtmensch blieb.

Auch Hausdebütant Daniel Kirch, wie seine Kollegin Kremer im Dramatischen geschult (Florestan, Parsifal, Tannhäuser), bot eine ausgezeichnete Leistung – dabei ist es bereits ein Kraftakt, die Partie des Fremden in der Heliane überhaupt zu bewältigen: Der Tenor hat ein Symphonieorchester in Übergröße zu übertönen, und das im ersten Akt fast ununterbrochen. Kirch besaß die nötige Ausdauer, bis zum Schluss Kraft und Intonationssicherheit zu bewahren. Dass seine Diktion und Tonproduktion ein wenig an Jonas Kaufmann erinnern, ist natürlich auch kein Fehler; nur ein wenig mehr Öffnung der Stimme dürfte es noch sein. 

Die Botin (schlechter Nachrichten) mit gewaltigem Alt und der Heimtücke einer Ortrud gab Martina Mikelić: Auch sie ist sie ist eine, die in ihren Partien lebt, sodass sie im Zorn schon einmal die Seiten ihres Notenhefts eher umschlägt als umblättert. Dazu hatte sie auch allen Grund, schließlich wurde sie vom Herrscher einst verführt und dann verlassen. Die übrigen Partien waren durch Ensemblemitglieder durchwegs gut besetzt. Auch der Chor hatte am Erfolg des Abends einen wesentlichen Anteil, dennoch stahlen ihm die „Seraphischen Stimmen“ des Jugendchores (aufgrund der übervollen Bühne von der Galerie tönend) ein wenig die Show.

Diese Heliane bescherte dem Publikum einen Abend in einer Intensität (und Lautstärke) wie drei Stunden Götterdämmerung-Finale. Mag sein, dass der eine oder andere danach ein wenig Kopfschmerzen verspürte, doch machen Opernliebhabern die Folgen eines solchen Klangrausches wenig aus: Wer heftig feiert und trinkt, nimmt schließlich auch den Kater in Kauf. „Bravi tutti“ tönte es zum Schluss durch die Volksoper. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.

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