WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Bühne und Konzert
  4. Wagner-Oper Wahnfried Karlsruhe: Nun singt der Wagner-Clan

Bühne und Konzert Oper „Wahnfried“

So klingt der Wagner-Clan, wenn er singen soll

Freier Feuilletonmitarbeiter
Götterdämmerung: Cosima Wagner (Christina Niessen) am Klavier, auf dem man ihren geliebten Richard aufgebahrt hat Götterdämmerung: Cosima Wagner (Christina Niessen) am Klavier, auf dem man ihren geliebten Richard aufgebahrt hat
Götterdämmerung: Cosima Wagner (Christina Niessen) trauert am Flügel, auf dem man ihren Richard aufgebahrt hat
Quelle: falk von traubenberg
In Karlsruhe gibt es ausnahmsweise mal keine Oper von Richard Wagner, sondern über ihn: Die Opernsatire „Wahnfried“ karikiert Wagners Erben und ihren Antisemitismus – mit Hitler als „Meisterjünger“.

Deutschland hat die Geissens und die Wagners. Die einen sind Trash-TV, die anderen Hochkultur. Aus den Geissens, der angeblich schrecklich glamourösen Familie, wurde eine mehr oder weniger reale Seifenoper, die es sicher nie ins richtige Musiktheater schaffen wird. Die Wagners hingegen waren Oper vom ersten „Die Feen“-Akkord an, ihre Familienstreitigkeiten hingegen werden längst auch auf dem Boulevard ausgetragen. Jetzt aber haben sie es wieder einmal auf die Klangbühne geschafft.

Und das sogar ganz ohne Stammvater Richard. Der nämlich wird bereits auf seinem Flügel als Katafalk zu Grabe getragen, wenn am Badischen Staatstheater Karlsruhe die Uraufführung „Wahnfried“ anhebt. An seiner statt geistert freilich ein Wagnerdämon (stimmgewaltig: Armin Kolarczyk) durch den hoch vergnüglichen, aber auch in seiner surrealen Revuewahrheit erschreckenden Zweistünder. Jener trägt zwar das berühmte Samtbarett, sieht aber ansonsten aus wie ein Horrorclown mit der Fratze des „Batman“-Jokers. Und gruselt sich vor dem Weltenbrand, der da in seinem Namen entfesselt wird.

Dabei geht es in dieser gelungenen Zusammenarbeit von Deutschlands erfolgreichstem Dramatikerpaar Lutz Hübner und Sarah Nemitz mit dem nicht so bekannten jüdischen Komponisten Avner Dorman gar nicht so sehr um Richard Wagner und seine bis heute revolutionären Musikdramen, sondern um das, was später aus seinem Erbe wurde. Wie Zeitklima, Witwenwalten und eine bestimmte Person es zur Projektionsfläche für Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus verfälscht und vergewaltigt haben.

Auftritt des Meisterjüngers

Dieser eine, das war der Engländer Houston Stewart Chamberlain, der sich mit seinen giftigen, in Bayreuth auf fruchtbaren Boden fallenden Ideologien in „Wahnfried“ eingenistet, ja sogar die Komponistentochter Eva geheiratet hatte. Heute ist Chamberlain eine fast vergessene Randnotiz im Wagner-Universum. Als 1899 seine „Grundlagen des XIX. Jahrhunderts“ erschienen, avancierten sie pfeilschnell zu einer der meistgelesenen politischen Kampfschriften ihrer Zeit. Bis hin zu Kaiser Wilhelm II. wurde das Pamphlet goutiert und verbreitet. 1923 erschien schließlich an der Walstatt des siechen Schriftstellers einer, der leider nicht nur im Mief des Bayreuther Kreises als Heilsbringer und Erlöser gefeiert wurde: Adolf Hitler.

Götterdämmerung: Cosima Wagner (Christina Niessen) am Klavier, auf dem man ihren geliebten Richard aufgebahrt hat
Wagner-Schwiegersohn und Judenhasser Houston Stewart Chamberlain (Matthias Wohlbrecht) radikalisiert in „Wahnfried“ die ganze Familie
Quelle: falk von traubenberg

Großartig, wie dieser Hitler (von Eleazar Rodriguez konzentriert gesungen) in Keith Warners brillant beziehungsreicher, auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses spielender Inszenierung aus der bereits brennenden Schusterstube des ach so deutschen Meistersingers Hans Sachs beiläufig heraustritt, ein einfacher Soldat zunächst, Meisterjünger genannt.

In Sekunden gewinnt er, im Schoß der Familie von der im Rollstuhl zitternden Hohen Frau Cosima aufgenommen, an Statur und Stimme. Dorman lässt wieder einen seiner brutalen, aber auch kabarettistischen Märsche losknallen, mit denen er seine groteske Oper durchzogen hat. Und Winifred schneidet ihm den Schnauz zum Bartmarkenzeichen zurecht: A Nazi-Star is born! Ab geht es Richtung Götterdämmerung.

So frech wie böse

Man hätte mit dem schweren, fußangellastigen Stoff furchtbar bauchlanden oder einen fad-braven Historientonschinken pinseln können wie etwa Siegfried Matthus in seiner kammerspielartigen Nietzsche-Hommage „Cosima“. Hier aber langen alle Mitstreiter voll zu und verirren sich doch nicht im faktensatten Irrgarten der Familiensaga vom Grünen Hügel. In der Konzentration auf den fürchterlichen Chamberlain, dessen finstere Tiraden gerade wieder so fürchterlich aktuell sind (und der 2015 eine neue Biografie von Udo Bermbach bekam), wird vieles so nebenbei mit abgehandelt: als (wieder)erkennbares Gruppenbild der Wagners, in problematischer Familienaufstellung mit kräftigen Farben vorgeführt.

Herrin des Hügels, Herrin auch der Walküren: Cosima Wagner
Herrin des Hügels, Herrin auch der Walküren: Cosima Wagner
Quelle: falk von traubenberg

Der Text ist so frech wie böse, bekommt Tiefe durch die mit großem Orchester auffahrende Musik, die dumpf dröhnen kann oder blausilbern säuselt, die Melodien mag und meist nur mit dezenten, stark verfremdeten Wagner-Zitaten spielt, die pompöse Szenenschlüsse kennt, der aber dann doch wieder durch das zugespitzte Libretto jedes Pathos entzogen wird. Musikdirektor Justin Brown lässt es genüsslich krachen, kann es aber auch leise, subtil und subversiv. Große Wagner-Oper eben, satirisch intelligent kleingemacht.

Das hebt an mit dem Naturforscher Chamberlain (zurückhaltend intensiv: Matthias Wohlbrecht), der mit seiner eifernden Frau Anna (pompös: Barbara Dobrzanska) im Kulissenforst des „Siegfried“ auf Schmetterlingsjagd ist. Immer mehr verstrickt er sich dabei in das wagnersche Mythenwaldweben und lädt es mit seinen brandgefährlichen Hetzparolen auf. Am Ende wird er als Untoter im Irrenhaus zwischen der ersten, rüde abgelegten Ehedame und der tragischen Wagner-Tochter Isolde (Irina Simmes) – beide seine Opfer – weiter nach Insekten haschen.

Wann kommt die Fortsetzung?

Anzeige

Dazwischen liegt ein schriller, toller Bilderbogen mit Opernfiguren und historischen Personen. Die verknöcherte Cosima (Christina Niessen) altert ebenso wie der schwule Stammhalter „Fidi“ Siegfried (als Countertenor: Andrew Watts), der sich nach seinem Liebhaber als fliegender Holländer verzehrt und diesen ausbezahlt.

Jeder hat hier seinen prägnanten Auftritt: Drache, Schwan und Grane, Bakunin, der deutsche Kaiser und natürlich Wagners vertrocknende Töchter, allen voran Eva, die vom seppelhosentragenden Chamberlain beglückt wird. Und als Gegenspieler Hermann Levi (Renatus Meszar), der ungeliebte, weil jüdische „Parsifal“-Uraufführungsdirigent, als Marionetten-Amfortas.

Levi, dem einstigen Karlsruher Hofkapellmeister von 1864 bis 1872, wurde jetzt der Theatervorplatz offiziell gewidmet. Ähnlich umsichtig um Wirklichkeit bemüht, wurde „Wahnfried“ jetzt in die Mitte des dort entstehenden „Ring“-Zyklus platziert. Nun warten, wir wie bei jeder echten Soap-Opera, ungeduldig auf die Fortsetzung. Zweiter Teil: „Der braune Hügel“. Dritte Folge: „Und ewig reiten die Walküren“.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema