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Der fliegende Holländer

Romantische Oper in drei Aufzügen WWV 63 (1843 / 60)
nach Heinrich Heines "Aus den Memoiren des Herrn von Schnabelewopski" (1834)
Musik und Dichtung von Richtung Wagner

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 15 Minuten (keine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 11. Februar  2017

 



Staatsoper Hannover
(Homepage)

Gruftie-Girl und tote Kuh

Von Bernd Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk

„Wo immer man die Partitur aufschlägt, weht einem der Wind entgegen“, soll Franz Lachner bei der Einstudierung von Wagners Der fliegende Holländer für die Münchner Erstaufführung einst gespottet haben. Wer Wind sät, wird Sturm ernten und in heutiger Zeit assoziiert man dann schnell einen Tsunami. Das ging Regisseur Bernd Mottl bei seiner Neuinszenierung für das Staatstheater Hannover offenbar ebenso und so hat er mit Bühnenbildner Friedrich Eggert die norwegische Seefahrergeschichte in ein zerstörtes Einkaufszentrum ohne nähere Ortsbezeichnung verlegt. Das Stürmen überlässt er der Musik und so ist das Thema Sturm nach der Ouvertüre für die Inszenierung abgehakt. Zwei Etagen und ein Untergeschoß bilden das leicht schräg liegende Einheitsbühnenbild. Die rechte Seite des Gebäudes ist abgerissen und ein Teil liegt umgestürzt daneben. Eine Rolltreppe verbindet das Erdgeschoss mit dem ersten Stock, auf den die Flutwelle eine tote Kuh gespült hat. Die Rolltreppe zur zweiten Etage ist abgerissen, die ins Untergeschoß existiert noch.

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Shavleg Armasi (Daland, r.), Stefan Adam (Holländer)

Dalands Mannschaft ist das Aufräumkommando mit Atemschutz und Spatenballett. Er selbst ist nicht der verschmitzte, biedermeierliche, gemütliche Kapitän (wie er musikalisch charakterisiert ist), sondern ein eleganter Geschäftsmann mit schickem Regenmantel und wasserdichtem Rollkoffer, der seine Markenschuhe nicht nur poliert, sondern auch küsst. Wahrscheinlich liebt er sie mehr als seine spinnerte Tochter, die er nur zu gern verschachert. Sein Steuermann zeigt sich als verstörter, hochneurotischer Feigling, der sich zu seinem Nicht-einschlaf-Liedchen an einer Schaufensterpuppe vergreift. Die Mannschaft des Holländers besteht aus schwarzen Figuren der Mythologie und Geschichte (Kostüme: Doey Lüthi). Der Verfluchte selbst kommt in seinem tiefschwarzen Renaissance-Kostüm auch optisch „aus der Ferne längst vergang’ner Zeiten“. Wenn er seine Schätze besingt, leuchten sie hinter den Metallrollos der geschlossenen Boutiquen hervor. Seinen Reichtum scheint er auch als Plünderer erlangt zu haben.

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Kelly God (Senta), Damenchor

Die Mädchen des zweiten Aktes haben mit der Arbeit in einer Spinnstube keine Verträge und kommen im Gleichschritt tänzelnd vom Shoppen (dabei ist das Einkaufszentrum immer noch zerstört, nebst toter Kuh). Uniform in Pelzmänteln, Sonnenbrillen und Frisuren tänzeln sie mit den gleichen Papiertaschen über die Bühne. Mary erscheint im blauen Kleid mit bedeutungsschwangerer blonder Frisur nebst Zopf und dicker alter Bibel. Sie richtet die vom Steuermann geschändete Schaufensterpuppe wieder auf und verklärt sie zur Madonnenfigur. Dass Senta das ganze Brimborium anwidert, ist nachvollziehbar. Dass sie sich zu einem Deko-Seeräuberkapitän aus dem Märchenbuch auf die Schatzkiste zurückzieht, auch. Aber dass sie sich dem Satanskult verschrieben hat und als trampeliger Gruftie erscheint, sich mit schwarzen Kerzen umgibt und auf dem Kopf stehende Kreuze an die weißen Säulen sprüht, ist nur eine kurzgedachte Parallele zur Herausforderung Satans, die dem Holländer seinen Fluch eingebracht hat. Senta will sich nicht mit ihm vereinen, sondern ihn erlösen, Senta wird von Liebe bewegt, vom Göttlichen, vom Reinen. A propos rein: Erik ist vom Jäger zum Kammerjäger geworden und kommt mit dem Desinfektionsmittelkanister auf dem Rücken direkt von der Arbeit (was nach einer solchen Naturkatastrophe zumindest nachvollziehbar erscheint). Senta entzieht sich ihm, weil sie den Vater begrüßen und ihn nicht verärgern will, sie zieht Daland sogar die Stiefel aus – passt das zu einem trotzigen Gruftie-Girl?

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3. Akt; Chor und Extrachor, Statisterie

Im dritten Akt feiert das Einkaufszentrum mit weißblauen Luftballons geschmückt offenbar Wiedereröffnung (obwohl es immer noch zerstört ist und obwohl immer noch die tote Kuh im ersten Stock liegt…) Mädchen- und Matrosenkostüme in weiß-blau mit rotem Halstuch wie aus einem Kinder-Bilderbuch wirken wie billige Abziehbilder. Wenig Sinn macht es, die Mädchen gleich zu Beginn mit den Matrosen tanzen zu lassen, wenn sie gleich danach singen „Mein! Seht doch an! Sie tanzen gar! Der Mädchen bedarf's da nicht, fürwahr!“ Das ist nur eine Kleinigkeit, die aber beispielhaft dafür steht, dass der Text für einen billigen Effekt ignoriert wird. Oder ist das mal wieder einer dieser „interessanten Brüche“? Der Chor der Holländischen Mannschaft wird über Lautsprecher eingespielt, der dämonische Effekt des Chor-Wettsingens bleibt aus. Ein Matrose wirft eine brennende Fackel in das Untergeschoß, in das sich die Holländermannschaft zurückgezogen hatte und setzt es in Brand. Ob die tote Kuh dann später zum Brandopfer wird? Das Aufstöhnen Sentas, wenn Erik kurz vor ihrer Hochzeit mit dem Holländer schon wieder bei ihr vorspricht, würde jedem Boulevard-Theaterstück Ehre machen. Der beleidigte Holländer schreitet zu seiner Mannschaft ins Feuer, Senta reckt die Hand in die Höhe, als hielte sie den Ring des Nibelungen darin und geht ihm nach.  Dann „sehen die Männer und Frauen in höchster Ergriffenheit dem wachsenden Feuerschein“ zu – die Götterdämmerung lässt grüßen. Der Steuermann, als einziger immer noch in der verdreckten Arbeitskleidung, kommt mit einem lebenden Küken oder Vogel (so genau ist das selbst aus der siebenten Reihe nicht zu erkennen) auf die Bühne und zieht die Aufmerksamkeit auf sich.

Wirklich überzeugen kann in dieser Inszenierung nur die eindrucksvolle Kostümierung des Holländers und seiner Mannschaft. Mit ihren klischeehaften Figuren und Choreographien mutiert diese szenische Umsetzung fast schon zu einer Revue, will aber doch bedeutsam sein, was aber so überhaupt nicht gelingt. Auch nicht mit einer toten Kuh als optischem Leitmotiv.

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Kelly God (Senta), Stefan Adam (Holländer)

Und auch nicht mit der Sängerbesetzung. Stefan Adam gestaltet den Holländer als gebrochenen, an keine Hoffnung glaubenden Menschen und singt ihn auch entsprechend – ohne ausgesungene Phrasenenden, mit oft brüchiger, rauer Stimme, und ohne Dämonie, das klingt ein bisschen, als sei er erkältet (was dann aber angesagt gehört). Kelly God ist kostümlich arg gebeutelt, klingt aber auch eher hart und trotzig als anrührend und leidenschaftlich. Sie singt die Partie mit stahlhartem Sopran und setzt damit das Regiekonzept auch gesanglich um – mancher Spitzenton müsste dabei aber trotzdem nicht so scharf geraten. Shavleg Armasi lässt als Daland einen kultivierten, aber nicht satten Bass hören. Der Steuermann von Pawel Brozek könnte neben seinem Wohlklang noch etwas mehr Volumen vertragen, Julie-Marie Sundal singt eine ordentliche Mary. Robert Künzli zeigt als Erik, wie Wagnergesang klingen kann, wenn auch mit Schwächen im dritten Akt. Die immer wieder hörbaren Ansätze von Schluchzern sollte er sich schnell wieder abgewöhnen.

Glücklich wird man an diesem Abend nur mit dem Dirigat, das Franz Lachners oben zitierten  Ausspruch geradezu archetypisch bestätigt, denn die Stürme des Wetters und der Leidenschaften wehen gewaltig aus dem Orchestergraben heraus. Ivan Repušić dirigiert mit dem fliegenden Holländer seine erste Opernpremiere als GMD in Hannover. Herr und Haus kennen sich aber schon länger, denn Repušić war in den Jahren 2010 bis 2013 hier Erster Kapellmeister und stand bei zahlreichen Produktionen am Pult. Den Knalleffekt, dass mit dem ersten Ton der Ouvertüre das Licht im Zuschauerraum schlagartig ausgeht, hätte es nicht gebraucht, um den Zuhörer auf Anhieb gefangen zu nehmen. Voller Leidenschaft und jugendlichem Elan zieht er den Zuhörer in den Bann und lässt ihn nicht mehr los.  Eine Hochsee-Symphonie zwischen Klanggewalten und emotionaler Zartheit mit allen Varianten dazwischen, hochspannend und bewegend, vom wilden Wetter bis zum tristanesken Verklärungsschluss. Unter dem großen Bogen lässt er immer wieder feingearbeitete Details hören, ohne sich darin zu verlieren.
Mit Hannovers Staatsorchester steht ihm für eine adäquate Umsetzung dieses Konzeptes allerdings noch einige Arbeit bevor. Es klapperte und quietschte gewaltig und momentweise klang es wie bei einer ersten Verständigungsprobe. Einen solchen Reichtum an Patzern, verwackelten Einsätzen, unsauberen Tönen und dergleichen mehr hat man in Hannover lange nicht mehr gehört. Der Chor hingegen macht seine Sache ausgesprochen gut, was bei der zusätzlichen Belastung durch die ausgiebige Bewegungschoreographie doppeltes Lob verdient und über einzelne Schwächen hinwegsehen lässt.

FAZIT

Hannovers neuer GMD Ivan Repušić gibt einen fulminanten Opernpremieren-Einstand und gibt Wagner, was des Wagners ist, hochspannend, elanvoll und mitreißend. Die gesanglichen Leistungen können hingegen weniger überzeugen. Die szenische Umsetzung noch weniger.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Ivan Repušić /
Mark Rohde

Inszenierung
Bernd Mottl

Bühne
Friedrich Eggert

Kostüme
Doey Lüthi

Licht
Elana Siberski

Choreographie
Anastasiya Bobrykova

Chor
Dan Ratiu

Dramaturgie
Christopher Baumann

 

Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover

Chor und Extrachor der
Staatsoper Hannover

Statisterie der
Staatsoper Hannover


Solisten

*Premierenbesetzung

Der Holländer
*Stefan Adam /
Bjørn Waag

Daland
*Shavleg Armasi /
Tobias Schabel

Senta
Karine Babajanyan /
*Kelly God

Erik
*Robert Künzli /
Eric Laporte

Mary
Khatuna Mikaberidze /
*Julie-Marie Sundal

Steuermann
*Pawel Brozek /
Edward Mout



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




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