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Die Seelen hinter dem Rachewahn Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger
Es ist
eine wilde Geschichte, die durch Elektra tobt,
eine der genialsten Opern von Hugo von
Hofmannsthal und Richard Strauss und eine der
genialsten Opern überhaupt: Klytämnestra hatte
zusammen mit ihrem Liebhaber Aegisth ihren
Gatten Agamemnon im Bade ermordet, als er sich
nach seiner Heimkehr den Staub des Trojanischen
Krieges abwaschen wollte. Sie konnte es ihm
nicht verzeihen, dass er bereit war, ihre
gemeinsame Tochter Iphigenie den Göttern zu
opfern, um wiederauflebende Winde für die
Überfahrt nach Troja zu erwirken. Dass Iphigenie
noch lebt, weiß sie nicht, das ist aber auch
unerheblich, denn die Bereitschaft zur Opferung
allein hat in Klytämnestra Leid und Hass
entflammt. Obendrein war sie wütend, dass er 10
Jahre weg war und konnte ihn auch nicht mehr
brauchen, denn mittlerweile war sie schon mit
Aegisth liiert. Sie ist eine vom schlechten
Gewissen gequälte Frau, die nicht zur Ruhe kommt
und vergeblich Verständnis und Vergebung bei
Elektra sucht.
oben: Inna Kalinina (die
Schleppträgerin), Ulrike Schneider (Klytämnestra)
unten: Nayeon Kim (Die Vertraute)
Es
ist eine sehr blutige Rache, die
Regisseur Markus Dietz in den
Bühnenbildern von Ines Nadler und
den Kostümen von Henrike Bromber auf
der Bühne des Staatstheaters Kassel
lebendig werden lässt. Eine
bühnenhohe weiße Pappwand, aus der
auf zwei Ebenen immer wieder
Durchblicke und Durchgänge gerissen
werden und dann einen rot
ausgeleuchteten Hintergrund sichtbar
werden lassen, bildet neben dem mit
Wasser gefluteten Bühnenboden das
stilisierte Einheitsbühnenbild. Wenn
Elektra vom Mord an ihrem Vater
berichtet, läuft blutrote Farbe die
Wände herunter und mischt sich mit
dem Wasser – so wie sich das Blut
des im Bade ermordeten Vaters mit
dem Wasser gemischt hat – und wird
zu einem wortwörtlichen Blutbad.
Elektra erscheint wie der Teufel
persönlich mit Rauch und Dampf. In
scheinbar hoffnungsvollen Momenten
schwebt eine warm leuchtende
Glühlampe herab, bei mehr Hoffnung
mehr Lampen. Das Schwarzweiß-Denken
der Figuren wird auch durch
Beleuchtungseffekte mit den Farben
Rot und Weiß verdeutlicht. Mehr
Bühneneffekte gibt es nicht – und
braucht es auch nicht, denn das
Bühnenbild bildet nur den äußeren
Rahmen für eine ungeheuer spannende
und feingearbeitete Personenregie,
durch die der Regisseur hinter den
vom Wahn getriebenen Figuren echte
Menschen mit ihren Sehnsüchten und
Zerbrechlichkeiten zeigt.
Das
Hauptaugenmerk legt er
auf das Schicksal der
vier Geschwister, die
als Kinder-Doubles nicht
nur auf der Bühne
sichtbar sind, sondern
zuweilen auch in das
Geschehen
eingreifen. So ist
es Iphigenie, die ihrem
kleinen Bruder das Beil
abnimmt, um es ihrem
großen Bruder zu bringen
und es ist auch die
blutverschmierte
Iphigenie, die versucht,
ihre verzweifelte Mutter
zu trösten, ohne ihr
mitteilen zu können,
dass sie noch lebt.
Indem der Regisseur die
Vorgeschichte und die
Hintergründe beleuchtet,
erklärt er die
Beweggründe
Klytämnestras, ohne sie
zu entschuldigen, bringt
damit aber deutlich die
dringend benötigte
Dimension von
Verständnis und
Vertiefung ein. Zu
Elektras Erzählung
erscheint Agamemnon
leibhaftig, entführt das
Iphigenie-Kind und
bringt es scheinbar tot
und blutverschmiert
zurück. Streichelnd
versucht er, sich bei
den anderen Geschwistern
als guter Vater zu
zeigen, vielleicht auch
Verständnis oder
Verzeihung zu erwirken –
so, wie es Klytämnestra
später bei Elektra
versuchen wird. Doch nur
die erwachsene Elektra
umarmt ihn liebevoll und
kuschelt sich zärtlich
an. Doch ist es wirklich
Agamemnon? Oder doch
Orest? Der Darsteller
ist der gleiche.
Ingela Brimberg (Elektra)
Diese
Elektra ist kein wildes
Tier, sie ist eine
Besessene, eine
Getriebene, eine
Verschlagene und
Intrigante, die sehr
wohl weiß, was sie tut
und alle ihre
Möglichkeiten nutzt.
Doch sie ist auch eine
sehnsüchtige, verletzte
Seele, was in dieser
Charakterzeichnung
besonders in ihrem
Verhältnis zu
Klytämnestra deutlich
wird. Ja, sie versucht,
sie zu überreden, den
Bruder zurückkommen zu
lassen und setzt dazu
Mittel ein, die die
seelische Situation
Klytämnestras ausnutzen.
Aber da gibt es
Berührungen und Blicke,
die die Sehnsucht einer
Tochter nach der
Mutterliebe, ja sogar
ein Stück Mitleid zeigen
und die sich Frieden
wünschen. Wünsche und
Sehnsüchte, die dann
brutal, geradezu
psychoterroristisch
zerschlagen werden, wenn
nicht nur klar wird,
dass Klytämnestra nicht
mitspielt, sondern dass
es nie Familienfrieden
geben kann, weil sich
Elektra Orest nur zurückwünscht,
damit er den Rachemord an der Mutter vollziehen kann.
Klytämnestra erscheint
nicht als alte, kranke
Frau, sondern als
durchaus verführerisches
Vollweib, allerdings mit
einem deutlichen
Edelnutten-Anteil. Unter
ihrer blonden
Langhaarperücke ist sie
kurzgeschoren, was
einerseits an die
gesellschaftliche Strafe
für sexuelle Vergehen
aus einer gar nicht so
weit zurückliegenden
Vergangenheit erinnert,
andererseits aber das
mittelalterliche
Austreiben von bösen
Geistern durch das
Scheren der Haare
assoziieren lässt. Und
von bösen
Geistern=Träumen ist die
Dame ja zur Genüge
geplagt. An die
Kraft der Steine scheint
sie in Kassel allerdings
nicht mehr zu glauben,
denn mit denen ist sie
nicht behängt. Dass sie
ihre Erlösung auch in
der Lust sucht, wird
darin deutlich, dass sie
in Orest nicht ihren
Sohn erkennt, sondern
einen neuen Liebhaber,
den sie halb auszieht
und in ihr Schlafzimmer
entführt (Ödipus mal
andersherum). Der spielt
einen Moment mit, bevor
er sie dann brutal tötet
und damit seinen Auftrag
erfüllt – aber
keinesfalls Frieden
findet. Die Mythologie
berichtet, wie er als
Strafe für seinen
Muttermord von den
Erinnyen verfolgt wird,
die Regie zeigt das sehr
deutlich, wenn er nach
der Tat auf der oberen
Ebene der Bühnenwand
erscheint. Sein erster,
dämonischer Auftritt aus
der Dunkelheit („Ich
muss hier warten“) lässt
einem eiskalte Schauer
über den Rücken laufen –
ein scheinbarer
Rachegott, der sich dann
aber als ein Besessener
mit wilden mimischen
Zuckungen entpuppt.
Young Doo Park (Orest),
Ulrike Schneider (Klytämnestra)
Der Lebens-, Liebes- und
Kinderwunsch der
Chrysothemis bildet einen
deutlichen Kontrast, der
für einen Moment daran
erinnert, dass es ja auch
noch ein „normales“ Leben
gibt. Sie erscheint (wie
so oft) im Brautkleid,
singt die herrlichste
Musik, schaut aber selbst
doch nur, wie sie am
besten durchkommt und
hängt ihre Fahne in den
Wind. Eine immer elegant
gekleidete Mitläuferin,
die Orests Tat zum Schluss
am lautesten feiert und am
wenigsten dazu beigetragen
hat.
Viele szenische Details
zeigen zusätzlich, wie
genau der Text umgesetzt
wird. Die 5. Magd, die als
einzige für Elektra
spricht und dafür von den
anderen mit dem Kopf in
einem Wassereimer
gefoltert wird, hat
tatsächlich lange Haare,
mit denen sie Elektra die
Füße trocken möchte,
nachdem sie sie ihr
gesalbt hat. Und wenn
Elektra beklagt, dass ihr
Haar „versträhnt,
beschmutzt, erniedrigt“
ist, versucht ihr
Kind-Double sich im
blutigen Wasser vergeblich
die Haare reinzuwaschen.
So wie diese großartige
szenische Umsetzung den
Zuschauer mit Hochspannung
bannt, zieht Patrik
Ringborg ihn vom Pult aus
in einen geradezu
atemberaubenden
musikalischen Sog. Dabei
betont er mit oftmals
gedehnten, aber nie
überdehnten Tempi vor
allem die harmonischen
Anteile der Partitur,
lässt deutlich die
Anklänge zur Frau ohne
Schatten und auch zum
Rosenkavalier hören,
schwelgt nicht nur in
Chrysothemis‘ Sehnsüchten,
sondern arbeitet auch die
sanften Anteile Elektras
heraus. Umso prägnanter
wirken dann die scharfen
und harten Klänge. Orests
Auftritt, der wie oben
beschrieben schon szenisch
grandios ist, begleitet er
mit einem Tubablasen wie
zum Jüngsten Gericht. Das
Orchester ist bestens
disponiert und setzt das
Konzept seines GMDs
hochkonzentriert in
leidenschaftliche Klänge
um. Es ist Patrik
Ringborgs letztes
Opernpremieren-Dirigat als
GMD in Kassel, ein
Dirigat, mit dem er in
bester Erinnerung bleiben
wird.
Ingela Brimberg ist eine
ganz außergewöhnliche
Elektra. Selten hat man
die Partie so kultiviert
gesungen gehört, so
differenziert gestaltet
gesehen und so vielfältig
szenisch und gesanglich
interpretiert erlebt. Mit
vollklingender Tiefe und
eher etwas dunklerem
Timbre betont sie vor
allem die verletzte Seele
dieser jungen, durchaus
attraktiven Frau. Manch
einer mag die in dieser
Partie sonst oft gehörte
„Trompete“ in der Stimme
vermissen, aber davon gibt
es genug auf der Welt,
hier klingt etwas ganz
Besonderes, etwas sehr
Feinsinniges durch und das
steht der Elektra
außerordentlich gut. Vida
Mikneviciute singt die
Chrysothemis mit beseeltem
Sopran geradezu
steinerweichend. Die
Stimme strahlt und blüht,
wenn auch etwas
vibratoreich. Ulrike
Schneider gibt ein
Kabinettstück als
Klytämnestra, sowohl in
der bereits beschriebenen
Darstellung als auch
gesanglich. Dabei setzt
sie ihre reichen
interpretatorischen
Möglichkeiten ebenso
überzeugend ein wie ihre
vielfältigen stimmlichen
Ausdrucksvarianten. Als
Orest verbreitet Young Doo
Park mit gewaltiger, aber
kultivierter Stimmkraft
und dämonischem Ausdruck
Gänsehaut. Johannes An
wertet den kurzen Auftritt
des Aegisth mit
stimmlicher Präsenz und
Durchschlagskraft auf.
Überzeugend sind auch die
kleineren Partien besetzt,
wobei die Mägde nebst
Aufseherin besondere
Erwähnung verdient haben.
Einen ganz besonderen
Effekt erzielt der nicht
wie vorgeschrieben aus dem
Off sondern auf der Bühne
singende Chor mit
gewaltigen, eher
erschreckenden als
jubelnden Klängen, was dem
Drama einen ebenso
angemessenen wie
verstörenden Schlusspunkt
setzt. In der Oper – in
der Mythologie geht der
Wahnsinn weiter. Ein szenisch wie musikalisch ganz großer Opernabend! Psychoanalytisches Musiktheater vom Feinsten und Spannendsten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
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