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Vorn: Sofia Pintzou (Engel), Hinten: Sächsischer Staatsopernchor Dresden. Foto: © Forster
Vorn: Sofia Pintzou (Engel), Hinten: Sächsischer Staatsopernchor Dresden. Foto: © Forster
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Mehr Tuch als Fühlung – Der Salzburger Osterfestpiel-„Otello“ hatte Premiere an der Semperoper Dresden

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Es war ein echter Coup mit tieferer Bedeutung, als die Sächsische Staatskapelle und ihr Chef Christian Thielemann ihren Deal mit den Salzburger Osterfestspielen eingingen. Als den Berliner Philharmonikern und Simon Rattle für den von Herbert von Karajan einst erfundenen Ausflug in die Welt der Oper an die Salzach, in Baden-Baden ein noch üppiger gefüllter Brotkorb vor die Nase gehalten wurde und sie dem folgten, waren die Dresdner und Thielemann für die Nachfolge erste Wahl. Damit endete für das Sächsische Ausnahme-Orchester sozusagen die Nachkriegszeit und stellte die natürlich Rangordnung, einer auf Tradition beruhenden Qualität, wieder her. Für Salzburg springt seit vier Jahren bei diesem Deal heraus, dass ein genetisches Auch-Opernorchester im Graben sitzt, wo der Berliner Edelklangkörper bis dahin jedes Mal aufs Neue beweisen musste, dass er halt auch Oper „kann“. Und für Semperoper springt in dieser Kooperation eine 1A Produktion heraus, die in Salzburg sozusagen ihren Probelauf absolviert hat.

Bei der Übernahme der aktuellen „Otello“- Produktion liegt der Hauptvorzug für die Dresdner darin, dass sie mal wieder ihrem Kapellmeister im eigenen Haus zujubeln können. Der macht sich ansonsten nämlich ziemlich rar und gibt am Pult eher den Stargast als den Hausherrn.

Nun gibt es bei den noblen Osterfestspielen neben dem obligaten Klassentreffen der jeweils angesagten und berühmten Spitzeninterpreten ihrer Partien auf dem Besetzungszettel, gelegentlich auch spannende Inszenierungen. Die von Vincent Boussard gehört aber eindeutig nicht dazu. Die ist nicht nur völlig schmerzfrei für das Publikum, das bereit ist, in Salzburg ganz tief in die Tasche zu greifen. Sie ist auch völlig spannungsfrei. Was im Falle des Eifersuchts- und Intrigenthrillers von Shakespeare und Verdi fast schon wieder eine Leistung ist. Hier ist aber nicht nur der Modeschöpfer Christian Lacroix bei seinen Kostümen im allenfalls solide Konventionellen stecken geblieben. Diese Bühne in Schwarzweiss wird - im Auftakt-Sturmbild sogar ziemlich eindrucksvoll – von wehenden Tüchern (die fürs Segel und dann wohl fürs berühmteste Taschentuch der Geschichte stehen) beherrscht. Durch das projizierte und gedampfte Wabern schreitet immer wieder ein Schicksalsengel mit schwarze Flügeln und am Ende auch schwarzem Gesicht. Bei Otello selbst geht man jeder blackfacing Debatte aus dem Weg – Stephen Gould bleibt so weiß, wie er auch den Siegfried singt. Ansonsten bleibt es beim Abliefern der Partien. Mal an der Rampe. Mal auf einer Tafel mit lauter Kerzen. Konkrete Räume gibt es nicht, und die wohl psychologisch gemeinten abstrakten bleiben leer. Richtig ärgerlich wird das, wenn Otello bei seinem Ausraster in aller Öffentlichkeit von einem aufmarschierten Tableau umrahmt wird, mit einer niederknienden Desdemona in der Mitte. Und bei dem ziemlich spannungsfreien Mord in der weißen Kammer. Der eh schon flache Spannungsbogen fällt also zum Ende hin auch noch ab.

Dieses szenische Ärgernis kann man nur deshalb hinnehmen, weil es der Rahmen für ein Sängerfest ist, das zwar diesem Hause angemessen, aber selbst hier nicht immer hinzubekommen ist. Das fängt mit dem Luxus im Kleine an. Christa Mayer kommt als Emilia zwar wie immer zu spät, um die fiese Taschentuchintrige ihres Mannes aufzuklären und Otello damit vom Mord an seiner zu Unrecht des Treubruchs verdächtigten Gattin abzuhalten, aber sie gestaltet diese kleine Partie wie immer grandios. Und wer sonst kann schon den kurzen Auftritt des Dogen-Gesandten Lodovico mit einem Georg Zeppenfeld adeln? Antonio Poli als Cassio und Robin Yujoong Kim als Rodrigo lassen keine Wünsche offen.

Wirklich überwältigend freilich sind die drei Hauptpartien. Stephen Gould ist derzeit nicht nur einer der amtierenden Wagnerhelden vom Dienst, er ist auch ein durchweg hochsouveräner Otello. Die gerade mit einem Klassik-Grammy (ganz zu Recht!) geadelte Dorothea Röschmann ist eine so pianoexquisite wie kraftvoll leuchtende, alle Sympathien auf sich ziehende Desdemona. Bei Andrzej Dobbers Jago schließlich hatte man nur für einen kurzen Moment das Gefühl, der Erzschurke könnte ihm eine Spur zu edel geraten. Doch ab seinem Credo war klar, dass das nur die Tarnung war, um die Fäden der Intrige zu spinnen, in denen sich Otello dann auch prompt verfängt. Der Chor und Kinderchor des Hauses machen ihrem Ruf alle Ehre, halten sich auch wacker in den Stürmen, die Thielemann im Graben entfesselt. Der steuerte den Segler Otellos am Anfang durch eine in Wagnerorkanstärke aufgepeitschte See. Machte dann aber eine, wenn auch immer betont großformatige, gleichwohl perfekt sitzende Exkursion an das Land in dem die Eifersucht und Leidenschaft zerstörerische Triumphe feiern, daraus.

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