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König Edward II. und seine Kritiker
Von Roberto Becker / Fotos: © Monika Rittershaus Allein schon dass die Deutsche Oper eine Opernnovität in Auftrag gibt und sie mit der ganzen künstlerischen Kompetenz des Hauses im Rücken zur Uraufführung bringt, ist ein Ereignis, das den Beifall verdient, den Edward II. in Berlin jetzt bekommen hat. Auch wenn im Nachhinein hier und da genörgelt wurde, dass die Musik zu eingängig, das Thema nicht mehr skandalträchtig genug sei und der Frontalangriff auf die konservativen Grundfesten der Erwartungen ausblieb. So explizit das Thema Homosexualität auf die Bühne zu bringen, ist allerdings auch eine Epoche nach dem verschlüsselten Umgang von Benjamin Britten damit oder nach Harvey Milk selbst mitten in Berlin nicht ganz ohne. Man denke nur an die Hysterie über diverse Aufklärungsansätze im Südwesten der Republik oder "alternative" Landtagsanfragen nach dem Anteil der Homosexuellen an der Bevölkerung in Thüringen. Von der von islamistisch bis evangelikal grundierten Homophobie und dem Blick über unsere Grenzen Richtung Osten ganz abgesehen. Und dann stehen ja auch noch solche journalistischen Blackouts im Raum wie der von FAZ-Kritikerin Eleonore Büning mit ihrem "Was finden Homosexuelle an der Oper so toll?" in der FAS vom 04.09.2016. (Es käme halt auch auf die "klugen Köpfe" in und nicht nur hinter der aufgeschlagenen Zeitung an.) Dem fügte jetzt die Zeitautorin Christine Lemke-Matwey eine Glosse zu Edward II. von solch antischwulem Furor hinzu, dass sich der Chef des Bühnenvereins Ulrich Khuon zu einem offenen Brief genötigt sah. (Siehe unten den offenen Brief im Wortlaut.)
Ein gepfefferter Verriss ist der Kritikerin natürlich unbenommen. Die Weiterungen, mit dem sie ihn würzt, sind jedoch - noch dazu unter einem liberalen Logo - ziemlich befremdlich. Außerdem landet jeder, der laut und vernehmbar durchzählt, wer von denen, die diese Produktion in welcher Position auch immer verantworten und auf die Bühne gebracht haben, selbst schwul ist, in einer argumentativen Falle. Denn damit wird intendiert, dass ein solchermaßen Betroffener gleichsam nicht die Objektivität aufbringt, um das Thema seriös zu verhandeln. Sich mithin anders verhalten würde, als es heterosexuelle Komponisten, Librettisten, Regisseure, Sänger, Intendanten oder Dramaturgen täten, wenn sie das Thema behandeln würden. Wobei man sich außerdem fragt, wer unter dieser Prämisse dann eine klassische Mann-Frau Beziehungsgeschichte auf die Bühne bringen sollte.
Für sich genommen hat die zweite Opernnovität des Schweizer Komponisten Andrea Lorenzo Scartazzini über den, zumindest der Überlieferung nach, schwulen englischen König Edward II., seinen Liebhaber Piers de Gaveston und deren Konfrontation mit der offiziellen Königin Isabella, dem opponierenden Adel und dem Mob, seine Probe beim Publikum bestanden. Scartazzinis Musik ist eingängig und wechselt geschickt zwischen dramatischem Effekt und handlungstragender Eloquenz, denkt die Ängste (des Königs und Gavestons) ebenso mit wie den Furor der klerikalen Moralapostel in Gestalt des Bischofs, der mit den schwulenfeindlichen Passagen des Alten Testaments herumfuchtelt und die Massen mobilisiert.
In der Inszenierung von Christof Loy taucht das Volk im Alltagszivil und mit den einschlägigen Vater-Mutter-Kind Plakaten auf, die auch mancher konservative Wutbürger zum Beispiel in Stuttgart gerne vor sich herträgt, wenn es gegen die Lehrpläne geht. Loy zelebriert, Jonigks Libretto folgend, bewusst einen historischen Brückenschlag. Einerseits sind da die Jahrzehnte um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert, in denen Edward II.(wohl eher schlecht) regierte, abgesetzt und dann bestialisch ermordet wurde und Gaveston den Bogen als Favorit des Königs so überspannte, dass man ihn auch heute im liberalsten Land der Welt irgendwie kaltstellen müsste. Andererseits ist da unsere Gegenwart, die der Königin modern kalkulierende Reflektiertheit in den Mund legt, aber auch dem Mob das Vokabular liefert und im Falle der beiden komischen Figuren im Stück (die diversen Shakespeare-Vorbildern nachempfunden sind) die Tunten-Klischees auf den halbnackten Leib schneidert, die auch beim Rosa Karneval oder im Käfig voller Narren passen würden. Problematisch wird das nur, wenn auf offener Szene die Frage diskutiert wird, ob die Sodomiten oder die Juden das gefährlichere Übel seinen. Da erkennt man die Absicht, doch die Zweifel am Gelingen der Umsetzung überwiegen. Auch der Kommentar zum ganzen Stück und der Rolle, die Edward II. für die Gay-Community zugewiesen wird, kommt etwas aufgesetzt daher. Da wird eine Touristengruppe durch ein Schloss geführt, in dem die Ermordung Edwards (bzw. der Moment kurz davor) wie im Wachsfigurenkabinett nachgestellt ist.
Meistens aber funktioniert der Wechsel zwischen (Alp-)Traumsequenzen und Fortgang der in zehn Szenen erzählten Geschichte. Fulminant gelingt vor allem die erste Szene, bei der der Mob im spießbürgerlichen Straßenanzugsgrau dem König und Gaveston voller Hohn zu ihrer Hochzeit huldigen. Gaveston steckt dabei in einem Brautkleid und ist von einer Vergewaltigung blutverschmiert. Das Ganze erweist sich da noch als Alptraum, den freilich die Wirklichkeit bald einholt. Für die Szenenfolge bietet die düstere Bühne von Annette Kurz, in deren Mitte ein Ruinen- Element Gotisches andeutet, den passenden, leicht wandlungsfähigen Raum. Thomas Søndergård ist im Graben der äußerst kundige Sachwalter für die dramatisch aufgeladene, aber auch sängerfreundliche Partitur. Als hasspredigender Bischof und als machtgieriger Anführer der Adelsopposition Roger Mortimer werfen sich Burkhard Ulrich und Andrew Harris in die Intrigantenbrust und bilden neben der Königin Isabella, die Agneta Eichenholz mit betörendem Sopran gestaltet, das personelle Gegengewicht zum König und seinem Geliebten. Als shakespeareartige Clowns sind Markus Brück und Gideon Poppe in verschiedenen Rollen als Soldaten, Räte, Geistliche oder als Wärter und am Ende als Tourguides gleichsam zwischen den Welten und Zeiten unterwegs. Dazu kommen noch Jarrett Ott als Engel im Pailettenkleid und James Kryshak als der auf personifizierte Banalität des Bösen festgelegte gedungene Mörder. Sie alle umkreisen die beiden zentralen Figuren: den Bariton Michael Nagy, der überzeugend zwischen Gejagtem und selbst zum Gewaltexzess neigendem Herrscher changiert, und Ladislav Elgr, der dessen Liebhaber Piers de Gaveston nicht nur auf den Exzentriker reduziert. Dem Knabensopran Mattis von Hasselt obliegt es als junger Prinz Edward zu berichten, wie man Gaveston zur Strecke gebracht hat. Mit bewährter Souveränität macht Loy aus all den Einzelstudien ein meistens ergreifendes Ganzes.
Der Deutschen Oper Berlin ist mit Edward II. eine packende Uraufführung zu einer Thematik gelungen, die nur scheinbar längst erledigt ist.
Offener Brief des Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins, Ulrich Khuon, zum ZEIT-Kommentar von Christine Lemke-Matwey Verblüfft und erschrocken lese ich die Glosse von Christine Lemke-Matwey, der Musikkritikerin der ZEIT, die die von ihr beanstandete mangelnde Qualität der Oper 'Edward II.' in der Deutschen Oper Berlin kurzschließt mit der Homosexualität des Regieteams, ja überhaupt einiger Verantwortlicher in der Deutschen Oper. Das Ergebnis: "jämmerlich", die Verantwortlichen: "schwul". "Schwul" wird hier als Zuschreibung benutzt, die Menschen auf ein einziges Merkmal reduziert - als wäre klar, welche Träume, Haltungen, Wünsche, Geschmäcker der Komponist, Librettist, Intendant haben, weil sie schwul sind; als wäre damit schon gesagt, um was für Menschen es sich handelt. Das ist ein Merkmal diskriminierender Diskurse. Die Sprache, die Metaphernfelder und Konnotationen, die hier aufgerufen werden sind in höchstem Maße irritierend. "Schwule" bringen "jämmerliche" Kunst hervor, der schwulen Community wird "ein vitaler Opfersinn" unterstellt und in der Inszenierung gehe es "nur um Sex", anders als in der "heterosexuell grundierten Operngeschichte" - das reproduziert alte, homophobe Bilder und Zuschreibungen. All dies passt hinein in eine Tendenz forcierter normativer Normalitätswünsche und einen sich schon wieder auflösenden Respekt vor Diversität. "Man wird doch mal sagen dürfen", lautet die Devise. Gerade in einer Zeit, in der die Freude am Unterschiedlichen und die Kraft von diversen Gemeinschaften zugunsten einfacher Identitäten vernachlässigt werden, kann sich das Theater als Ort der Kollaboration nicht auf verkürzte Antworten beschränken. Vielmehr kann hier ein gelebter Universalismus, der Differenzen und unterschiedliche Bedürfnisse anerkennt, sie aber nicht wertet, als Entwurf erprobt werden. Das macht viel Arbeit und bedeutet ständige Aushandlung, Reibung, Überprüfung der eigenen Perspektiven und Zusammenhänge - ist aber ein Weg, über sich und die eigenen Horizonte und Begrenzungen hinauszuwachsen.
Ulrich Khuon Anmerkung der Redaktion: Die Glosse von Christine Lemke-Matwey ist nur in der gedruckten Ausgabe der ZEIT veröffentlicht, daher können wir diesen Text leider nicht verlinken. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chöre
Dramaturgie
Solisten
Edward II.
Isabella
Piers de Gaveston
Roger Mortimer
Walter Langton, Bishof von Coventry
Lightborn
Engel
Soldaten / Räte / Geistliche /
Prinz Edward
Spencer Jr.
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