Der große Heimkehrer der Weltgeschichte, Odysseus, stürzt schreiend die Stufen in das Foyer herab. Bekleidet mit aufgerissener Cargohose und mit Schmutz beflecktem Wollpullover schleppt er sich durch die Zuschauermenge. Im sphärischen Klang Monteverdis bricht er unter den Eindrücken seiner Jahrzehnte währenden Irrfahrt auf einem Podest zusammen. Die allegorischen Mächte der Zeit, des Schicksals und der Liebe nehmen von dem griechischen Helden Besitz, dringen in ihn ein. War er nach dem sagenumwobenen Krieg um Troja mit Klugheit und List dem Zyklopen entkommen und dem Gesang der Sirenen entgangen, muss er sich in seiner Heimat Ithaka der göttlichen Macht beugen. Noch bevor die Musik verklungen ist, stürmt Odysseus, gefolgt vom Publikum, auf die Bühne des Opernhauses davon.

Der Prolog zur 1640 uraufgeführter Oper Il ritorno d’Ulisse in patria bildet in der Spielzeit 2016/2017 den Beginn eines Monteverdi-Zyklus am Nationaltheater Mannheim. In der szenisch geistreichen Handschrift von Markus Bothes Regie und unter dem Eindruck des dramaturgisch sinnfälligen Dirigats von Jörg Halubek gelingt gemeinsam mit dem Gastorchester Il Gusto Barocco ein fulminanter Auftakt. Dass dieser am Premierenabend zum barocken Feuerwerk gerät, ist nicht allein dem in den Zuschauerraum ragenden Bühnenraum von Robert Schweer und den ausladenden Kostümen von Justina Klimczyk geschuldet, sondern auch einem darstellerisch und stimmlich brennenden Sängerensemble.

Mit der Rückkehr des Helden beginnt sich die Bretterbühne, die aus mehreren Ebenen besteht, in Bewegung zu setzten. Die Zeit des Wartens der aus dem antiken Sparta stammenden Königin Penelope, die sie sich im monumentalen Stillstand versinnbildlicht findet, endet hier. Während zunächst die Phäaken und später auch die Götter jenen aus zwei kreisrunden Bahnen bestehenden mythologischen Bühnenkosmos in Bewegung setzen, erscheint Odysseus auf einer der Erhebungen. Immer wieder schieben sich die einzelnen Elemente der übergroßen Spielfläche ineinander, werden gegenübergestellt und lösen sich voneinander. Penelopes Vertrauen auf ein Wiedersehen mit ihrem geliebten Gatten und ihre durch die Belagerung der Freier hervorgerufene Verzweiflung spiegeln sich im Drehen und Erstarren der Szenerie ebenso wider wie Odysseus' Hoffen auf Erlösung und seine Zweifel am eigenen Schicksal.

Aus den unterschiedlichsten Theatertraditionen lässt Bothe in einem der frühesten Dramen des Musiktheaters Figuren der commedia dell’arte auferstehen. Er führt mit Kostümen und Masken ein Spiel zwischen Schein und Sein, wie es sich zur Zeit Shakespeare äußerster Beliebtheit erfreute, und lässt die Verehrer Penelopes im Prunk der Tudorzeit am Bogen des Eurytos verzweifeln. Dass es ihm hierbei gelingt, jenes von der vielschichtigen Handlung durchdrungene Beziehungsgeflecht zwischen dem Helden und seiner Gemahlin am Ende auf ein realistisches Beziehungsdrama auszuweiten, ist brillant: Als Penelope im hochgeschlossenen Kleid ihren Gatten endlich erkennt, bricht das Kriegstrauma des Helden aus. Zu seinen Füßen liegen die Leichen der von ihm erstochenen Verehrer; das Blut läuft ihm über die linke Wange. Eine Rückkehr in die Heimat scheint Illusion.

Gleich wie die Götter in die Handlung eingreifen, so wird die Szene auch von dem in der Mitte des Bühnenbildes sitzenden Orchesters mitgestaltet. Im kammermusikalischen Klang der fünfzehn Musiker des Stuttgarter Barockorchesters ließ Jörg Halubek am Premierenabend vom Cembalo aus die Gefühle der Protagonisten greifbar werden. Die Partitur, die in einer Handschrift aus dem 17. Jahrhundert überliefert ist und keinerlei Angaben zur Instrumentation birgt, fächerte er mit einem hervorragenden, auf Melodik und Dynamik der Handlung bezogenen Continuo auf. Mit Barockharfe und Orgel schuf er ein dynamisch schillerndes, von den Blockflöten und Zinken umwobenes Klangbild im Sinne einer historischen Aufführungspraxis.  

Der Bariton Nikola Diskić verlieh der Titelpartie mit lyrisch-warm tönender Stimme dramatische Tiefe, die er durch die eindrucksvolle Darstellung ihrer Schwächen und Ängste noch zu steigern wusste. Ihm zur Seite stand mit äußerst dramatischem Mezzosopran die sich in Verzweiflung aufzehrende Sopranistin Marie-Belle Sandis als Penelope. Neben einem sehr gefühlvoll gestalteten Telemaco von David Lee überzeugte der mit klarer, reiner Stimme gegebene Hirte Eumete von Christopher Diffey.  

Grandios waren Valentin Anikin und die beiden Mitglieder des Mannheimer Opernstudios Pascal Herington und Ilya Lapich. Wie sie als Freier um die Gunst Penelopes warben, sie bedrängten und sich anschließend mit Alkohol betranken war großartig in Szene gesetzt. Dies wurde noch von ihrer gesanglichen Leistung, Anikins innigem Bass, Heringtons schmelzendem Tenor und jugendlich klarem Falsett sowie Lapichs strahlendem Bariton, übertroffen. Der Tenor Uwe Eikötter bestach als wohlbeleibter Schmarotzer Iro und rührte mit zartem, leisem Timbre in seinem Abschiedsgesang.

Neben dem schlank geführten Tenor Christoph Wittmanns in der Partie des Jupiter und dem satten Bassbariton Bartosz Urbanowicz in der Rolle des Neptun brillierte Ludovica Bello als Minerva. In ihrem abwechslungsreichen Spiel, in dem sie vom Hirtenjungen bis zum Flug mit Telemaco in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfte, sowie ihrem ausdrucksstarken, schön fließenden Mezzosopran schuf sie in diesem späten Werk Monteverdis wahrhaft einen Hauch des Göttlichen.

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