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Kritik - "Tristan und Isolde" in Gelsenkirchen Dennoch am Ende viel Jubel

Drei Opernhäuser hat das Ruhrgebiet, und jetzt auch drei "Tristan und Isolde"-Inszenierungen. Doch in Gelsenkirchen war das Liebesdrama szenisch wenig durchdacht und damit eher rätselhaft als mystisch - trotz Mondkugel.

Das kommt auch nicht alle Tage vor, dass sich Sängerstars von den Bayreuther Festspielen ausgerechnet nach Gelsenkirchen verirren, an das dortige Musiktheater im Revier. Über zehn Jahre wurde dort überhaupt keine Wagner-Oper mehr gespielt, und an "Tristan und Isolde" kann sich wohl kaum noch ein Abonnent erinnern: Die letzte Gelsenkirchener Aufführung liegt rund 25 Jahre zurück. Insofern war es bemerkenswert, dass mit Catherine Foster als Isolde kein geringerer als die aktuelle Bayreuther Brünnhilde auf dem Besetzungszettel stand, gemeinsam mit dem unverwüstlichen Torsten Kerl als Tristan - er war bis 2014 auf dem Grünen Hügel als Tannhäuser zu erleben.

Die Wagner-Fankurve bebte

Da bebte die Richard-Wagner-Fankurve im Revier. Es gab stehende Ovationen - die Gelsenkirchener, die ins Theater gekommen waren, hatten somit allemal mehr Grund zur Freude als die Fußballfans. Schalke verlor ja bekanntlich 2:4 gegen Borussia Mönchengladbach. Ausgerechnet an Bundesliga-Spieltagen eine fünfstündige Premiere anzusetzen, das ist für das Musiktheater im Revier nicht ganz ohne Risiko, aber bis auf ein paar Plätze war der Saal voll. Musikalisch war es nicht nur wegen der überzeugenden Sängerstars ein mehr als achtbarer Abend: Auch Dirigent Rasmus Baumann begeisterte das Publikum, obwohl die Neue Philharmonie Westfalen nun wirklich nicht besonders viel Erfahrung mit Richard Wagner hat.

Es fehlt ein Chor für "Lohengrin"

Szenenbild Wagner-Oper "Tristan und Isolde", Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen | Bildquelle: Forster Bildquelle: Forster Doch bei viel prominenteren Orchestern sind mitunter deutlich mehr Wackler und verpatzte Einsätze zu hören. Natürlich gab es hier und da Koordinationsprobleme, vor allem mit dem Chor, insgesamt freilich glänzte Rasmus Baumann als sehr disziplinierter, energiegeladener und sängerfreundlicher Dirigent, zumal die Akustik hervorragend war. Die allerdings zeigte auch, dass speziell Catherine Foster nicht immer textsicher war und gern die End-Silben verschluckte. Nun mag es verwundern, dass Intendant und Regisseur Michael Schulz in der Wagner-Diaspora Gelsenkirchen ausgerechnet "Tristan und Isolde" angesetzt hatte, also das schwierigste und intellektuellste Musikdrama des Bayreuther Meisters. Doch populärere Wagner-Werke wie der "Fliegende Holländer" oder "Lohengrin" benötigen einen erfahrenen, großen Chor, den es in Gelsenkirchen nicht gibt. Daher "Tristan und Isolde", obwohl in Dortmund und Essen, also um die Ecke, zwei sehr sehenswerte Inszenierungen auf den Spielplänen stehen.

Regisseur muss radikal sein

Bei den Proben hatte Michael Schulz etwas Pech, da Sänger erkrankten und alle Beteiligten nur wenige Tage tatsächlich zur Verfügung standen. Vielleicht trug das zur verwirrenden und nicht sehr zupackenden Inszenierung bei. Es gibt ja Opern, da kann ein Regisseur radikal sein, und solche, da muss ein Regisseur radikal sein. Letzteres gilt für "Tristan und Isolde", einfach deshalb, weil es wenig äußere Handlung, aber eine revolutionäre Musik gibt. Die erfordert überwältigende Bilder und ein glasklares Erzähl-Konzept. Beides fehlte in Gelsenkirchen leider.

Kostüme im Second-Hand-Look

Stattdessen hatte Kostümbildner Renée Listerdal den Mitwirkenden eine wenig kleidsame, ja hässliche Garderobe verpasst, halb im Stil der Wagner-Zeit, halb im irisch-keltischen Folklore-Look, wie ein Sammelsurium vom Second-Hand-Laden. Bühnenbildnerin Kathrin-Susann Brose blieb ähnlich unbestimmt und wahllos: Im ersten Akt viel Segeltuch, eine Hängematte und ein paar Holzgestelle, also Schiffs-Atmosphäre, im zweiten ein Spiegelkabinett, etwas Sternenhimmel, eine Mondkugel, im dritten schließlich nur noch schwarz-weiße Stoffbahnen und ein mysteriöser schwarzer Monolith wie aus dem Film "2001 - eine Odyssee im Weltraum". Das alles wirkte wild zusammengewürfelt, ebenso wie die optisch sehr uninspirierte Personenregie.

Sie sind der Liebe nicht gewachsen

Eine Geschichte wurde nicht erzählt, allenfalls ein Problem illustriert: Tristan und Isolde sind hier mit ihrer Liebe überfordert, ähnlich wie die vielen Menschen heutzutage, die enttäuscht darüber sind, dass ihr eigenes Beziehungsleben leider nie so aufregend ist wie das in Erotikfilmen. Wie zum Beweis turnte ein gutaussehendes Statistenpaar im Bett herum, während die nicht ganz so gelenkigen und schlanken Liebenden Tristan und Isolde daneben brav Händchen hielten.

Ein unmögliches und geschmackloses Bild, ebenso unpassend, wie der Einfall, die beiden Hauptdarsteller wenig dekorativ auf den Bühnenboden zu lagern. Dennoch am Ende viel Jubel, denn auch Sänger wie Almuth Herbst als Brangäne und Phillip Ens als König Marke erwiesen sich als erfreulich konditionsstark und berührend intensiv. Für die Wagner-Diaspora Gelsenkirchen ist das nicht wenig, aber "Tristan und Isolde" ist nicht nur in Dortmund und Essen schon plausibler gezeigt worden.

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