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Grand Opéra in opulentem Ambiente Von Thomas Molke / Fotos von © Lorraine Wauters - Opéra de Wallonie Obwohl die Opern von Giuseppe Verdi im Repertoire der Opernhäuser auf der ganzen Welt allgegenwärtig sind, führen seine Werke in französischer Sprache ein Schattendasein. So ist sein Meisterwerk Don Carlo äußerst selten in der für die Pariser Oper komponierten französischen Version von 1867 auf den Spielplänen zu erleben, und auch bei der 1855 mit großem Erfolg in Paris uraufgeführten Les vêpres siciliennes überwiegt meistens die italienische Fassung. Noch gravierender verhält es sich bei Verdis französischem Erstlingswerk Jérusalem. Lange Zeit galt die 1847 in Paris uraufgeführte Grand Opéra als eine bloße Übersetzung seiner vier Jahre zuvor an der Mailänder Scala mit überwältigendem Erfolg uraufgeführte Oper I Lombardi alla prima crociata, obwohl die Rahmenhandlung nicht nur von der Lombardei nach Toulouse verlegt und die Figurenkonstellation großteilig abgeändert worden ist, sondern auch neben den obligatorischen Balletteinlagen zahlreiche weitere musikalische Änderungen enthalten sind. Nachdem in der letzten Spielzeit die Oper Bonn mit der szenischen deutschen Erstaufführung unter Beweis gestellt hat, wie viel Potenzial in diesem unbekannten Werk steckt (siehe auch unsere Rezension), hat der Intendant der Opéra Royal de Wallonie, Stefano Mazzonis di Pralafera, die erste Produktion dieser Oper in Liège seit 1850 zur Chefsache erklärt. Gaston (Marc Laho) und Hélène (Elaine Alvarez) sollen heiraten (rechts: Isaure (Natacha Kowalski), dahinter Chor). Während bei I Lombardi die beiden Brüder Arvino und Pagano die gleiche Frau lieben und Pagano seinen Bruder aus Eifersucht töten will, liebt in Jérusalem Roger Hélène, die Tochter seines Bruders, des Comte de Toulouse. Diese wiederum liebt den jungen Gaston, Vicomte von Béarn, den sie nach dem erfolgreichen Kreuzzug heiraten soll, um damit auch gleichzeitig die beiden Familien miteinander auszusöhnen. Roger will Gaston töten lassen, doch der gedungene Mörder verübt durch ein Missverständnis einen Anschlag auf den Comte. Gaston wird dafür verantwortlich gemacht und muss ins Exil nach Palästina. Von Schuldgefühlen geplagt begibt sich Roger als Einsiedler ebenfalls dorthin und erfährt, dass sein Bruder noch lebt und nun vor den Toren Jerusalems steht, um die Stadt für die Kreuzritter einzunehmen. Hélène ist mittlerweile in die Gefangenschaft des Emir von Ramla geraten, wo sie erneut auf ihren Geliebten Gaston trifft. Als ihr Vater mit seinen Kreuzrittern in den Palast eindringt, und seine Tochter mit Gaston dort vorfindet, ordnet er sofort Gastons Hinrichtung an. Doch Roger befreit Gaston und lässt ihn als unerkannten Ritter an der Spitze der Kreuzfahrer gegen Jerusalem ziehen. Gaston gelingt es, die Stadt einzunehmen. Als er sich dem Comte zu erkennen gibt, bekennt der in der Schlacht tödlich verwundete Roger, dass er selbst für den Anschlag verantwortlich gewesen sei. Damit ist Gaston rehabilitiert und kann seine Geliebte Hélène doch noch heiraten. Balletteinlage im dritten Akt Das Regie-Team um Mazzonis di Pralafera verzichtet in der Inszenierung auf eine Aktualisierung der Geschichte und bleibt in den opulenten Kostümen von Fernand Ruiz und dem Bühnenbild von Jean-Guy Lecat der mittelalterlichen Handlung treu. So deuten hochragende quaderförmige Säulen auf der rechten und linken Bühnenseite und eine Rückwand mit zahlreichen Bögen zunächst den Palast des Grafen von Toulouse an, bevor die Säulen in Schräglage gebracht werden, um den Feldzug der Kreuzritter in Palästina und die damit einhergehenden Zerstörungen aufzuzeigen. Der Palast des Emirs erhält dann im dritten Akt einen orientalischen Anstrich, bevor dann schließlich vor der Befreiung Jerusalems ein Prospekt herabgelassen wird, auf dem die zu erobernde Stadt in ihren Umrissen zu erkennen ist. Mazzonis di Pralafera entschließt sich auch, das Werk nahezu ungekürzt zu spielen und einige der Balletteinlagen im dritten Akt zu integrieren, die in der Bonner Fassung komplett gestrichen worden sind. Ob dies dem Werk dramaturgisch gut tut, ist Geschmacksache. Zwar sind die vier Ballettszenen musikalisch schön und werden vom Orchester der Opéra Royal de Wallonie unter der Leitung von Speranza Scappucci auch beherzt umgesetzt. Dem Choreographen Gianni Santucci fällt allerdings szenisch nicht viel dazu ein, und so bleiben die vier Einlagen ein bloßes Divertissement im Palast des Emirs von Ramla und haben lediglich einen retardierenden Effekt. Dabei sind Gaston und Hélène gerade erneut voneinander getrennt worden, und man möchte als Zuschauer doch eigentlich wissen, wie es mit den beiden weitergeht. Ansonsten schafft Mazzonis di Pralafera in einer gut durchdachten Personenregie einen gelungenen Spannungsbogen. Verdis großartige Musik ist dabei ein Selbstläufer und lässt unter dem pointierten Dirigat von Scappucci das Publikum in wunderbaren Melodienbögen schwelgen. Großes leistet hier der von Pierre Iodice einstudierte Chor der Opéra Royal de Wallonie. Beim Pilgerchor "Ô mon Dieu!" im zweiten Akt ist die gleiche Leidenschaft zu spüren, die Verdi auch in den berühmten Gefangenenchor aus Nabucco gelegt hat. Stimmgewaltig ist auch der Frauenchor im dritten Akt, in dem die Frauen des Emirs Hélène als Gefangene begrüßen. Auch das große Gebet im vierten Akt, in dem die Pilger gemeinsam mit Roger Gott um Unterstützung bei der anstehenden Schlacht um Jerusalem bitten, geht in der eindringlichen Interpretation unter die Haut. Glückliches Ende für Hélène (Elaine Alvarez) und Gaston (Marc Laho) (rechts: Adémar de Montheil (Patrick Delcour), im Hintergrund: Chor) Die Solisten überzeugen ebenfalls auf ganzer Linie. Marc Laho, der im Januar dieses Jahres die Partie des Faust in Berlioz' La damnation de Faust in Liège noch krankheitsbedingt absagen musste, ist als Gaston stimmlich wieder voll auf der Höhe und präsentiert den Kreuzritter mit kräftigem Tenor und sauberen Spitzentönen. Hervorzuheben ist seine große Arie im dritten Akt, "Je veux encore entendre", wenn er in der Gefangenschaft des Emirs die Flucht plant und seiner Hoffnung Ausdruck gibt, seine Geliebte Hélène noch einmal wieder zu sehen. Mit Elaine Alvarez steht ihm als Hélène eine ebenbürtige Partnerin zur Seite, die nur das Gebet im ersten Akt, "Ave Maria", noch mit etwas starkem Vibrato ansetzt, dann aber zu einer warm timbriertem Mittellage findet, die zu dramatischen Ausbrüchen fähig ist und die Koloraturen mit leuchtendem Sopran aussingt. Einen musikalischen Höhepunkt markiert ihre Arie "Que m'importe la vie" im dritten Akt, in der sie den Sinn ihres Lebens in Gefangenschaft hinterfragt. Hier begeistert Alvarez mit dramatischen Höhen. Die Duette im ersten und dritten Akt werden von Laho und Alvarez innig gestaltet, wobei ihre Stimmen wunderbar miteinander harmonieren. Ivan Thirion stattet Hélènes Vater, den Comte de Toulouse, mit markantem Bariton aus. Auch Patrick Delcour punktet als päpstlicher Gesandter Adémar de Montheil mit profunden Tiefen. Roger (Roberto Scandiuzzi, links mit Victor Cousu als Soldat) plant, seinen Rivalen töten zu lassen. Star des Abends ist der Bass Roberto Scandiuzzi, der als Roger an der Opéra Royal de Wallonie debütiert. Scandiuzzi verfügt über eine schwarze Tiefe, die die anfängliche Bosheit der Figur wunderbar herausarbeitet. In seiner Arie "Oh! dans l'ombre, dans le mystère" im ersten Akt, wenn er den Mord an Gaston plant, überzeugt Scandiuzzi mit einer Schwärze, die andere Bösewichter der Opernliteratur wie Waisenknaben wirken lässt. Doch Roger ist zur Reue fähig, erkennt seine Schuld und zieht sich als Einsiedler nach Palästina zurück. In dem eindrucksvollen "Grâce mon Dieu! Ô jour fatal" vollzieht Scandiuzzi stimmlich und darstellerisch einen überzeugenden Wechsel und ist auch zu dramatischen Ausbrüchen nach oben fähig. Großartig gelingt dann auch das Terzett mit Laho und Alvarez am Ende des dritten Aktes, wenn er Hélène in den Armen seines ehemaligen Rivalen wiederfindet, aber nun gewillt ist, Gaston zu retten. So gelingt Scandiuzzi dann am Ende ein eindringlicher Abgang, wenn er als sterbender Roger gesteht, selbst für den Mordversuch an seinem Bruder verantwortlich zu sein. Zu Recht lässt er sich vom Publikum mit nicht enden wollendem Jubel feiern. Doch auch die anderen Solisten, der Chor und das Orchester werden mit großem Beifall bedacht. FAZIT Stefano Mazzonis di Pralafera stellt unter Beweis, dass Jérusalem ein musikalisches Meisterwerk Verdis und nicht bloß eine Übersetzung der Lombardi alla prima crociata ist.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühnenbild Kostüme Licht Choreographie Chorleitung
Chor der
Orchester der
Statisterie der
SolistenGaston, Vicomte de Béarn Hélène, Tochter
des Comte de Toulouse Roger,
Bruder des Comte de Toulouse Comte de
Toulouse Raymond Isaure, Hélènes Vertraute Adémar de Montheil, päpstlicher
Gesandter Un Soldat Un Héraut L' Émir de Ramla Un Officier Tänzerinnen und Tänzer
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E-Mail: oper@omm.de