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Musiktheater
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Mathis der Maler

Oper in sieben Bildern
Text und Musik von Paul Hindemith

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: 3 Stunden (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Staatstheaters Mainz am 18. März 2017


Staatstheater Mainz
(Homepage)

Das Wesentliche

Von Bernd Stopka / Fotos von Andreas Etter

„Hast du erfüllt, was Gott dir auftrug? Ist, dass du schaffst und bildest, genug? Bist nicht nur eignen Nutzens voll?“ – Fragen, die sich Künstler seit Jahrhunderten stellen. Kunst, die nicht nur dekorativ sein will, möchte ja immer etwas ausdrücken und bewirken, emotional, gedanklich bis hin zu gesellschaftlichen oder politischen Veränderungen – zunächst in ihrer Kunstform, zuweilen aber auch durch das direkte politische Engagement des Künstlers. Dabei stellt sich die Frage des Wie und Wieweit, der Mittel und der Wege. Ob man seine Ansichten und Haltungen nicht nur in den Werken ausdrückt, sondern wie Richard Wagner auf den Dresdner Barrikaden herumspringt oder wie Giuseppe Verdi Mitglied des ersten italienischen Parlaments wird, ob es Bänkelsänger oder Liedermacher sind, die ganz direkt Missstände ansprechen oder Miniaturenmaler, die den Papst als Esel darstellen oder heutige Karikaturisten, die genauso deutlich oder noch deutlicher werden – der Formen gibt es viele. Der Feinde auch. Und es gibt die konträre Seite, so wie etwa der greise Richard Strauss, der sich inmitten der Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges in Capriccio Gedanken darüber macht, ob in der Oper der Text oder die Musik den Vorrang haben sollte. Mitten hineingehen oder sich entziehen sind aber nur die Extreme. Die Frage, wie ein Künstler mit seiner Zeit und Welt umgeht, umfasst Dimensionen von Gedanken und Möglichkeiten. Welche der Mittel, die er zur Verfügung hat, von ihm genutzt werden und ob eine Zeichnung nicht eine genauso scharfe Waffe sein kann wie ein Schwert, gehören dazu. Seiner Umgebung und Verantwortung entziehen kann sich keiner (auch nicht die „Nicht-Künstler“), seiner Entscheidung auch nicht, egal wie sie ausfällt.

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Mathis (Derrck Ballard)

Auch Paul Hindemith befand sich in den schwierigsten politischen Verhältnissen, als er Text und Musik zu seiner 1938 in Zürich uraufgeführten Oper Mathis der Maler schrieb (die in Deutschland geplante Uraufführung hatten die Nazis verhindert) und die oben genannte Frage dem Erschaffer des Isenheimer Altars, dem Maler Mathis (Mathis Gothart Nitharts, genannt Matthias Grünewald), in den Mund legte. Den Text verfasste er selbst, denn geplante Zusammenarbeiten, zunächst mit Bertolt Brecht, dann mit Gottfried Benn, kamen nicht zustande.
Die Oper spielt zur Zeit der Bauernkriege und steht damit im unmittelbaren Zusammenhang mit Luther und der Reformation in ihren beabsichtigten und unbeabsichtigten Auswirkungen. Das Grundthema als solches ist allerdings zeitlos und immer aktuell. Es ist kein Zufall, dass sich das Staatstheater Mainz im 500. Jubiläumsjahr der Reformation dieser ganz besonderen Oper annimmt, die in und um Mainz spielt – der Stadt, deren berühmtester Sohn, Johannes Gutenberg, mit der Entwicklung des Buchdrucks an der Verbreitung von Wissen und Informationen ja nicht ganz unbeteiligt war.

Hausregisseurin Elisabeth Stöppler inszeniert das Werk etwas gekürzt in den Bühnenbildern von Annika Haller und den Kostümen von Su Sigmund als eine Art mittelalterliches Gauklerspiel auf einer bühnengroßen, quadratischen Spielfläche, die vor einem zunächst schwarzen Hintergrund leicht über dem Boden zu schweben scheint (Alt-Bayreuther mögen sich an die berühmte Scheibe erinnern). „HAST… ERFÜLLT … GOTT … AUFTRUG?“ steht mit Kreide auf dem Boden. Zum Vorspiel ergänzt Mathis die Worte zur alles beherrschenden Frage, unterstreicht das Wort „Gott“ und ergänzt ein Ausrufezeichen. Die Aufgabe ist gestellt.

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Mathis (Derrich Ballard), Schwalb (Lars-Oliver Rühl), Regina (Dorin Rahardja)

In gedeckten Farben gehaltene Kostüme schwanken zwischen Zeiten und Jahrhunderten und nehmen die Zeitlosigkeit des Themas auf. Requisiten gibt es so gut wie keine, weder den Schrein mit den angeblichen Gebeinen des hl. Martin, noch Bücher, noch am Schluss die wenigen Habseligkeiten, die Mathis zusammenpackt. Das konzentriert den Blick auf die wenigen Requisiten, die tatsächlich gezeigt werden und da ist vor allem das Band zu nennen, das Ursula Mathis als Liebespfand vor seinem „Auszeit-Jahr“ gab, das Mathis dann an Regina weitergibt und diese sterbend wiederum Ursula mit der Bitte überreicht, es Mathis als sein Liebespfand zurückzugeben. Es gibt keine wirkliche Liebesgeschichte in dieser Oper, aber dennoch Liebe, verletzte Gefühle und viel Menschliches. So ist Ursula entsetzt, dass Mathis ihr Liebespfand an Regina weitergab, wirft es zu Boden und geht energisch, beleidigt ab. Das steht im Libretto zwar anders, ist so aber ungemein stärker, ehrlicher, menschlicher. Ebenso stark ist der kurze, aber intensive Blick, den Mathis ganz am Ende auf das Band (das hier eher ein Tuch ist) wirft, während er, wenn auch nur in Gedanken seine Habseligkeiten packend, als letztes singt „Was ich liebte.“

Den Gedanken des anfänglichen Schriftzuges aufnehmend bringen die Protestanten keine Bücher in Riedingers Haus, um sie vor der Bücherverbrennung zu retten, sondern schreiben ihr Wissen mit Kreide auf die Spielfläche. Den zerstörungsbeauftragten Schergen werden dann auch keine Feuersbrände, sondern Putzlappen in die Hände gedrückt. Zum Beginn des vierten Bildes ist die Schrift dann auch folgerichtig zu einem grauweißen Farbgemenge geworden. Schatteneffekte und lebende Bilder sind weitere Gestaltungsmittel, die stilsicher eingesetzt werden. Die Schändung der Gräfin Helfenstein wird erschreckend, aber nicht provokativ angedeutet. Aufgeknüpfte Adelige hängen an Stangen aus dem Schnürboden über der Bühne. Anstelle der Schlacht wird ein Zweikampf zwischen Sylvester und Schwalb gezeigt, die symbolisch für die beiden sich bekämpfenden Seiten stehen. Alles geschieht in einem kalten Licht und auch wenn dauernd über die Kunst gesungen wird, sieht man kein Bild, keine Gemälde. Man sieht es nicht auf der Bühne, aber der Eindruck des Gehörten ist so stark, dass es vor dem geistigen Auge entsteht. Es gelingt nicht vielen Regisseuren, dies beim Publikum zu erreichen.

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Riedinger (Stephan Bootz), Ursula (Vida Mikneviciute), Herrenchor

Ganz besonders beeindruckend gelingt auch die Vision des Mathis, die sich zunächst durch einen Beleuchtungswechsel in warmes Licht ankündigt. Engelsfiguren, wie dem Isenheimer Alter entsprungen, betreten die Bühne, singende Figuren schweben vom Schnürboden herab. Dämonen und Leidende bedrängen Mathis gleichfalls. Auch hier wird mehr angedeutet als tatsächlich gezeigt, aber im Kopf des Betrachters entstehen Bilder, die man auf der Bühne gesehen zu haben schwören könnte. Ganz stark, ganz groß. Und ganz auf das Wesentliche konzentriert gibt der Apostel Paulus dem in Versuchung stehenden Antonius höchstselbst seine Antwort auf die große Frage:
„Du bist zum Bilden übermenschlich begabt. Undankbar warst du, untreu, als du dreist Göttliche Gabe verleugnetest. Dem Volke entzogst du dich, als du zu ihm gingst, deiner Sendung entsagtest. Kehre zurück zu beidem: Alles, was du schaffst, sei Opfer dem Herrn, so wird in jedem Werke er wirksam sein. Wenn du demütig dem Bruder dich bogst, ihm selbstlos dein Heiligstes zu bieten wagtest im eigensten Können, wirst du gebunden und frei ein starker Baum im Mutterboden stehen. Stumm, gross, ein Teil des Volkes, Volk selbst. Wenn man dir alles nahm und dich darob vergass: der Baum weiss nicht um seine Frucht. Und wenn sie dich gleich erschlügen: das Schöpfertum mit seinem Leibe zahlen, ist das schwer? Was du gesucht, gelitten, deinem Wirken gebe es den Segen der Unsterblichkeit. Geh hin und bilde.“
Es ist allerdings Kardinal Albrecht in Gestalt des heiligen Paulus, der das sagt und Albrecht hat sein Leben viel intensiver dem Schönen und Kunstvollen geweiht und sich – im fünften Bild der Oper – zwar Schulden tilgend, aber als künftiger Eremit doch der Realität entzogen. Die Antwort auf die Frage muss wohl doch jeder selbst finden und seine Begabungen und Fähigkeiten suchen, damit er weiß, was Gott ihm auftrug.

Das A und O dieser Inszenierung ist die ungeheuer intensiv gearbeitete Personenregie, die jeder Figur individuellen Charakter verleiht – und die kein Bühnenbild vermissen lässt, weil sie alles auf die Kraft des Werkes – des Textes und der Musik! – fokussiert. Es gibt keine Provokationen, keine konträren Sichtweisen (Ursulas Abgang bestätigt als Ausnahme die Regel), keine „interessanten Brüche“ - und doch ist es ein ungeheuer fesselnder und spannender Opernabend, der die Geschichte aber nicht einfach gefällig nacherzählt, sondern verdeutlicht, erklärt, erhellt. Dabei setzt diese Inszenierung dem Publikum keine Deutung vor, sondern nimmt es mit, regt Gedanken und Bilder an, nimmt das Publikum in seiner Mündigkeit ernst. Und dafür ist gar nicht genug zu danken und zu loben. Opernregie vom Feinsten, vom Allerfeinsten.

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Vision

Die leidenschaftliche, zuweilen minimalistische, dann wieder gewaltig auftrumpfende und alle Facetten dazwischen zeigende Musik, erfüllt nicht das Klischee, das der gelegentliche Opernbesucher beim Komponistennamen Hindemith erwartet (ähnlich wie bei Schönbergs „Gurreliedern“). Zitate und Bearbeitungen von Chorälen, Volksliedern („Es sungen drei Engel“…) und Streitgesängen der Reformationszeit erscheinen wie Urzellen, aus denen Hindemith eine der großartigsten und unter die Haut gehenden Kompositionen für die Opernbühne geschaffen hat. Diese Musik liegt bei Hermann Bäumer in den allerbesten Händen. Er leitet einen hoch intensiven, bewegenden, den Zuhörer in den Bahn ziehenden Opernabend der Extraklasse und schafft es in kongenialer Einigkeit mit der Inszenierung auch die nach den ersten Takten zunächst skeptischen und unruhigen Opernbesucher schräg hinter mir zu fesseln.

Derrick Ballard, die hier 2015 einen phänomenalen Sachs sang, teilt sich seine Kräfte für die ungeheuer anspruchsvolle und umfangreiche Partie des Mathis klug ein, beginnt leicht verhalten, lässt aber mehr und mehr seine Stimme klangvoll, warm- und wohlklingend strömen. Alexander Spemann gestaltet die Partie des Kunstliebhabers eindrucksvoll als eine mustergültige Kardinalsfigur, der man zuweilen auch stimmlich die Anstrengungen anmerkt, die Realität zu verkennen und nur das Schöne und Gute sehen zu wollen. Vida Mikneviciute ist eine selbstbewusst klingende Ursula, die ihren substanzreichen Sopran in wundervollen Farben aufblühen lassen und auch wieder sanft zurücknehmen kann, geradezu ideal für diese Partie. Ein stimmlicher Herzensöffner ist Dorin Rahardja als Regina, die mädchenhaft unschuldig klingt, aber dennoch über die nötige Durchschlagskraft verfügt. Stephan Bootz ist ein markanter Riedinger, Steven Ebel ein geradezu mephistophelischer Capito, Lars-Oliver Rühl ein stimmgewaltiger Schwalb, Johannes Mayer ein heller, giftiger Sylvester, Hans-Otto Weiß dröhnt herrlich als Domdechant. Chor und Orchester sind hochkonzentriert und engagiert.

FAZIT

Optischer Minimalismus fokussiert die Aufmerksamkeit auf Text und Musik in einer ungeheuer starken und fesselnden, ja faszinierenden szenischen Umsetzung, der die musikalische Seite nicht nachsteht. Ganz großes Musiktheater vom Allerfeinsten. Eine der beeindruckendsten Produktionen dieser Saison – auch überregional betrachtet. Nicht entgehen lassen!

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Hermann Bäumer

Inszenierung
Elisabeth Stöppler

Bühne
Annika Haller

Kostüme
Su Sigmund

Licht
Stefan Bauer

Chor
Sebastian Hernandez-Laverny

Dramaturgie
Anselm Dalferth



Philharmonisches Staatsorchester
Mainz

Chor und Extrachor des
Staatstheaters Mainz

Statisterie des Staatstheaters Mainz


Solisten

Albrecht von Brandenburg
Alexander Spemann

Mathis
Derrick Ballard

Lorenz
Ks. Hans-Otto Weiß

Wolfgang
Steven Ebel

Riedinger
Stephan Bootz

Hans Schwalb
Lars-Oliver Rühl

Truchseß
Georg Lickleder

Sylvester
Johannes Mayer

Der Pfeifer des Grafen
Frederik Bak

Ursula
Vida Mikneviciute

Regina
Dorin Rahardja

Gräfin Helfenstein
Geneviève King

Graf Helfenstein
Michael Peter

 


Weitere
Informationen

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Staatstheater Mainz
(Homepage)



Da capo al Fine

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