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Das Wesentliche
Von Bernd Stopka /
Fotos von Andreas Etter
„Hast du erfüllt, was Gott dir
auftrug? Ist, dass du schaffst und bildest, genug?
Bist nicht nur eignen Nutzens voll?“ – Fragen, die
sich Künstler seit Jahrhunderten stellen. Kunst, die
nicht nur dekorativ sein will, möchte ja immer etwas
ausdrücken und bewirken, emotional, gedanklich bis hin
zu gesellschaftlichen oder politischen Veränderungen –
zunächst in ihrer Kunstform, zuweilen aber auch durch
das direkte politische Engagement des Künstlers. Dabei
stellt sich die Frage des Wie und Wieweit, der Mittel
und der Wege. Ob man seine Ansichten und Haltungen
nicht nur in den Werken ausdrückt, sondern wie Richard
Wagner auf den Dresdner Barrikaden herumspringt oder
wie Giuseppe Verdi Mitglied des ersten italienischen
Parlaments wird, ob es Bänkelsänger oder Liedermacher
sind, die ganz direkt Missstände ansprechen oder
Miniaturenmaler, die den Papst als Esel darstellen
oder heutige Karikaturisten, die genauso deutlich oder
noch deutlicher werden – der Formen gibt es viele. Der
Feinde auch. Und es gibt die konträre Seite, so wie
etwa der greise Richard Strauss, der sich inmitten der
Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges in Capriccio
Gedanken darüber macht, ob in der Oper der Text oder die Musik den Vorrang haben
sollte. Mitten hineingehen oder sich entziehen sind aber nur die Extreme. Die
Frage, wie ein Künstler mit seiner Zeit und Welt umgeht, umfasst Dimensionen von
Gedanken und Möglichkeiten. Welche der Mittel, die er zur Verfügung hat, von ihm
genutzt werden und ob eine Zeichnung nicht eine genauso scharfe Waffe sein kann
wie ein Schwert, gehören dazu. Seiner Umgebung und Verantwortung entziehen kann
sich keiner (auch nicht die „Nicht-Künstler“), seiner Entscheidung auch nicht,
egal wie sie ausfällt.
Auch
Paul Hindemith befand sich in den
schwierigsten politischen Verhältnissen, als
er Text und Musik zu seiner 1938 in Zürich
uraufgeführten Oper Mathis der Maler
schrieb (die in Deutschland geplante
Uraufführung hatten die Nazis verhindert) und
die oben genannte Frage dem Erschaffer des
Isenheimer Altars, dem Maler Mathis (Mathis
Gothart Nitharts, genannt Matthias Grünewald),
in den Mund legte. Den Text verfasste er
selbst, denn geplante Zusammenarbeiten,
zunächst mit Bertolt Brecht, dann mit
Gottfried Benn, kamen nicht zustande.
Hausregisseurin
Elisabeth Stöppler inszeniert das Werk etwas
gekürzt in den Bühnenbildern von Annika Haller
und den Kostümen von Su Sigmund als eine Art
mittelalterliches Gauklerspiel auf einer
bühnengroßen, quadratischen Spielfläche, die
vor einem zunächst schwarzen Hintergrund
leicht über dem Boden zu schweben scheint
(Alt-Bayreuther mögen sich an die berühmte
Scheibe erinnern). „HAST… ERFÜLLT … GOTT …
AUFTRUG?“ steht mit Kreide auf dem Boden. Zum
Vorspiel ergänzt Mathis die Worte zur alles
beherrschenden Frage, unterstreicht das Wort
„Gott“ und ergänzt ein Ausrufezeichen. Die
Aufgabe ist gestellt.
In
gedeckten Farben gehaltene Kostüme schwanken
zwischen Zeiten und Jahrhunderten und nehmen
die Zeitlosigkeit des Themas auf. Requisiten
gibt es so gut wie keine, weder den Schrein
mit den angeblichen Gebeinen des hl. Martin,
noch Bücher, noch am Schluss die wenigen
Habseligkeiten, die Mathis zusammenpackt.
Das konzentriert den Blick auf die wenigen
Requisiten, die tatsächlich gezeigt werden
und da ist vor allem das Band zu nennen, das
Ursula Mathis als Liebespfand vor seinem
„Auszeit-Jahr“ gab, das Mathis dann an
Regina weitergibt und diese sterbend
wiederum Ursula mit der Bitte überreicht, es
Mathis als sein Liebespfand zurückzugeben.
Es gibt keine wirkliche Liebesgeschichte in
dieser Oper, aber dennoch Liebe, verletzte
Gefühle und viel Menschliches. So ist Ursula
entsetzt, dass Mathis ihr Liebespfand an
Regina weitergab, wirft es zu Boden und geht
energisch, beleidigt ab. Das steht im
Libretto zwar anders, ist so aber ungemein
stärker, ehrlicher, menschlicher. Ebenso
stark ist der kurze, aber intensive Blick,
den Mathis ganz am Ende auf das Band (das
hier eher ein Tuch ist) wirft, während er,
wenn auch nur in Gedanken seine
Habseligkeiten packend, als letztes singt
„Was ich liebte.“
Den
Gedanken des anfänglichen Schriftzuges
aufnehmend bringen die Protestanten keine
Bücher in Riedingers Haus, um sie vor der
Bücherverbrennung zu retten, sondern
schreiben ihr Wissen mit Kreide auf die
Spielfläche. Den zerstörungsbeauftragten
Schergen werden dann auch keine
Feuersbrände, sondern Putzlappen in die
Hände gedrückt. Zum Beginn des vierten
Bildes ist die Schrift dann auch
folgerichtig zu einem grauweißen
Farbgemenge geworden. Schatteneffekte und
lebende Bilder sind weitere
Gestaltungsmittel, die stilsicher
eingesetzt werden. Die Schändung der
Gräfin Helfenstein wird erschreckend, aber
nicht provokativ angedeutet. Aufgeknüpfte
Adelige hängen an Stangen aus dem
Schnürboden über der Bühne. Anstelle der
Schlacht wird ein Zweikampf zwischen
Sylvester und Schwalb gezeigt, die
symbolisch für die beiden sich
bekämpfenden Seiten stehen. Alles
geschieht in einem kalten Licht und auch
wenn dauernd über die Kunst gesungen wird,
sieht man kein Bild, keine Gemälde. Man
sieht es nicht auf der Bühne, aber der
Eindruck des Gehörten ist so stark, dass
es vor dem geistigen Auge entsteht. Es
gelingt nicht vielen Regisseuren, dies
beim Publikum zu erreichen.
Riedinger (Stephan
Bootz), Ursula (Vida Mikneviciute), Herrenchor
Ganz
besonders beeindruckend gelingt auch die
Vision des Mathis, die sich zunächst durch
einen Beleuchtungswechsel in warmes Licht
ankündigt. Engelsfiguren, wie dem Isenheimer
Alter entsprungen, betreten die Bühne,
singende Figuren schweben vom Schnürboden
herab. Dämonen und Leidende bedrängen Mathis
gleichfalls. Auch hier wird mehr angedeutet
als tatsächlich gezeigt, aber im Kopf des
Betrachters entstehen Bilder, die man auf der
Bühne gesehen zu haben schwören könnte. Ganz
stark, ganz groß. Und ganz auf das Wesentliche
konzentriert gibt der Apostel Paulus dem in
Versuchung stehenden Antonius höchstselbst
seine Antwort auf die große Frage:
Das A und O dieser Inszenierung ist die ungeheuer
intensiv gearbeitete Personenregie, die jeder
Figur individuellen Charakter verleiht – und die
kein Bühnenbild vermissen lässt, weil sie alles
auf die Kraft des Werkes – des Textes und der
Musik! – fokussiert. Es gibt keine Provokationen,
keine konträren Sichtweisen (Ursulas Abgang
bestätigt als Ausnahme die Regel), keine
„interessanten Brüche“ - und doch ist es ein
ungeheuer fesselnder und spannender Opernabend,
der die Geschichte aber nicht einfach gefällig
nacherzählt, sondern verdeutlicht, erklärt,
erhellt. Dabei setzt diese Inszenierung dem
Publikum keine Deutung vor, sondern nimmt es mit,
regt Gedanken und Bilder an, nimmt das Publikum in
seiner Mündigkeit ernst. Und dafür ist gar nicht
genug zu danken und zu loben. Opernregie vom
Feinsten, vom Allerfeinsten.
Vision
Die
leidenschaftliche, zuweilen minimalistische,
dann wieder gewaltig auftrumpfende und alle
Facetten dazwischen zeigende Musik, erfüllt
nicht das Klischee, das der gelegentliche
Opernbesucher beim Komponistennamen Hindemith
erwartet (ähnlich wie bei Schönbergs
„Gurreliedern“). Zitate und Bearbeitungen von
Chorälen, Volksliedern („Es sungen drei
Engel“…) und Streitgesängen der
Reformationszeit erscheinen wie Urzellen, aus
denen Hindemith eine der großartigsten und
unter die Haut gehenden Kompositionen für die
Opernbühne geschaffen hat. Diese Musik liegt
bei Hermann Bäumer in den allerbesten Händen.
Er leitet einen hoch intensiven, bewegenden,
den Zuhörer in den Bahn ziehenden Opernabend
der Extraklasse und schafft es in kongenialer
Einigkeit mit der Inszenierung auch die nach
den ersten Takten zunächst skeptischen und
unruhigen Opernbesucher schräg hinter mir zu
fesseln.
Derrick Ballard, die hier 2015 einen
phänomenalen Sachs sang, teilt sich seine
Kräfte für die ungeheuer anspruchsvolle und
umfangreiche Partie des Mathis klug ein,
beginnt leicht verhalten, lässt aber mehr und
mehr seine Stimme klangvoll, warm- und
wohlklingend strömen. Alexander Spemann
gestaltet die Partie des Kunstliebhabers
eindrucksvoll als eine mustergültige
Kardinalsfigur, der man zuweilen auch
stimmlich die Anstrengungen anmerkt, die
Realität zu verkennen und nur das Schöne und
Gute sehen zu wollen. Vida Mikneviciute ist
eine selbstbewusst klingende Ursula, die ihren
substanzreichen Sopran in wundervollen Farben
aufblühen lassen und auch wieder sanft
zurücknehmen kann, geradezu ideal für diese
Partie. Ein stimmlicher Herzensöffner ist
Dorin Rahardja als Regina, die mädchenhaft
unschuldig klingt, aber dennoch über die
nötige Durchschlagskraft verfügt. Stephan
Bootz ist ein markanter Riedinger, Steven Ebel
ein geradezu mephistophelischer Capito,
Lars-Oliver Rühl ein stimmgewaltiger Schwalb,
Johannes Mayer ein heller, giftiger Sylvester,
Hans-Otto Weiß dröhnt herrlich als Domdechant.
Chor und Orchester sind hochkonzentriert und
engagiert. FAZIT
Optischer
Minimalismus fokussiert die
Aufmerksamkeit auf Text und Musik in
einer ungeheuer starken und fesselnden,
ja faszinierenden szenischen Umsetzung,
der die musikalische Seite nicht
nachsteht. Ganz großes Musiktheater vom
Allerfeinsten. Eine der
beeindruckendsten Produktionen dieser Saison –
auch überregional betrachtet. Nicht entgehen lassen!
Ihre Meinung
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Licht Chor Dramaturgie
Chor und
Extrachor des Statisterie des Staatstheaters Mainz SolistenAlbrecht von Brandenburg Mathis Lorenz Wolfgang Riedinger Hans Schwalb Truchseß Sylvester Der Pfeifer des Grafen Ursula Regina Gräfin Helfenstein Graf Helfenstein |
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