Paul Hindemiths Oper „Mathis der Maler“ im Mainzer...

Der Kardinal wendet sich ab: Alexander Spemann als Albrecht, Erzbischof von Mainz. Am Boden: der vorzügliche Derrick Ballard als Mathis, sein Hofmaler, der legendäre Schöpfer des Isenheimer Altars.Foto: Andreas Etter  Foto: Andreas Etter
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Paul Hindemith wurde zwar in Hanau geboren und war sprachlich ganz klar als Frankfurter zu identifizieren, aber das goldene Mainz spielte als Sitz des Schott-Verlags ebenfalls...

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MAINZ. Paul Hindemith wurde zwar in Hanau geboren und war sprachlich ganz klar als Frankfurter zu identifizieren, aber das goldene Mainz spielte als Sitz des Schott-Verlags ebenfalls eine tragende Rolle in seinem Leben.

Dass er der Stadt und ihrer großen Vergangenheit als Bischofssitz mit der Oper „Mathis der Maler“ ein klingendes Denkmal gesetzt hat, ist wohl auch der Hinwendung zum Katholizismus zu verdanken. Statt Provokationen wie einem ariosen Loblied auf die Warmwasserversorgung in „Neues vom Tage“ finden sich darin „alte Volkslieder, Streitgesänge aus der Reformationszeit und der gregorianische Choral“ und werden zum „nährenden Boden für die Mathis-Musik“, wie Hindemith 1938 selbst formuliert. Man könnte auch, mit Blick auf Nietzsches Spott über den „Parsifal“-Komponisten Richard Wagner, von einem unüberhörbaren „Bimbambaumeln” in der Partitur des einstigen Bürgerschrecks sprechen. Hindemith ist im Gegensatz zum Bayreuther Meister bei den deutschen Machthabern der Entstehungszeit allerdings unbeliebt. Die Oper, für die sich der Dirigent Wilhelm Furtwängler einsetzt, wird in Deutschland verboten und 1938 in Zürich uraufgeführt.

Orchestral und vokal üppige Kost in der Fastenzeit

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Ihr Mainz-Bezug konnte die überschaubare Hindemith-Rezeption in der Landeshauptstadt offenbar nicht nachhaltig befruchten. 1962 stand das Hauptwerk hier zuletzt auf dem Spielplan, im Kontext der 2000-Jahr-Feier der Stadt. 55 Jahre später gewinnt man beim Premierenabend im Staatstheater den Eindruck, dass so ziemlich alles, was in Stadt und Land Rang und Namen hat, dem vernachlässigten Komponisten die Ehre erweist. Sogar die Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Oberbürgermeister Michael Ebling werden bei der kollektiven Abbitte gesichtet.

Es ist freilich, obgleich Fastenzeit, eine orchestral wie vokal üppige Kost, die gereicht wird – und beim Publikum allerbestens ankommt. Generalmusikdirektor Hermann Bäumer, der bereits in Osnabrück „Mathis“-Erfahrung sammeln konnte, kann selbst bei kraftvoller Dynamik und üppigem Blechsatz darauf vertrauen, dass sich die erstaunlich starken Stimmen des Mainzer Ensembles gegen archaische, von ihm klar konturierte Klanggewalt durchsetzen. Allen voran gilt das für die Titelpartie, aus der Derrick Ballard, bereits in den „Meistersingern“ ein umwerfender Sachs, nach leicht brüchigem Auftakt die faszinierende Charakterstudie eines Künstlers auf der Suche nach dem richtigen Leben entwickelt. Zu ihm hingezogen fühlt sich die reiche Bürgerstochter Ursula, der die Sopranistin Vida Mikneviciute ihr dramatisches Potenzial leiht.

Feine, anrührende Gestaltung bestimmt Dorin Rahardjas Porträt der Regina, der Tochter des Bauern-Aktivisten Hans Schwalb, dem Lars-Oliver Rühl als Gast heldisches Format mit auf den blutigen Weg gibt. Souverän gestaltet Alexander Spemann die zentrale Partie des Albrecht, Kardinal und Erzbischof von Mainz. Steven Ebel ist ein wendiger Ränkeschmied Capito, Geneviève King glänzt als Gräfin von Helfenstein. Eine tragende Partie hat in „Mathis der Maler“ auch der (von Sebastian Hernandez-Laverny) einstudierte Chor, der in Alltagskleidung (Kostüme: Su Sigmund) auch eine Brücke in eine Gegenwart schlägt, die nicht weniger von Gewalt gezeichnet ist als die Zeit, auf die sich der Text des Komponisten bezieht. Selbiger war übrigens anno 1962 bei den Proben in Mainz sehr präsent, wie der Dirigent Gerd Albrecht erzählt hat. Szenisch hatte er dabei eine offenbar eher konservative Erwartungshaltung: „Es konnten nicht genügend Brunnen und Blumenstöcke auf der Bühne stehen.“

Kein Platz für Blumenstöcke und Mainzer Lokalkolorit

Hausregisseurin Elisabeth Stöppler verzichtet nun nicht nur, wie zu erwarten war, auf Blumenschmuck, sondern auch auf Mainzer Lokalkolorit, das der Text nahelegt. Es gibt nur eine karge Bühne (Annika Haller), einen dunklen (Seelen-) Raum, in dem umso wirkungsvoller mit Licht (Stefan Bauer) gemalt wird. Mathis, der Meister des Isenheimer Altars, pinselt also nicht wie Kollege Cavaradossi aus „Tosca“, sondern schreibt die einleitende Selbstbefragung auf die schiefe Ebene des Bühnenbodens: „Hast du erfüllt, was Gott dir auftrug?“ Statt pittoresker Peinlichkeiten wird gleichsam ein reformatorisches „sola scriptura“ exponiert: Allein Schrift ist zu sehen. Solche Bildverweigerung, die mit höchst intensiver Personenführung einhergeht, schließt im weiteren Verlauf konkrete Bezüge zum Isenheimer Altar, dem Mathis-Meisterwerk, nicht aus.

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Die Altartafeln stehen dabei aber nicht, wie es Hindemiths Text will, auf der Bühne herum, sondern werden in Handlung umgesetzt: als groteskes Maskenspiel mit apokalyptisch aufklappendem Grab, als Versuchung, als Farbzitat. Und sogar klassische, geradezu rauschgoldartige Engel dürfen mitspielen und lassen eine ironische Note anklingen, bevor Mathis am Ende der Kunst entsagt und von der Bühne der Geschichte abtritt – und das Publikum sich die Fragen angesichts der Brutalitäten der Gegenwart und des richtigen Lebens zwischen Anpassung und Verweigerung ruhig selbst stellen darf.