"Otello" am Opernhaus Dortmund

Ein harter, scharfer Verdi ohne Sentimentalität

Das Opernhaus (vorn), dahinter das Theater auf dem Platz der Alten Synagoge in Dortmund.
Mit drei Stücken wurde die Reihe "Stadt der Angst" am Theater Dortmund eröffnet. © dpa picture alliance / Horst Ossinger
Von Dieter David Scholz  · 26.03.2017
Eine betörende, anrührend lyrische Desdemona der Sopranistin Emily Newton und der Heldenbariton Sagmin Lee, der den Jago zum stimmgewordenen Bösen macht - dies sind nur zwei der vielen Argumente, die alle sagen: Eine grandiose "Otello"-Inszenierung ist dem Opernhaus Dortmund da gelungen.
Jens-Daniel Herzog, von Hause aus Schauspieler, ist seit sechs Jahren Intendant des Opernhauses Dortmund. Er hat seither die Auslasttung des Hauses gewaltig gesteigert, er hat sich auf die Fahnen geschrieben, "Oper für alle" zu machen und er bietet dem Publikum ein breites Repertoire an. Als Regisseur geht er eigene Wege. Sein Regiestil zeichnet sich durch theatralischen Spielwitz und psychologische Genauigkeit aus, jenseits vordergründiger Aktualisierungen. Gelegentlich schhreckt er auch nicht vor Radikallösungen zurück. Auch den Verdischen "Otello" zeigt er radikal anders, als gewohnt.
Herzog spitzt das Stück zu in Richtung einer Monstershow. Schon Bernard Shaw hat den Charakteren dieser Oper bescheinigt, dass sie Monster seien. Und so zeigt Jens Daniel Herzog Othello als Monster der Eifersucht, Jago als Monster der Bosheit, Cassio als Monster der Besoffenheit und Desdemona als Monster übergrosser Liebe und Unschuld. Es ist eine gänzlich unromantische Lesart, die Herzog präsentiert. Er führt Otello als Legionär vor, der für die Venezianer die Drecksarbeit macht und einen bedrohlichen Krieg gewinnt. Er wird daraufhin fast in den Himmel gehoben, aber alle warten nur auf seinen Fall. Er selbst wartet auch darauf, behauptet Herzog, denn er, der Aussenseiter, vertraut sich selbst nicht, ist sich auch seines Glückes mit Desdemona nicht sicher.

Wie in einer unentrinnbaren Gefängniszelle

Dieses mangelnde Selbstvertrauen ist die Lücke im System, die Jago erkennt, um seinen Feind zu stürzen mit einer im Grunde lächerlichen, Eifersuchtsintrige, die ein ungleiches Paar zu Fall bringt, eine Tochter aus gutem Hause und einen Aufsteiger, eine Sanfte und einen Berserker, eine Heilige und ein Tier. Herzog entfaltet diese Tragödie mit strenger Unausweichlichkeit, bewundernswerter Personenführung und am Ende Brechtscher, ironischer Kommentierung. Wie zu erwarten, verortet Herzog das Stück nicht, wie in der Partitur gefordert, auf Zypern an, sondern in einem modernrn Niemandsland. Mathias Neidhardt hat ihm einen weißen, sterilen Bühnenkasten gebaut. Es ist ein Raum mit verschiebbaren Wänden.
Wie in einer unentrinnbaren Gefängniszelle entfaltet Herzog in diesem Kasten völlig unopernhaft die grauenhafte Tragödie eines zunehmend wahnsinnigen Eifersüchtigen. Die gezeigte Brutalität Otellos ist nur schwer erträglich. Es wird geschlagen und gedemütigt, es fliesst viel Blut. Schon zu Beginn der Oper, wo er einem Wolf den Kopf abschneidet, der als Trophäe und Symbol dann alle Akte hindurch an der Wand hängt. Jens-Daniel Herzog zeigt in seiner Inszenierung den Löwen von Venedig, als deformierten, geschundenen Menschen, gewissermaßen als als geprügelten Hund. Am Ende seines Wahnsinns krabbelt Otello im wahrsten Sinn seines Wortes nur noch wie ein Hund über die Bühne, bevor er sich erhebt, um Desdemona bestialisch abzustechen und dann sich selbst. Die erschütternde Inszenierung ist nichts für sensible Gemüter, sie geht einem unter die Haut.

Ohne jede Sentimentalität und Gefälligkeit

Gabriel Feltz, der Musikchef des Hauses steht am Pult dieser Produktion. Auch seine Verdilesart ist hart, scharf, ohne alle Sentimentalität und Gefälligkeit. Sie beglaubigt eindrucksvoll die Inszenierung. Die Dortmunder Philharmoniker spielen tadellos und klangprächtig. Es gibt Raumklangeffekte mit den Blechbläsern und auch der vorzügliche Chor des Theaters Dortmund tritt in der ersten, der Sturmszene und seiner letzten Szene, beim Tod Otellos, im Zuschauerraum auf. Starkes Musiktheater.
Man kann die Oper bis auf die Titelpartie mit eigenem Hausensemble sehr glaubwürdig besetzen. Die Sopranistin Emily Newton singt eine betörende, anrührend lyrische Desdemona, der Heldenbariton Sagmin Lee als Jago ist das stimmgewordene Böse, die Mezzosopranistin Almerija Delic wertet die Nebenfigur der Dienerin Desdemonas, Emilia, durch ihren schönen Mezzosopran und ungewöhnlich psychologisch geführtes Spiel zur Säufergroteskfigur auf. Überhaupt steht das Singen in dieser Produktion im Zeichen szenischer Glaubwürdigkeit. Da zählt Ausdruck mehr als Schönklang. Und in diesem Sinne darf man sogar den Wagnertenor Lance Ryan, dessen Stimme eher eine laute als eine schöne ist, grossartig nennen. Ihm gelingt eine unkonventionelle singschauspielerische Charakterstudie eine Monsters der Eifersucht, die Seltenheitswert hat. So hat man Otello noch nicht erlebt auf der Opernbühne. Ein grandioser Opernabend.
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