Die nüchtern kalte Vorhalle eines Konsulates: Marmorboden, ein Papierkorb, ein paar Ständer für Formulare und eine Holzbank. Hier sitzen eine Italienerin, die ihre sterbenskranke Tochter besuchen will, eine KZ-Überlebende und die Frau eines Freiheitskämpfers. Sie alle warten an diesem Abend auf der Bühne des Münchner Cuvilliés-Theater vergeblich auf eine Einreisegenehmigung.

67 Jahre ist es her, dass Gian Carlo Menottis Stück The Consul zum ersten Mal auf die Bühne gebracht wurde; an der Aktualität der Handlung hat sich seitdem auf nahezu erschreckende Weise nichts verändert. Magda kämpft um ein Visum für sich, ihre Schwiegermutter und ihr Baby. Sie will ihrem Mann, der vor der Geheimpolizei über die Grenze geflohen ist, folgen. Sie scheitert an der Bürokratie und bringt sich schließlich um. Das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper hat diesen pausenlosen Dreiakter nun unter der Leitung von Christiane Lutz als fesselnden Politkrimi neu inszeniert.

Mit gebanntem Blick schaut der Zuschauer in die trostlose Formularwüste des Konsulates. Wäre da nicht das Münchnener Kammerorchester, welches das Drama unter der Leitung von Geoffrey Paterson mit großflächigen Akzenten lautstark untermalt, so könnte man schnell der Illusion verfallen, dies sei eine Liveübertragung aus der amerikanischen Botschaft, so realistisch, aber an keiner Stelle kitschig oder überzeichnet wirken die Bühne von Christian Andre Tabakoff und die Kostüme von Natascha Maraval.

„Passbild? Zu klein! Ihre Geburtsurkunde? Die notarielle Beglaubigung fehlt!“ Wer einmal auf dem Kreisverwaltungsreferat gesessen hat, der fühlt mit jedem Takt mit. Nur geht es in Menottis Stück nicht um die Ummeldung eines Kraftfahrzeugs, sondern um das nackte Überleben. Die Flüchtlingskrise oder das jüngste Einreiseverbot von Donald Trump hängt dem Zuschauer kalt im Nacken und sorgt für Gänsehaut. Der Fotoautomat auf der Bühne wird so schnell zum Beichtstuhl der menschlichen Tragödie und spuckt am Ende doch nur Fotos im falschen Format aus. „Der Nächste, bitte!“

Die nüchterne Sekretärin, die im Bleistiftrock und enger blauer Bluse einen Antrag nach dem nächsten abweist, wird an diesem Abend von der nur der 22-jährigen Niamh O’Sullivan gespielt. Ihr Sopran ist spitz, ja fast zynisch, aber am Ende nicht ohne Wärme. Als Gefangene der Bürokratie und der unerbittlichen Flut der Anträge, wird sie zur unfreiwilligen Antagonistin des Stückes. „So viele Namen. Die Fälle sind doch alle gleich“, konstatiert sie hilflos und mit zunehmend verzweifeltem Timbre. Immer wieder versucht Selene Zanetti in der Hauptrolle als Magda Sorel ihr Glück bei ihr, doch den titelgebenden Konsul selbst bekommen weder sie noch das Publikum je zu sehn. Zanetti fehlt in den anfänglichen Sprechpassagen vielleicht etwas die Klarheit, doch überzeugt die gebürtige Italienerin in ihren Soli und Duetten dann mit großen Volumen und intensivem Drama, was vom Publikum mit dem gebührenden Szenenapplaus belohnt wird.

Ihr gegenüber steht Johannes Kammler als ihr Mann John Sorel. Der Bariton singt durchweg überzeugend, während er von der Geheimpolizei (Igor Tsarkov) mit kernig-jungem Bass verfolgt wird. Für Abwechslung, auch im musikalischen Sinne, sorgt derweilen Joshua Owen Mills als Zauberer Nika Magadoof. Mit kleinen Zauberkünsten lenkt der junge Tenor die Wartenden von ihrer vergeblichen Hoffnung auf ein Visum im trostlosen Wartesaal des Konsulats ab.

Ein bisschen aus dem Rahmen fällt Helena Zubanovich. Sie ist die einzige langjährig etablierte Sängerin des Ensembles, aber nicht minder international. Ihr überlegener Mezzosopran blieb nachhaltig in Erinnerung und war im Stande die Gefühle einer Mutter, die weder Sohn noch Enkelkind oder Schwiegertochter sterben sehen möchte, ausdrucksstark zu illustrieren.

Am Ende liegt der große Erfolg und die Bannkraft dieser Produktion in der gelungenen Kombination aus realistischem Bühnenbild, dem jungen, multikulturellem Ensemble, an den (einsatz-)starken Klängen aus dem Orchestergraben und sicherlich der ein oder anderen nicht ganz unkritischen Regieentscheidung. Eigentlich kann man nur hoffen, dass diese durchweg gelungene Produktion nicht wieder in den Tiefen der Asservatenkammer der Bayerischen Staatsoper verschwindet. Mehr davon!

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