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Cinema PekinoVon Stefan Schmöe / Fotos von Bernd Uhlig
So viel China muss sein, damit die Show stimmt: Der Kinderchor begleitet den persischen Prinzen auf dem Weg zur Hinrichtung.
Kino darf das. Nämlich große Gefühle zeigen, und drastische Bilder. Oper darf das nicht, jedenfalls ist schnell der Kitschverdacht bei der Hand. Im Bühnenbild des in der Regel für Videokunst im Theater zuständigen Duos fettfilm (das sind Momme Hinrichs und Torge Møller) steht in großen Buchstaben „KINO“ über der Bühne, mit flackernden Glühlampen aus cineastisch nostalgischen Zeiten. Später wird „PEKINO“ daraus, die italienische Variante für Peking, den Ort der Handlung. Also doch kein Kino? Vieles in dieser Inszenierung von Lydia Steier bleibt uneindeutig. Die Märchenhandlung ist weitgehend in das China des beginnenden 20. Jahrhunderts verlegt, also in die Entstehungszeit der Oper, wobei zu Beginn Gaukler mit Puppen die grausige Legende andeuten und die Minister Ping, Pang und Pong auf riesigen Fahrgestellen und mit aufgesetzten Nasen wie historische Puppen wirken. Von einer Tribüne aus beobachten einige Europäer das Geschehen, vielleicht eine Anspielung darauf, dass wir dieses China durch die Brille eines italienischen Komponisten sehen (der freilich in Märchenwelten eintauchte). Es wird viel und blutig gefoltert, dem zum Tode verurteilten Prinzen werden die Finger abgeschnitten (und in die Menge geworfen), der guten Liú gar eine komplette Hand (die bleibt auf der Bühne liegen). Vor Calafs Arie „Nessun dorma“ sieht man in der Art eines Stummfilms historische Fotos, die Hinrichtungsszenen aus China zeigen (wobei man das Geschehen mehr erahnt als wirklich erkennt) und ziemlich authentisch wirken.
Liú vor den Ministern Ping, Pang und Pong
Kino oder Wirklichkeit? Ein Kostümschinken zweifellos, aber oft gegen die Erwartungen, und man kann sich nicht immer sicher sein, ob man sich im Film oder backstage befindet. Der Kinderchor erscheint in dekorativem China-Kitsch, Calaf (wie der unglückliche persische Prinz zuvor) mit Halskrause und Brustpanzer könnte auch als Don Quichote durchgehen. Der Palast Turandots wird auf Schienen hereingerollt, sehr groß ist er nicht, und die kleine Drehbühne darauf sieht aus wie eine Langspielplatte. Turandot selbst bleibt im ersten Akt unsichtbar (wenn der Mond besungen wird, blendet fettfilm ein Foto des Erdtrabanten ein), im zweiten Akt mit riesigem Rock und noch riesigerer Schleife über dem Kopf ist sie eine Statue aus der Comic-Welt, eine Frau, die unter ihrer Selbstinszenierung als kleines Mädchen grotesk unkenntlich bleibt. Im dritten Akt ist sie die blonde Schönheitsikone der westlichen 1920er-Jahre, bis Calaf ihr die Perücke herunter reißt. Der Schwachpunkt daran: Den psychologischen Aspekt ihres (wie auch Calafs) Handelns muss man dem Programmheft entnehmen, denn auf der Bühne zeigen kann Lydia Steier das nicht. Beiden geht es um die Selbstinszenierung, und so gibt es auch im Finale nicht die große Liebe, sondern zwei, die sich nichts zu sagen haben, aber zufrieden sind mit ihrer neuen Rolle. Da leuchten dann auch die KINO-Buchstaben wieder auf.
So inszeniert sich die Männer mordende Prinzessin Turandot als unnahbares Mädchen im ersten ...
Uninteressant ist diese mit verschiedensten Assoziationen spielende Sichtweise jedenfalls nicht, wobei die ziemlich ungeteilte Zustimmung des Premierenpublikums dann doch verwundert, denn so manche Zumutung, nicht nur abgehackte Finger und Hände, muss man schon aushalten. Aus den begrenzten technischen Möglichkeiten im Staatenhaus holt das Regieteam aber allerlei heraus, wobei ganz im Brecht‘schen Sinn immer schön kenntlich bleibt, dass ja doch alles Theater ist. Das Orchester ist dafür hinter die Bühne verbannt worden, was aus Gründen der Lautstärkebalance vielleicht gar nicht schlecht ist, aber zu einem ziemlich unscharfen Klangbild führt: Klangliches Cinemaskopeformat. In diese Richtung geht auch das durchaus spannungsreiche, nicht übermäßig nuancierte, letztendlich ziemlich konventionelle Dirigat von Claude Schnitzler, der seinen Puccini aus der Perspektive eher des 19. als des 20. Jahrhunderts interpretiert – wobei eben nicht ganz klar ist, wie groß der Anteil des Raumes daran ist. Das gilt auch für den von Andrew Ollivant sorgfältig einstudierten Chor und Extrachor, die etwa die silbrig-kalte Erscheinung Turandots im ersten Akt nur andeuten, klanglich aber nicht allzu tief ausloten.
... und als mondäne Frau der 1920er-Jahre im dritten Aufzug.
Die Solistenriege lässt wenig Wünsche offen. Sicher ist Wagner-Diva Catherine Foster keine ganz ideale Turandot, ihrer Stimme fehlt das Unnahbare, das besondere Timbre für diese Figur, aber sehr achtbar und mit gehörigen Kraftreserven gesungen ist das allemal. Der brasilianische Tenor Martin Muehle imponiert mit baritonal grundierter, strahlender Riesenstimme, mit der alles um sich herum in Grund und Boden singen kann, und dass dieser Calaf sich fast immer im Forte oder Fortissimo artikuliert, hat ihm Puccini ja so komponiert. Ausgerechnet das „Nessun dorma“ gerät Muehle leider recht kurzatmig, da fehlt es an Legato und dem Bewusstsein für melodische Linienführung. Guangqun Yu ist nach anfänglicher Unsicherheit eine berührende Liú mit nicht zu fragiler, tragfähiger Stimme. Alexander Fedin gibt einen komödiantischen Kaiser Altoum, Mika Kares einen soliden Timur. Durchweg überzeugend singen Wolfgang Stefan Schwaiger, John Heuzenröder und Martin Koch die Minister Ping, Pang und Pong.
Eine streitbare, durchaus spannende Inszenierung auf sängerisch hohem Niveau.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild und Video
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Turandot
Mlada Khudoley
Altoum
Timur
Lucas Singer
Calaf
Riccardo Massi
Liú
Ivana Rusko
Ping
Pang
Ralf Rachbauer
Pong
Young Woo Kim
Ein Mandarin
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