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Staatstheater Wiesbaden
"Siegfried" mit Kapuzenjacke und Rastalocken

Uwe Eric Laufenberg inszeniert am Staatstheater Wiesbaden den "Ring"-Zyklus. Sein "Siegfried" erscheint mit Rastalocken, Streetworkerhose sowie Kapuzenjacke, wird zum Slumdog-Millionär und aktiviert die Hornrufe per Tablet.

Von Ursula Böhmer | 03.04.2017
    Der Intendant des Staatstheaters Wiesbaden Uwe Eric Laufenberg
    Der Intendant des Staatstheaters Wiesbaden Uwe Eric Laufenberg (picture alliance / dpa)
    25 Jahre lang beschäftigte Richard Wagner sich mit seinem vierteiligen Zyklus "Der Ring des Nibelungen". Ein zeitlos-aktueller Stoff - dreht er sich doch vor allem um die herbe Gesellschaftskritik an einem goldgierig-kapitalistischen System, das dem Untergang geweiht ist. Uwe Eric Laufenberg setzt sich derzeit am Staatstheater Wiesbaden mit der Tetralogie auseinander – dort ging nun sein "Siegfried" über die Bühne.
    Zwerg Mime erklärt Siegfried seine wahre Herkunft – der hat doch immer schon geahnt, dass er was Besseres ist und nicht hierher gehört. "Hier", das ist eine improvisierte Schmiede, die vor einem Berg aus Zivilisationsmüll steht. Darüber, in einer Videoprojektion, ein aus ärmlichen Hütten zusammengeschusterter Slum. Kehrseite der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft, die dann auch grimmig beäugt wird: Denn zwischen den Hüttenwänden sind riesige Augenpaare erkennbar. Das Riesenauge, das im ersten Teil des "Ring-Zyklus" beobachtet hatte, wie das Rheingold geraubt wurde, hat im "Siegfried" offenbar Nachwuchs bekommen.
    "Wagner hatte ja eine Utopie, wie ein freier Mensch aussehen könnte"
    Sollen das im Regiekonzept von Uwe Eric Laufenberg die argwöhnisch spitzelnden Augen der Götter sein? Schließlich hat auch Göttervater Wotan sich schon korrumpieren lassen von der Gier nach Gold und Allmacht:
    "Und dass er dann diesen Machtgedanken als prägenden Gedanken in die nächste Generation fortsetzen will, das macht nachher die Probleme der wirklich freien Menschen – Brünnhilde und Siegfried – aus. Wagner hatte ja eine Utopie, wie ein freier Mensch aussehen könnte. Wir bezeichnen uns als freie Menschen in einer freien Gesellschaft – und bei Wagner kann man ganz gut nachlesen, in welche Schwierigkeiten man mit Freiheit kommt, wenn man kein Bewusstsein dazu hat."
    Denn Siegfried ist zwar frei und furchtlos, aber ein Unsympath in Rastalocken, Streetworkerhose und Kapuzenjacke, der schließlich zum Slumdog-Millionär wird. Denn Wotan hinterlässt ihm – getarnt als Wanderer mit Rucksack – bei seiner Rast in der Schmiede ein besonderes "Gastgeschenk": eine Art durchsichtiges Tablet.
    "Im 'Siegfried' hat mich fasziniert: Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man Siegfried als Negativ-Figur zeichnen – so war er nun von Wagner nicht gemeint. Dieser freie Held, der da entsteht, erfindet irgendwas Großartiges – das Schwert, was er schmiedet, was alles kann! Und da habe ich mir dann so jemanden wie Steve Jobs vorgestellt (lacht) – ist auch sehr reich geworden, hat uns Dinge gegeben, die wir vorher nicht konnten! Jeder guckt mittlerweile in so ein Gerät. Diese Firma von Apple baut sich derzeit ja als Ring zusammen: Wenn das irgendwann fertig steht, wird da wie ein Raumschiff gelandeter Ring in Kalifornien stehen."
    In Wiesbaden muss sich der Naturbursche Siegfried per Tablet nun erst mal "updaten", was die Weltlage angeht: In einer Videoprojektion tauchen Weltkriegskämpfe, Demonstranten, die Köpfe von Trump und Merkel auf. Per Tablet wird sich der Held auch die Anleitung zum Zusammenschmieden des zerbrochenen Nothung-Schwertes herbeiwischen: Grüne Programmierungs-Codes und eine in alle Dimensionen aufgesplittete Schwert-Grafik flimmern auf.
    Hornrufe muss Siegfried per Tablet aktivieren
    Der grandiose Andreas Schager singt die Mammutpartie des Siegfried in Wiesbaden mit hell-strahlendem Heldentenor scheinbar mühelos – kommt gegen Uwe Eric Laufenbergs Regie-Albernheiten letztlich aber nicht an: Selbst seine berühmten Hornrufe muss Siegfried hier per Tablet aktivieren – worauf der Wiesbadener Solo-Hornist Jens Hentschel hinter den Kulissen dann reagiert:
    "Nachdem ihm die Kommunikation mit dem Waldvogel auf einem traditionellen Instrument nicht gelingt, benutzt er also dieses Tablet, um diesen Hornruf zu starten. Und auch jeweils zu beenden. Aber im Verlaufe des Rufes passiert dann auch, dass dieses Tablet sich auch irgendwie selbstständig macht quasi – er bedient erst die Technik, indem er ganz deutlich an und ausschaltet, das Horn. Aber der Computer wächst ihm ein bisschen über den Kopf: Auf einmal übernimmt der Computer die Regie und das Horn reagiert nicht mehr auf seine Befehle."
    Maschine versus Mensch – Mensch versus Maschine. Nur folgerichtig, dass Siegfried auch den "Ring"-Verwalter Fafner, der in einem Hochsicherheitstrakt hinter dicken, goldenen Mauern haust, schließlich per Computerspiel erledigt: Aus einem Waldidyll-Video mit Bäumen und Fluss, das die Mauern projiziert wurde, wächst eine Art Dinosaurier-Ungeheuer empor, gegen das dann Siegfrieds dick gepanzerter Computer-Avatar antritt. Eigentlich unnötig, dass Siegfried da in der realen Parallelwelt noch mit seinem echten Schwert herumfuchtelt. Mit vielen Wischs reiht Uwe Eric Laufenberg in seinem "Siegfried" ein Assoziationshäppchen an das nächste: Ein bekömmliches Mahl wird nicht daraus – denn zu viele Rezept-Ideen verderben letztlich den Brei.
    Glaubhafte Sängerdarsteller
    Immerhin hat Uwe Eric Laufenberg wieder ein hervorragendes Händchen für glaubhafte Sängerdarsteller – wie schon in den anderen, durchaus schlüssig und packend erzählten "Ringzyklus"-Folgen. Darunter ist diesmal der Wotan von Jukka Rasilainen, mit wunderschön gleichmäßig schwingender Bassstimme. Oder auch Sonja Gorniks Brünnhilde, die dem furchtlosen Siegfried doch zumindest das "Ehrfürchten" lehrt. Im vorausgegangenen Opernteil "Die Walküre" war die vermeintlich abtrünnige Brünnhilde vom strafenden Wotan-Vater am Ende in eine riesige Germania-Statue verbannt worden:
    Siegfried befreit Brünnhilde nun nicht nur aus ihrem steinernen Sarkophag, sondern auch von ihren "keuschen" Vorbehalten - indem er der Germania-Statue stellvertretend sämtliche Schutzschilder und schließlich sogar den Kopf abreißt. Ganz unverkopft kann sich das Paar nun ins Liebesabenteuer stürzen. Ein schönes Bild. Ende gut – noch nichts gut, erläutert Uwe Eric Laufenberg:
    "Mit der Erweckung von Brünnhilde ist dann eben die Diskussion: Wenn diese zwei freisten Menschen sich von den Kriegsbedingungen der Welt, von den Gesetzen der Macht und des Nicht-Wissens und des letztlich diese Bedingungen, die das Leben dann doch nicht frei werden lassen – also sich davon nicht lösen können, fabrizieren zwei so starke Menschen wie Siegfried und Brünnhilde eben den Weltuntergang."
    So zu sehen dann demnächst in der "Götterdämmerung". Ob das ein Ende mit Schrecken wird oder ein Schrecken ohne Ende, muss sich dann weisen.