Johannes Kepler (1571-1630), der 15 Jahre lang in Linz wirkte, ist die Oper gewidmet.

Foto: Musiktheater Linz

Linz – Wieder einmal Johannes Kepler also. 15 Jahre wirkte er in der oberösterreichischen Landeshauptstadt, und es scheint geradezu ein Linzer Gesetz zu sein, dafür bis in alle Ewigkeit sämtliche Werke, in denen der Mathematiker und Astronom vorkommt, auf die Spielpläne zu setzen.

Paul Hindemiths 1957 in München uraufgeführte Oper Die Harmonie der Welt war damals ein gewichtiger Beitrag im Kontext der bundesdeutschen Nachkriegskultur: eine indirekte Reflexion über die Last der nationalsozialistischen Verbrechen und des Weltkriegs; ein Versuch, der katastrophischen Welt durch die Kunst ein ästhetisches Gegenbild zu zeigen.

Höhere Ordnung

Das Stück ist voller Gewalt und Wirren, und das Libretto des Komponisten versteht die geschilderten Ereignisse aus Keplers Vita samt ihrem weiten historischen Umfeld durchaus als Chiffren für seine eigene Zeit, wie er es immer wieder mit Anspielungen im Text verdeutlicht: bis hin zu einem Hinweis auf den Einsatz der Atombombe in Japan.

Zugleich lässt er aus seinem Werk jene Hoffnung schimmern, die er in der Idee von Keplers Hauptwerk Harmonices mundi fand: eine höhere Ordnung, verkörpert durch den (göttlichen) Plan der Planeten, gespiegelt durch die (irdische) Musik.

Es lässt sich schwer sagen, ob Hindemiths intellektueller Zugriff mehr Spuren im raffiniert verschachtelten Textbuch oder in der Musik hinterlassen hat: Die Partitur stellt ein komplexes Geflecht griffiger Motive dar, in dem romantisierende Tendenzen mit filmischer Flächigkeit und dem Tonfall der Neuen Sachlichkeit der 1920er-Jahre mit Anklängen an die Brüchigkeit von Brecht und Weill zusammenkommen.

Quasi freitonal

Doch für die Singstimmen, deren Phrasen allesamt von profilierten (und ein wenig redundanten) Orchesterkommentaren unterbrochen werden, fand der Komponist einen quasi freitonalen Duktus, der gerade durch seine immer neuen querständigen Linien und seine Dissonanzgeprägtheit eher monoton statt expressiv wirkt: einige Passagen ausgenommen, vor allem wenn Operngefühle doch zu ausladenden Kantilenen Zuflucht nehmen.

Über die Linzer Aufführung lässt sich von musikalischer Seite praktisch nur Gutes berichten. Dirigent Gerrit Prießnitz hat das fordernde Stück jederzeit im Griff, platziert die kleinteiligen musikalischen Hauptlinien punktgenau und lässt das Bruckner-Orchester Linz souverän und effektsicher aufblitzen. Respekt gebührt dem Sängerensemble allein für die aufwendige Einstudierung, weitgehend auch für die Ausführung.

Als Kepler zeigt Seho Chang eine zwischen Kraft und lyrischer Beseeltheit changierende Figur, die noch in der Verzweiflung über die Zeitläufte der Glaube an die göttliche Ordnung begleitet. Sandra Trattnigg als Susanna ist seine warm strömende Begleiterin, als seine Mutter Katharina verkörpert Vaida Raginskytee mit herber Erdigkeit Irrationalität und Aberglauben.

Flotte Bildwechsel

Als Keplers Gehilfe Ulrich bietet Sven Hjörleifsson der exponierten Partie wacker die Stirn, und Jacques le Roux zeigt mit dem Wallenstein das packende, virale Porträt einer zwischen Machtgier und menschlicher Begrenztheit hin- und hergerissenen Figur. Szenisch spielt sich all dies auf sehr gediegenem Niveau ab: Die obligate Drehbühne des Linzer Musiktheaters erlaubt flotte Bildwechsel, in deren Zentrum eine wuchtige Kuppel steht (Bühne: Dieter Richter).

Der Regie von Dietrich Hilsdorf und Hermann Schneider ist größtmögliche Klarheit in der Personenführung zu bescheinigen und auffällige Originalität nicht vorzuwerfen. Die Entscheidung, das Stück überhaupt auf den Spielplan zu setzen, rechtfertigt sie höchstens halb – es sei denn, der Linz-Bezug der Oper gilt als hinreichender Grund. (Daniel Ender, 10.4.2017)