Geisterfahrt ins Unterhaus

Nach kontroversen Neuproduktionen in Berlin und Hamburg fragt man sich: Warum ist Richard Strauss' symbolträchtige Oper heute so schwer auf die Bühne zu bringen?

Georg-Friedrich Kühn
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Mit traumartigen Bildern versucht Claus Guth in Berlin die symbolschwere Handlung zu fassen. (Bild: Hans Jörg Michel)

Mit traumartigen Bildern versucht Claus Guth in Berlin die symbolschwere Handlung zu fassen. (Bild: Hans Jörg Michel)

Was ist diese «Frau ohne Schatten»? Eine letzte «romantische Oper», wie Richard Strauss sie verstand? Ein Versuch des Textdichters Hugo von Hofmannsthal, den Übergang vom versteinernden k. u. k. Kaiserreich in eine neue bürgerlich-demokratische Zukunft zu bewältigen? Ein «Machwerk» gar nach Machart der «Zauberflöte», worin sich Märchenhaftes mit Emanzipatorischem mischt, und das in der Endphase des Ersten Weltkriegs?

Die Konstellation der Hauptfiguren ist delikat genug. Zwei Frauen stehen einander gegenüber: eine Bürgersfrau, die sich weigert, von ihrem Mann, einem Färber, Kinder zu empfangen; und eine Kaiserin aus dem Geister- und Feenreich, die der Kaiser als «Gazelle» mittels eines Falken erjagt hat. Sie will Mensch werden, einen Schatten werfen und dem Kaiser ein Kind gebären, da sonst ihr Gatte «versteinern» würde. Viel Mythologie, viel Freudsche Psychologie, Zukunftsangst und Hoffnung vermengen sich da zu einem – freundlich gesprochen – vielstimmigen Mix.

Berlin contra Hamburg

An den Staatsopern von Berlin und Hamburg ist das schwierige Werk jetzt innert einer Woche gleich zweimal in Neuinszenierungen zu erleben, wobei die Berliner Aufführung als Koproduktion mit Mailand und London entstand. In Berlin dirigiert Zubin Mehta, und man kommt aus dem Staunen kaum heraus, wie der 80-Jährige die Staatskapelle zu immer neuen Farbexplosionen führt, dabei aber den Klang so durchsichtig hält, dass die Stimmen immer durchdringen. Camilla Nylund weiss als Kaiserin ihre Kräfte klug einzuteilen und erblüht im dritten Akt zu voller klanglicher Schönheit. Iréne Theorin gibt die bodennahe Färberin, am Ende stimmlich leider etwas übersteuernd. Burkhard Fritz ist ein stämmiger Kaiser, Wolfgang Koch ein braver, lernfähiger Barak. Und dazwischen wirbelt Michaela Schuster als Amme, die wie eine mephistophelische Schlange die Kaiserin animiert, der Färberin, die keine Kinder will, ihren «Schatten» abzuluchsen.

Claus Guths Regie erzählt dies als Traum. Tiermasken bevölkern die Bühne, in Christian Schmidts Entwurf ein Apsis-ähnlicher, dunkel getäfelter Raum. Eine Drehbühne im hinteren Teil ermöglicht schnelle Szenenwechsel: Mal verwandelt sich der Saal in ein hochherrschaftliches Schlafzimmer, mal in die düstere Färberstube, mal umrahmt er eine Felsenlandschaft mit der Tier- und Vogelwelt. Dazu gibt es ein querlaufendes Transportband, auf dem etwa die Betten oder auch Figuren wie in einem Film herein- und hinausgleiten. Die Kaiserin erlebt träumend die Färberin als ersehntes Alter Ego, kauert meist beobachtend am Rande oder nähert sich ihr.

Einen konträren Weg versucht in Hamburg Andreas Kriegenburg. Die «Menschwerdung» der Kaiserin will er aus dem Blickwinkel der Färberin erzählen. Harald B. Thors Bühnenbild schichtet übereinander die Geister- und die Menschenwelt der Färber, verbunden sind sie durch eine Wendeltreppe. Wie im Paternoster wechseln Haupt- und Unterbühne. Die Geister wedeln, kostümiert in weissem Tüll mit Bändern an den Ärmeln (Andrea Schraad), im Oberhaus. An Barak und seiner Frau im Unterhaus sind die Spuren ihres Arbeitsalltags kenntlich, ihre niedrige Behausung schummert in matten Brauntönen. Wenn die Amme und im Schlepptau die Kaiserin hinuntersteigen, hellt die Düsternis sich auf in leuchtendem Blau.

Sein Konzept erläutert Kriegenburg im Programmheft. Es klingt interessant, bleibt aber papieren. Auf der Bühne behilft er sich mit der Verdopplung von Figuren. Krankenbetten sind auch sein Hauptrequisit, sowohl für die Kaiserin wie für die Färberin. Der versteinernde Kaiser wird in einem altertümlichen Rollstuhl kutschiert. Das Kaiserin-Double ist ein Fall für die Psychiatrie, das der Färberin einer für die häusliche Pflege.

Am Ende, wenn die Kaiserin zugunsten des Wohlergehens der Färberin auf den Schatten verzichtet und sie dennoch mit ihrer Menschwerdung belohnt wird, werden zwei Parkbänke auf die Bühne geschoben. Munter floatet nun der Verkehr zwischen den beiden Paaren mit Blumen und Erdbeeren hin und her. Aus lemurenhaften Figuren, die ab und an im Hintergrund lungern, schälen sich Kinder in bunten T-Shirts. Sie werfen einander Bälle zu und reihen sich zum Schlusshymnus brav an die Rampe um die Paare. Empathie will Kriegenburg evozieren. Es wirkt eher nahe am Kitsch.

Reichlich Buhrufe

Für seine Arbeit muss Kriegenburg denn auch reichlich Buhrufe kassieren. Auch Kent Nagano bekommt einige ab, gelingt ihm doch die Balance zwischen Sängern und Orchester nicht so recht. Fast ständig müssen die Sänger forcieren. Zumal die Frauen, Linda Watson als wuchtige Amme und Lise Lindstrom als agile Färberin, haben Mühe. Um einiges besser behauptet sich Emily Magee als Kaiserin. Roberto Saccà ist der rollstuhlfahrende Kaiser. Die beste Figur macht Andrzej Dobber als Barak, auch wenn er die Töne anschleift.

Wie also umgehen mit dieser «Frau ohne Schatten»? Vielleicht ist sie ja heute nicht mehr sinnfällig zu realisieren. Schon bei der Uraufführung 1919 in Wien fühlte das Publikum sich gleichsam im falschen Film. Beide Neuinszenierungen scheitern letztlich an dem Sujet. Und das kann auch Strauss' schillernde Partitur kaum übergolden.