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Wagners "Tannhäuser": Es wird sehr viel herumgestanden

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Tannhäuser (Deniz Yilmaz, vorne) und der Chor des Darmstädter Staattheaters, umrankt von Lilien, den Totenblumen.
Tannhäuser (Deniz Yilmaz, vorne) und der Chor des Darmstädter Staattheaters, umrankt von Lilien, den Totenblumen. © Copyright: Wolfgang Runkel

Inszeniert von dem Iraner Amir Reza Koohestani, kann Wagners „Tannhäuser“ am Staatstheater Darmstadt so wenig überzeugen wie Titelsänger Deniz Yilmaz.

Allerlei wurde gemunkelt vor dieser Premiere. Vor allem, dass der nicht sonderlich opernerfahrene iranische Regisseur Amir Reza Koohestani (unterstützt von Dirk Schmeding) die Pilger als Flüchtlinge und die Frauen verschleiert auf die Bühne bringen würde. Ja, beides ist passiert, ohne dass es – bis auf ein paar Buh-Rufer zum Schluss – jemanden sonderlich erregt hätte. Zu verlockend sind ja auch die Analogien.

Stilisierte sich Richard Wagner nicht selbst als Flüchtling, auf der Flucht vor den Gläubigern, vor der Liebe, vor der Welt, vor allem Möglichen, nicht zuletzt vor sich selbst? Ähnelt in dieser Männeroper nicht auch das Frauenbild, nämlich wahlweise Lustobjekt oder Heiratspreis, dem in islamisch geprägten Gesellschaften vermuteten? Die Religion ebenfalls, in dieser Oper eine rigide, scheinheilige moralische Instanz? Die Pilger in paramentenähnlichen Rettungsfolien aus Rom zurückkehren zu lassen (Kostüme: Gabriele Rupprecht) ist eine wortwörtlich glänzende Idee. Köpfe und Körper der Frauen beim Einzug in den Wartburg-Saal vielfarbig zu verhüllen, nicht minder: Auf diese Weise ähnelt nämlich die weibliche Hälfte des Chores verblüffend Szenerien auf Wimmelbildern des 16. Jahrhunderts; die Parallelität des Habitus von Religionen wird deutlich, kritisch allerdings auch die zeitliche Distanz, die eine „Aufklärung“ genannte Epoche zwischen Islam und Christentum errichtet hat.

Voller Krafteinsatz

Verwandelten die Pilger im ersten Akt das Lust-Bett des Venusbergs (Bühne: Mira Nadjmabadi) mit wenigen Handgriffen in eine Art Flucht-Boot, wuseln am Ende, kaum erkennbar, schwarz verhüllte Tannhäuser-Groupies aus der Lasterhöhle. Da bereitet sich Deniz Yilmaz (Tannhäuser) jedoch schon auf den Kampf mit der Rom-Erzählung vor. Der Sänger verliert den Wettstreit nicht nur pflichtgemäß in der großen romantischen Oper, sondern auch speziell an diesem Nachmittag. Wohl um Bayreuth-Feeling zu erzeugen, mit dem der „Tannhäuser“ nun wirklich nichts zu tun hat, beginnen die Aufführungen am StaatstheaterDarmstadt um 16 Uhr.

Bei allem Krafteinsatz scheinen die Töne nicht herauszuwollen aus diesem Tenor, sie gefährden Höhe, Tragkraft und Artikulation. Vielleicht auch ein wagnerisches, hier nicht thematisiertes Problem des sensiblen Tannhäuser: Versagensängste gegenüber den starken Frauen, Venus (wollüstig-erfahren und kompakt: Tuija Knihtilä) und Elisabeth (Edith Haller), eine frische, sympathische Sopranstimme, deren Intonation gelegentlich die Fassung verliert. Gerne hätte man sie differenzierter in ihrer Haltung zu Tannhäuser gesehen, womöglich verstrickt in subversive Aktionen gegen die Wartburger Hofgesellschaft, den hier gönnerhaft noblen, dort aufbrausenden Landgrafen (Martin Snell), den intellektuell schlanken Bariton Wolfram (ansprechend nicht nur im „Lied an den Abendstern“: David Pichlmaier) oder die knöchern pflicht-bewussten Sekundanten Walther (Jun-Sang Han) und Biterolf (Nicolas Legoux). Welchen bierernsten Unfug, wie praxisfern schwadronieren diese Herren über ritterliche Liebe! Ironischen Humor bietet ferner die Showtreppe in diesem Song-Contest, ziemlich sinnfrei dagegen bespielen Live-Videoprojektionen (Philipp Widmann) von Überwachungskameras oder allerlei Filmschnipsel die Rückwand der sonst spärlich beschickten Bühne.

Aura ohne Weihe

Von behaglich-weihevoller Aura weit entfernt lässt Will Humburg das Staatsorchester spielen, fast zu nüchtern am Anfang, dramatisch zugespitzter im Verlauf, mit schönen Einzelleistungen (Flöten!). Balsamisch (aus dem Off) und kernig (ins Publikum hinein) singen die Chöre (Thomas Eitler-de Lint). Bei allem aktualisierenden Gedankengut und der bedenkenswerten Identifizierung des Regisseurs mit der Titelgestalt dieser Oper: Es wird doch viel herumgestanden und routiniert chargiert auf der Bühne. Hier aber sollte die Oper passieren, nicht im Kopf. Das Publikum applaudiert vor allem den musikalischen Leistungen.

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