Falsche Braut, echte Liebe

Der Regisseur David Bösch setzt die psychologisierende Brille auf, der Dirigent Hartmut Haenchen treibt das Geschehen frisch und farbenreich voran. Dabei gerät die Welt der Liebenden gründlich aus den Fugen.

Thomas Schacher, Genf
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Da helfen auch falsche Notare nicht mehr: Die Risse in den Beziehung sind zu gross in der Genfer «Così fan tutte». (Bild: Carole Parodi / GTG)

Da helfen auch falsche Notare nicht mehr: Die Risse in den Beziehung sind zu gross in der Genfer «Così fan tutte». (Bild: Carole Parodi / GTG)

Am Schluss bleibt nur Verstörung. Mit strahlenden Klängen des Orchesters in der Tonart der «Jupiter-Sinfonie» endet «Così fan tutte». Doch in diesem C-Dur triumphiert nur einer. Es ist der Drahtzieher Don Alfonso. Die beiden Paare dagegen, die sich nach einer abenteuerlichen Reise in das Reich seelischer Abgründe wiedergefunden haben, verstehen die Welt nicht mehr.

An eine Heirat der Verlobten ist nicht zu denken. Und Despina, die Gehilfin und Gespielin Alfonsos, möchte vor lauter Gram bloss noch im Boden versinken. Was ist geschehen?

Zwischen Kopf und Herz

Die beiden offiziellen Paare sind eben die falschen in diesem Stück. Ferrando ist mit Dorabella, Guglielmo mit Fiordiligi verlobt; doch Mozarts Musik und Lorenzo Da Pontes Libretto unternehmen alles, um dem Publikum die Liaisons von Ferrando und Fiordiligi sowie von Guglielmo und Dorabella als die eigentlich richtigen darzustellen. Nur für diese inoffiziellen Paare gibt es je ein Liebesduett. Die Namen von Ferrando und Fiordiligi beginnen nicht nur mit demselben Buchstaben, sondern als Tenor und Sopran bilden sie gemäss der Opernkonvention das zentrale Paar. Auch der Bariton Guglielmo und die Mezzosopranistin Dorabella gehören nach derselben Konvention zusammen.

Bei der Genfer Neuproduktion von «Così fan tutte» deutet der Regisseur David Bösch diese schräge Konstellation durch die Brille des Psychologen. Dieselben Männer, die mit Don Alfonso auf die Treue ihrer Verlobten gewettet haben, stellen nun diese Treue auf die Probe, indem sie die beiden Frauen über Kreuz verführen. Dass sie dann nach erfolgreicher Verführung die Entrüsteten mimen und dass die Frauen am Schluss reumütig um Verzeihung bitten, nimmt der Regisseur den vier Hauptfiguren indes nicht ab. Stattdessen gelingt es ihm meisterhaft, die ganze Palette zwischen Treue und Verführbarkeit, zwischen Kopf und Herz, zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten zu zeigen.

Das Stück von 1790, dessen Thematik nichts von ihrer Aktualität eingebüsst hat, spielt in der heutigen Zeit. Das Bühnenbild von Falko Herold nutzt die Drehbühne in der Genfer Ausweichspielstätte der Opéra des Nations geschickt. Auf der Vorderseite sieht man eine reich mit Alkoholika ausgestattete Bar inklusive Fussballkasten, Musikautomat und Dart-Scheibe; auf der Rückseite befindet sich das Schlafgemach der beiden Schwestern Fiordiligi und Dorabella mitsamt einem Kleiderkasten für die grosse Garderobe. Der grösste Teil der Handlung spielt in der Bar, wo Don Alfonso als Barkeeper und Despina als Serviererin arbeitet.

Eroberte Damenslips

Viel Kleiderwechsel fordert die Kostümbildnerin Bettina Walter nicht nur, je nach Verführungsbereitschaft, bei den Frauen, sondern zahlreicher noch bei den Männern. Ferrando und Guglielmo sind anfangs als genusssüchtige Yuppies gekennzeichnet, die mit einer Bar nicht nur Alkoholkonsum, sondern auch das wahllose Aufreissen von Frauen verbinden. Wenn sie angeblich zum Militär eingezogen werden, stecken sie in grünen Mänteln; wenn sie als fremde Sonnyboys zurückkehren, tragen sie coole Sonnenbrillen. Ihre «Verkleidung» macht sie jedoch nicht unkenntlich, und die beiden Frauen realisieren in der Genfer Inszenierung sehr genau, worauf sie sich bei diesem Partnertausch einlassen.

Fast alle Rollenträger sind, ein Glücksfall, auch brillante Schauspieler. Das Dramma giocoso entfaltet sich umwerfend komödiantisch und einfallsreich bis ins kleinste Detail. Oft geht es derb und handfest zu, nur wenn man dann wirklich zur Sache kommt, weichen die Paare ins Schlafgemach hinter der Trennwand aus. Mit der Trophäe des eroberten Damenslips prahlen die Männer anschliessend voller Stolz.

Der Ferrando von Steve Davislim ist ein begnadeter Komiker. Leider war seine Tenorstimme bei der Premiere wegen einer Pollenallergie etwas beeinträchtigt. Seine an sich robuste Stimme findet ihre Entsprechung im mächtigen Sopran der Fiordiligi von Veronika Dzhioeva. Sie forciert indes zu oft und neigt auch darstellerisch zu Stereotypien. Das wirkliche Identifikationspaar bilden der smarte Bariton von Vittorio Prato alias Guglielmo und der geschmeidige Mezzosopran von Alexandra Kadurina alias Dorabella. Als Don Alfonso ist Laurent Naouri mit der nötigen Durchtriebenheit ausgestattet, und Monica Bacelli bereitet als Serviererin, Doktor und Notar das reinste Vergnügen.

Die Verführerin

Mit dem Orchestre de la Suisse Romande begleitet ein philharmonischer Klangkörper, der nicht auf alte Musik spezialisiert ist. Doch dem deutschen Dirigenten Hartmut Haenchen, dessen Karriere einst in der alten Musik begann, kommt das Verdienst zu, dass die Instrumentalschicht der Partitur leicht, frisch und farbig und dabei ganz ohne Übertreibungen dargeboten wird.

Die Musik wird ja in «Così» ohnehin an vielen Stellen zum Hauptakteur – sie ist die eigentliche Verführerin in dieser Geschichte. Wenn Guglielmo und Dorabella im zweiten Akt über ihrem Duett «Il core vi dono» zueinanderfinden, ist es die Musik, die den im Gleichtakt pochenden Herzschlag der Liebenden buchstäblich hörbar macht. Und die schmeichelnde Begleitung von Klarinetten und Fagotten sagt, dass aus dem lockeren Spiel inzwischen Ernst geworden ist. Da gibt es kein Zurück.