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Skylla und Glaukos
(Scylla et Glaucus)

Tragédie en musique in fünf Akten und einem Prolog
Libretto von Monsieur d'Albaret
Musik von Jean-Marie Leclair

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Kooperation mit dem Centre de Musique Baroque de Versailles

Premiere in der Oper Kiel am 6. Mai 2017




Theater Kiel
(Homepage)
Meeresmärchen mit barocken Tanzeinlagen

Von Thomas Molke / Fotos von Olaf Struck

Aller guten Dinge sind drei. Das hat man sich wohl in Kiel gesagt und erneut die bedeutende zeitgenössische Choreographin Lucinda Childs, die im Juni dieses Jahres für ihr Lebenswerk mit dem Goldenen Löwen der Tanz-Biennale in Venedig ausgezeichnet wird, und den griechischen Ausstatter Paris Mexis für die Inszenierung einer Oper verpflichtet, die erneut eine mythologische Episode zum Thema hat und bei der der Tanz eine große Rolle spielt. Nach der relativ unbekannten Tragédie en musique Atys von Jean-Baptiste Lully (siehe auch unsere Rezension) und Christoph Willibald Glucks Orpheus und Eurydike im letzten Jahr ist die Wahl dieses Mal auf einen Komponisten gefallen, der heute, wenn überhaupt, nur noch als führender Violinvirtuose bekannt ist: Jean-Marie Leclair. Seine erste und einzige Oper Scylla et Glaucus komponierte er in relativ hohem Alter von fast 50 Jahren und brachte es damit immerhin auf 18 Vorstellungen, bevor das Werk von den Bühnen verschwand. Problematisch für das damalige Publikum dürfte sicherlich Leclairs Mischung von französischen Elementen mit Einflüssen aus der italienischen Schule gewesen sein, die in der damaligen Zeit vom Publikum nicht goutiert wurden. König Ludwig XV., dem im Prolog gehuldigt wird, besuchte die Aufführung nicht, was das Stück in der damaligen Gunst weiter sinken ließ. Erst 1986 gab es bei den Internationalen Händelfestspielen in Göttingen eine konzertante Wiederentdeckung. In Kiel ist nun die erste deutsche szenische Produktion dieses zu Unrecht vergessenen Barockjuwels zu erleben.

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Glaukos (Valdemar Villadsen, Mitte) liebt die schöne Nymphe Skylla (Mercedes Arcuri) (rechts und links: Chor).

Die Handlung basiert auf zwei Episoden aus Ovids Metamorphosen. Der Prolog, der eigentlich dazu dient, den damaligen König Ludwig XV. zu preisen, erzählt von den Propoetiden, die von der Göttin Venus in Statuen verwandelt werden, da sie ihre Gottheit anzweifeln und ihr den Dienst verweigern. Im Anschluss schickt sie ihren Sohn Amor zu der Nymphe Skylla, die sich der Liebe widersetzt, obwohl sie eigentlich tiefe Gefühle für den Meeresgott Glaukos hegt. Dieser wendet sich in seiner Verzweiflung an die Zauberin Circe, die selbst Interesse an Glaukos hat und ihn für sich gewinnen möchte. Doch seine Gefühle für Skylla sind stärker, und so verlässt er die Zauberin wieder. Als die Nymphe ihn schließlich erhört und Amor herbeigerufen wird, um den Bund der beiden zu besiegeln, erscheint Circe in einer dunklen Wolke und entführt Glaukos. Sie droht ihm, Skylla zu töten, wenn er nicht bereit ist, bei ihr, Circe, zu bleiben. Schweren Herzens willigt Glaukos ein. Doch als Skylla auftaucht und ihm schwere Vorwürfe macht, bereut er sein Versprechen. Circe lenkt scheinbar ein und gibt ihn für die Rivalin frei. Während Glaukos und Skylla ihr neues Glück feiern, ruft Circe die Hexengöttin Hekate herbei und erhält ein tödliches Kraut aus der Unterwelt, mit der sie die Quelle, in der Skylla häufig badet, vergiftet. Als Skylla zu dieser Quelle kommt, sinkt sie entseelt zu Boden. Glaukos beklagt den Verlust seiner Geliebten, doch seine Trauer reicht der verletzten Circe nicht. Stattdessen verwandelt sie Skylla in ein Meeresungeheuer, das fortan mit dem Strudel Charybdis einen Schrecken für alle Seefahrer darstellt.

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Circe (Tatia Jibladze) versucht, Glaukos (Valdemar Villadsen) zu verführen.

Childs und Mexis behalten den märchenhaften Charakter der Geschichte bei und lassen die Oper in einer fantastischen Unterwasserwelt spielen. Als Vorhang fungiert ein schwarzer Prospekt, auf dem zahlreiche Wesen der Meeresfauna abgebildet sind, die im Bühnenbild und den Kostümen der Figuren wieder aufgenommen werden. Auch die farbliche Gestaltung setzt besondere Akzente. So trägt die Nymphe Skylla ein rotes Kostüm, wobei in den Stoff zahlreiche Verästelungen eingenäht sind, die an eine riesige Meerespflanze erinnern, die in einzelnen Szenen Teil des Bühnenbildes ist. Die weißen Streifen über dem roten Kostüm stehen für Skyllas reines Wesen. Schließlich versucht sie, sich zunächst den lodernden Flammen der Liebe zu widersetzen, und weist zahlreiche Bewerber ab. Glaukos' Kostüm ist in dunklen Blautönen gehalten, und auch sein Kopf ist vollständig blau eingefärbt. Sein langer weißer Bart lässt ihn bereits recht alt erscheinen. Die großen Schwimmflossen auf seinem Rücken unterstreichen ebenfalls, dass er ein Meereswesen ist. Circe ist in Schwarz gekleidet, was den düsteren Charakter der Zauberin hervorhebt. Die drei Vertrauten Témire, Dorine und Licas sind in den Kostümen jeweils den Hauptfiguren angepasst. Das Ballett und der Chor wechseln in den Farbtönen jeweils nach Szene. Während bei der glücklichen Vereinigung Skyllas mit Glaukos kurz vor dem tragischen Ende das Meer im Hintergrund zwischen den hohen Felsen auf der rechten und linken Bühnenseite mit den wellenartigen Bewegungen recht naturalistisch wirkt, ist Skyllas Verwandlung eher abstrakt gehalten. Die Form, die aus dem Schnürboden herabgelassen wird, um anzudeuten, dass sie am Ende als Ungeheuer das Meer unsicher macht, erinnert eher an einen weiblichen Eierstock.

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Circe (Tatia Jibladze, vorne) ruft mit ihrer Vertrauten Dorine (Marie Sophie Richter, hinten) die Mächte der Unterwelt herbei.

Unterstützt wird die farbliche Gestaltung auch durch das beeindruckende Lichtdesign von George Tellos, der bereits bei Atys und Orpheus und Eurydike mit Childs und Mexis zusammengearbeitet hat. Wenn Circe im vierten Akt die Hexengöttin Hekate aus der Unterwelt herbeiruft, wird eine absolut düstere und unheimliche Atmosphäre erzeugt. Die Stimme der Hexengöttin wird mit einem gewissen Hall über Lautsprecher eingespielt und wabert so unheilvoll durch den Saal. In der Mitte der Bühne ist ein kleiner Altar errichtet, dem Circe anschließend das giftige Kraut entnimmt. Als Quelle für Skyllas Bad dient ein riesiges Schneckenhaus, das an der Rampe aufgestellt wird und in das Circes Vertraute Dorine das Gift herabtropfen lässt. Für die Tanzeinlagen wird Childs von dem Tänzer und Choreographen Bruno Benne unterstützt, der sich seit der Zusammenarbeit mit Béatrice Massin und Marie-Geneviève Massé mit seiner 2013 gegründeten Compagnie Beaux-Champs auf den barocken Tanz spezialisiert hat und für die Divertissements im ersten und dritten Akt verantwortlich zeichnet. Diese heben sich im spielerischen Ausdruck deutlich von den Tänzen im zweiten und vierten Akt ab, in denen Circe als Zauberin im Mittelpunkt steht. Der Bewegungsablauf wirkt bei den Barocktänzen noch künstlicher als im klassischen Ballett. Kleinere Unsicherheiten bei den Sprüngen und Ungenauigkeiten bei den Tempi lassen sich bei der achtköpfigen Compagnie nicht ganz verbergen. Umso überzeugender gelingt der moderne und fließende Bewegungsapparat in den Circe-Akten.

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Glaukos (Valdemar Villadsen) trauert, weil seine Geliebte Skylla (Mercedes Arcuri) in ein grässliches Meeresungeheuer verwandelt worden ist.

Musikalisch hat der Abend einiges zu bieten. Während der Melodienreichtum in der Ouvertüre die italienischen Einflüsse deutlich hervortreten lässt, folgt die restliche Oper strukturell eher der französischen Tragédie, was die zahlreichen Rezitative mit dem an den Wortduktus untergeordnetem Rhythmus und die fein ausgearbeiteten Divertissements betrifft. In den relativ kurzen Arien und Duetten schimmern jedoch wieder durchaus italienische Affekte durch. Die Partie des Meeresgottes Glaukos ist für einen Haute-Contre, einen sehr hohen Tenor, konzipiert, der, anders als heutzutage ein Countertenor, sowohl die Kopf- als auch die Bruststimme einsetzt, ohne dabei ins Falsett zu wechseln. In Kiel hat man für diese Partie als Gast den dänischen Tenor Valdemar Villadsen gewinnen können. Sein geschmeidiger Tenor klingt in den Höhen sehr weich, was der Figur eine große Zärtlichkeit verleiht. In den Arien ist das unproblematisch, da die musikalische Untermalung so fein angesetzt ist, dass sie Villadsen nicht überdeckt. In den Duetten mit Skylla geht seine Stimme allerdings ein wenig unter. Hier würde man aus heutiger Hörgewohnheit lieber einen Countertenor hören. Mercedes Arcuri stattet die Nymphe Skylla mit leuchtendem Sopran und großer Dramatik aus.

Die faszinierendste Partie kommt musikalisch und szenisch der Zauberin Circe zu, die von Tatia Jibladze mit sattem Mezzo und intensivem Spiel interpretiert wird. Fast einer Carmen gleich umgarnt sie im zweiten Akt verführerisch den Meeresgott und macht ihn sich gefügig, bevor sie dann rücksichtslos ihre Zaubermacht im Kampf gegen die Rivalin einsetzt. Ihr Auftritt im dritten Akt, wenn sie das Glück der beiden Liebenden stört, wird großartig in Szene gesetzt. So tritt sie bedrohlich aus der riesigen Meerespflanze heraus und setzt Skylla außer Gefecht, bevor sie Glaukos droht, seine Geliebte zu töten. Wenn sie dann im vierten Akt die Mächte der Unterwelt heraufbeschwört, wird die Szene von Jibladze regelrecht unheimlich in Szene gesetzt. Marie Sophie Richter überzeugt als Circes Vertraute Dorine und als Göttin Venus im Prolog genauso wie Karola Sophia Schmid als Skyllas Vertraute Témire und Amor im Prolog mit lieblichem Sopran. Der von Lam Tran Dinh einstudierte Chor gefällt als homogene Masse ebenso wie in den kleineren Solopartien. Václav Luks lotet mit dem Philharmonischen Orchester Kiel und der Basso Continuo-Gruppe die feinen Melodienbögen der Partitur filigran und differenziert aus und lässt den Abend zu einem musikalischen Erlebnis werden, so dass es am Ende großen und begeisterten Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Jean-Marie Leclairs einzige Oper ist absolut hörenswert und vor allem in der großartigen Inszenierung von Lucinda Childs sehenswert. Diese Rarität sollte man sich in Kiel nicht entgehen lassen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Václav Luks

Regie und Choreographie
Lucinda Childs

Barockchoreographie
Bruno Benne

Ausstattung
Paris Mexis

Choreinstudierung
Lam Tran Dinh

Licht
George Tellos

Dramaturgie
Ulrich Frey

 

Philharmonisches
Orchester Kiel

Opernchor des Theaters Kiel


Solisten

Prolog

Venus
Marie Sophie Richter

Amor, ihr Sohn
Karola Sophia Schmid

Das Oberhaupt des Volkes von Amathous
Matteo Maria Ferretti

Zwei "Propoetiden"
Kyun-Sup Lee
David Rohr

Tragédie

Skylla, eine Nymphe
Mercedes Arcuri

Glaukos, ein Meeresgott
Valdemar Villadsen

Circe, Tochter des Sonnengottes Helios, Zauberin
Tatia Jibladze

Témire, Skyllas Vertraute
Karola Sophia Schmid

Dorine, Circes Vertraute
Marie Sophie Richter

Licas, Glaukos' Vertrauter
Matteo Maria Ferretti

Ein Schäfer
Sergey Rotach

Ein Waldgott
Matthias Brede

Ein Mädchen / Eine Schäferin
Elisabeth Raßbach-Külz

Ein anderes Mädchen / Eine Dryade
Hélène Rauch-Kosikidis

Die Stimme der Hexengöttin Hekate
Gabriele Vasiliauskaite

Ballett des Theaters Kiel
Yuka Higuchi
Saya Komine
Keito Yamamoto
Sabina Fashki
Alexey Irmatov
Meirambek Nazargozhayev
Martin Anderson
Christopher Carduck


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Kiel
(Homepage)




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