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Von Unglücksfällen und Männern mit BärtenVon Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu
Prolog: Peter Grimes vor den Schatten der Dorfbewohner
José Cura gibt sich die Ehre - und prompt sieht man vor dem Theater Leute stehen mit Schildern "suche Karte". Der vielseitige Argentinier, der auch an den ganz großen Häusern singt, vermittelt eben einen Hauch von Weltstadttheater. Und er singt nicht nur die Titelpartie (wenn auch nicht in allen Vorstellungen), sondern inszeniert gleich selbst und ist dabei auch noch für Bühne und Kostüme verantwortlich. Bei so viel José Cura wird der Dirigent im Applaus glatt vergessen, so scheint's, obwohl Cura das gesamte technische Personal auf die Bühne holt. Es hat schon etwas Familiäres, wie sich das Theater Bonn feiert und feiern lässt.
Das Dorf
Aber nun zur Aufführung. José Cura hat eine im Forte volle, sonore, glänzende Stimme, angenehm baritonal grundiert und immer klangschön. Das Piano dagegen ist eher fahl und ein wenig brüchig, was der Sänger recht gut mit seiner Routine ausgleichen kann. Dazu ist er eine imposante Bühnenerscheinung, wuchtig und präsent. Ein formidabler Grimes, keine Frage. Das sollte aber nicht verdecken, dass die Bonner Oper die anderen Partien exzellent aus dem eigenen Ensemble besetzt hat. Mark Morouse ist ein prachtvoller Kapitän Balstrode mit voller, kultiviert geführter Stimme, Yannick-Muriel Noah eine großformatig lyrische Ellen Orford mit anrührenden Tönen. Und die vielen kleinen Partien sind durchweg gut besetzt. Nicht zuletzt ist Peter Grimes natürlich auch eine große Choroper, und der auch zahlenmäßig starke Chor und Extrachor (Einstudierung: Marco Medved) singt kraftvoll und präzise - im ersten Akt gerät das auch schon mal recht dröhnend, nach der Pause ist die Klangbalance ausgewogener und der Klang dadurch differenzierter. Bestechend schön die Chorrufe aus dem Off in Peter Grimes' großem Monolog im letzten Akt.
Auch das Beethoven-Orchester benötigt etwas Anlaufzeit, spielt zwar von Beginn an präzise, aber der spezifische Britten-Klang stellt sich erst nach und nach ein, der klanglichen Raffinesse der Partitur nähert man sich gegen Ende. Das Dirigat von Jacques Lacombe wirkt lange recht pauschal, kann nicht immer die Spannung aufbauen, die es als Gegengewicht zur mitunter recht statischen Inszenierung bräuchte.
In der Dorfkneipe: Vorne Grimes und (stehend) Balstrode
Der Regisseur Cura stellt keineswegs die Figur des Peter Grimes und damit den Sänger Cura ins Zentrum, vielmehr zeichnet er ein einigermaßen naturalistisches Bild der Dorfgemeinschaft nach. Das Bühnenbild besteht aus einem Turm mit Anbau, den Fotos im Programmheft nach dem watchout tower in Brittens Wohnort Aldeburgh, der wechselnd als Dorfkneipe, Kirche oder Grimes' Hütte dient. Merkwürdigerweise ist das doch alles in dieser Oper bestimmende Meer ausgeblendet; man sieht Strand, Boote und über den Köpfen ein gewaltiges Fischernetz, das allerdings Dekor bleibt - wer mag, kann darin ein Symbol für das Gefangensein der Dorfgemeinschaft sehen. Das Meer selbst bleibt unsichtbar. Die einzelnen Figuren sind pointiert gezeichnet, der bigotte Charakter der Menschen in diesem Küstenort wird deutlich. Auf der anderen Seite gibt Cura den Peter Grimes als einen melancholischen, doch recht sympathischen Außenseiter. Während des Prologs steht er vor einem halbtransparenten Vorhang, hinter dem man die Dorfbewohner als Schattenriss sieht - da wird die Ausgrenzung von Beginn an greifbar. Am Ende wird Ellen ganz ähnlich dastehen - wohl das nächste Opfer. Modern gesprochen, erzählt Cura von einem unschönen Mobbing-Fall.
Vor der Kirche: Grimes, Ellen Orford und der neue Lehrjunge
Die historischen Kostüme, die Genauigkeit im Detail, die Genre-Zeichnung der Dorfbewohner (Seemänner mit klassischen Seemannsbärten), alles in Sepia-Töne getaucht - das ist hübsch gemacht, hat aber auch etwas arg Behäbiges, zumal Cura die gerade Singenden, das kann auch der komplette Chor sein, im Zweifelsfall brav nach vorne an die Rampe beordert. Besondere Überraschungen bietet die Personenregie dabei nicht. Nur selten kann die Regie etwas von der Gefährlichkeit der Situation vermitteln (im nächtlichen Fackelzug auf der Suche nach Grimes etwa gelingt das). Damit ist die eine Hälfte des Dramas ganz solide gezeigt, aber eben nur die eine. Was aber fehlt, das ist das andere Gesicht von Grimes, dem schließlich mehrere Lehrjungen unter mysteriösen Umständen gestorben sind (die in engelsgleichem Weiß als Geister wiederkehren), dessen neuer Lehrjunge alsbald rätselhafte Verletzungen aufweist. Es fehlt die latente Gewalt und Brutalität dieser doch ungemein vielschichtigen Figur. Weder szenisch noch in der gesanglichen Darstellung wird diese dunkle Seite, die doch mindestens genauso wichtig ist, ausgearbeitet. José Cura wirkt, auch in der Rolle, einfach unerhört sympathisch. Sein Grimes träumt klangschön vom glücklichen Leben, das ihm nicht vergönnt ist. Dem Premierenpublikum reichte das. Stehende Ovationen.
José Cura dampft die - toll gesungene - Oper samt ihren Abgründen liebevoll auf Puppenstubenformat ein.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und
Regieassistenz /
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Peter Grimes
Ellen Orford
Auntie
Niece 1
Niece 2
Balstrode
Mrs. Sedley
Swallow
Reverend Horace Adams
Ned Keene
Dr. Crabbe
Hobson
Fischersfrau
Fischermann
Anwalt
John, der Lehrling
William
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