Seelenreise ins Ungewisse

Die Rasselbande aus dem Elfenwald bei der Premiere im Mainzer Staatstheater: Die starken jungen Chorsänger in „A Midsummer Night's Dream", in der Mitte Antonia Labs als Puck. Foto: Andreas Etter  Foto: Andreas Etter
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Klipp-klapp, und schon hat die Wirklichkeit ausgespielt. Gerade noch hat der Herzog am Vorabend seiner Hochzeit mit der Braut am Tisch gesessen, da klappen die Wände auf, und...

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MAINZ. Klipp-klapp, und schon hat die Wirklichkeit ausgespielt. Gerade noch hat der Herzog am Vorabend seiner Hochzeit mit der Braut am Tisch gesessen, da klappen die Wände auf, und im „Sommernachtstraum“ hält die Elfenwelt Einzug. Bleiche Kellerkinder sind es, die das Reich der Nacht bevölkern in den zerschlissenen Gewändern vergangener Zeiten. Die Mitglieder des Mainzer Domchors und des Mädchenchors am Dom und St. Quirin sind nicht nur schräge Typen, sondern auch stimmlich eine starke Truppe.

Der Countertenor ist der stimmliche Star

Angeführt werden sie vom hohläugigen Puck, dem frechsten unter den Lausbuben: Antonia Labs schaut aus wie ein vorlautes Kind, wenn sie ihre akrobatische Choreografie kraftvoll turnt und die Sätze rhythmisch schnarren lässt. Oberon könnte mit ein bisschen Fantasie als Bandenchef durchgehen, Tytania als seine schrille Braut mit Neigung zu extravaganten Frisuren; der Countertenor Alin Deleanu ist mit seinem leichten, beweglichen Altus der stimmliche Star dieses Premierenabends im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters, Marie-Christine Haase an seiner Seite ist koloraturenfest und dramatisch präsent.

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Die Ausstatterin Sabine Kohlstedt hat ganze Arbeit geleistet, um die Zwischenreiche in „A Midsummer Night’s Dream“ zu erkunden. Ihr Bühnenbild wechselt so raffiniert die Schauplätze, dass Benjamin Brittens Opernversion von Shakespeares „Sommernachtstraum“ gar nicht in den Elfenwald gehen muss. Nachts wandern die Gedanken von ganz alleine in Gegenden, von denen wir tagsüber nichts ahnen, und wenn der Hausherr nicht schlafen kann, begegnet er seltsamen Gestalten. Von dieser Gegenwart des Unheimlichen erzählt der Regisseur Niklaus Helbling in vielen hübschen Anspielungen und mit Spaß an der surrealen Überzeichnung. Das Unheimliche steckt in den Köpfen selbst, aber die Inszenierung zeigt das so liebevoll, dass keine Gefahr besteht, abgründige Seiten zu entdecken.

Das ist auch gar nicht nötig, denn es gibt ja Brittens geniale Komposition, die den Klangraum für die Verunsicherung öffnet. Mit welcher kammermusikalischen Delikatesse sie präsentiert wird, ist ein Ereignis: GMD Hermann Bäumer kostet die überraschenden Klangkombinationen der Partitur aus und hat dabei das Staatsorchester mit vielen solistischen Einzelleistungen auf seiner Seite. Sein feines Gespür für Brittens hintergründige Effekte macht die Musik zur Seelenreise ins Ungewisse. Gleichwohl liefert Bäumer szenische Impulse und vermittelt auch das Vergnügen an der deftigen Parodie, mit der das Handwerker-Theater musikalisch in Szene gesetzt wird. Klar, dass dabei Johannes Mayer mit der Travestie des Bälgeflickers, der in die Rolle der verliebten Thisbe schlüpft, den größten Lacherfolg abräumt. Aber auch Stephan Bootz als Manager der Amateurtruppe und Derrick Ballard als Bottom, der mit dem Eselskopf auch die charakteristischen Kiekser in den Bariton bekommt, sind lustig, aber keine Witzfiguren; Georg Lickleder, Scott Ingham und Kyung Jae Moon komplettieren dieses schräge Ensemble.

Wie viele Welten hier übereinander liegen, zeigt Helblings Regie in scharfgezeichneten Typenstudien. Die vier Liebenden, deren Gefühle durch Zauberkraft verwirrt und dann doch in die gewünschte Bahn gelenkt werden, sind mit den starken Stimmcharakteren von Louise Fenbury (Hermia), Dorin Rahardja (Helena), Brett Carter (Demetrius) und Tansel Akzeybek (Lysander) ausgeglichen besetzt, das Quartett des Erwachens, in dem sie verwandelt in die Wirklichkeit zurückkehren, ist der innigste Augenblick des mit großem Beifall aufgenommenen Abends.

Und der hält die Verunsicherung durch. Die Hochzeit des Herzogspaares lässt ahnen, dass nach der Begegnung mit der Elfenwelt die Wirklichkeit nur noch Kulisse ist. Mit sanftem Wohlklang und blasiertem Auftreten karikiert Hans-Otto Weiß den Bräutigam, der für die Theater-Handwerker nicht einmal ein Trinkgeld hat, Catherine Garrido als Hippolyta paart warmen Stimmklang mit kühlem Auftreten. Dass danach die Bande aus dem Elfenreich wieder durchs Haus zieht und schlechte Träume bringt, gönnt man diesem Paar gerne.

Nächste Vorstellungen: 15., 23., 27. Mai, 2. Juni.