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Richard Wagner: Tannhäuser. Premiere 21. Mai 2017. Foto: Wilfried Hösl
Richard Wagner: Tannhäuser. Premiere 21. Mai 2017. Foto: Wilfried Hösl
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Ästhetizismus – Münchens neuer „Tannhäuser“ erstirbt in eitel schönen Bildern

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GMD Kirill Petrenko dirigiert erstmals „Tannhäuser“; Klaus Florian Vogt debütiert in der Titelrolle; dazu die Münchner Lieblinge Anja Harteros als Elisabeth und Christian Gerhaher als Wolfram, eingebettet in weitere Sänger-Sahne – und dann noch dieser gehypte Romeo Castellucci für die gesamte Bühne… ist München nicht einfach einsame Spitze?

Gegen den vehementen Buh-Sturm am Ende wurde zwar auch heftig angetrampelt und geklatscht, während Chor und Sänger einhellig gefeiert wurden – herausragend Gerhaher und ebenso Petrenko. Das ihm inbrünstig ergebene Staatsorchester folgte seiner hoch differenzierten Zeichengebung minutiös: nur ja keine Wagner-Brunst.

Petrenkos Gesamtinterpretation baute auf einem selten so zu hörenden Pianissimo auf. Er führte vor, wie beeindruckend dieser 32jährige Wagner kleine Crescendi und Decrescendi komponiert hatte, wie sich die großen Steigerungen eben erst gebremst gegen den schon vorhandenen Orchester-Elan langsam, langsam aufbauten, um sich dann eben wirklich fortissimo zu entladen. Petrenko und sein Dramaturg Malte Krasting hatten sich für die „Wiener Bearbeitung 1875“ von Wagners Hand entschieden, unter Einfügung von Walthers Lied im Sängerkrieg aus der Dresdner Fassung von 1845. So waren speziell im Bacchanale die schon auf „Tristan“ voraus weisenden Harmonien und Steigerungen zu hören – und dann auch wieder die Subtilitäten, die speziell die Pariser Musikwelt um die Impressionisten begeisterten. Auch die fahlen Klänge des ja geradezu endzeitlich durchwehten dritten Aufzugs gelangen. Was Petrenkos Dirigat aber – noch? – fehlte, war feurige Dramatik: das Ringen zwischen Venus und Tannhäuser ohne peitschennahe Erotik; brave Freude, kein überschwänglicher Jubel Elisabeths über Tannhäusers Wiederkehr, auch keine mühsam gebändigte Glut zwischen Elisabeth und ihrem Helden; keine Lynchjustiz-nahe Hysterie im „Dies Schwert wird dich erreichen“ der Ritter gegenüber dem die freie Liebe preisenden Sänger-Revoluzzer; keine scharfe Klage in der „Rom-Erzählung“. Insgesamt alles gut, vieles fein ausgebreitet - und kaum fesselnd.

Das in Gold und Weiß edel gestaltete Programmheft zitiert neben vielen Aussagen Wagners auch seinen Brief an den Sänger Stock: „Meine Orchesterbegleitung drückt nie etwas für das Gehör aus, was auf der Bühne nicht auch für das Gesicht ausgedrückt werden soll“. Leider fehlt Wagners Aufforderung von 1876: „Nie dem Publikum etwas sagen, sondern immer dem anderen; in Selbstgesprächen nach unten oder nach oben blicken, nie geradeaus.“ Nichts davon galt für Romeo Castelluccis Regie, Bühne, Kostüme und Licht. Barbusige Nymphen schossen zu Vorspiel und Bacchanale Pfeile auf eine Augenprojektion. Venus räkelte sich in einem vom fleischfarbenen Bewegungschor breiig ausgebreiteten Fleischberg. Landgraf und Sänger mit Gesichtsmasken schleiften einen toten Hirsch blutend herein, tauchten die Hände ins Blut und beschmierten sich die Münder, Wolfram auch die von Tannhäuser. Die „Halle“ waren zartweiße Schleierwände, die zwischen Elisabeth und Tannhäuser fuhren und kreisten, während der Bewegungschor so etwas wie „Gefühlswellen“ aufführte. Zum Sängerkrieg lagen Sänger und Chor auf dem weißen Bühnenboden – und weil es ja um „Preislieder“ geht, spielte Castellucci mit bühnenbreit daliegenden Schuhleisten auf Hans Sachs in den „Meistersingern“ an.

Zahlreiche weitere, werkferne Absonderlichkeiten gipfeln dann im dritten Aufzug in zwei Grabsockeln mit den Namen „Klaus“ und „Anja“. Während eine Lichtflamme im Hintergrund loderte und darüber durch die rund zwölf Minuten der „Romerzählung“ in dauernd wechselnden Schriftzügen behauptet wurde, dass von einer Sekunde langsam gesteigert bis zu „Milliarden Milliarden Milliarden Milliarden Milliarden Jahren“ vergangen seien, auch schwarze Nymphen in einem Hintergrundloch rätselhaft agierten – während all dem wurden auf den Sockeln in sieben, acht oder neun Wechseln jeweils zwei Leichen in zunehmend realistischen Verwesungszuständen vom gasgeblähten Bauch bis zum Häufchen Asche aufgebahrt. Dass deshalb alle Sänger und der Chor nach vorne sahen und frontal ins Publikum sangen, klänge nach Kritikerbosheit: doch vielmehr fand Personenregie schlicht nicht statt.

So bleibt festzustellen, dass die Harteros-Elisabeth schön klang, aber nicht leidenschaftlich. Georg Zeppenfelds Landgraf und die Ritter klangen ebenfalls gut. Gerhaher und Vogt führten viel Liedhaftes vor, sehr gut textverständlich, aber wenig expressiv, nur ein paar Mal beseelt. Ob der „schwarze Held Tannhäuser“ die Partie für Vogts „weißen“ Tenor ist, blieb eine Frage.

Der gesamte Rest: eine Kunst-Können-Welt entfernt von Götz Friedrichs isoliertem Künstler-Außenseiter, für den 1972 in Bayreuth der Vorhang fiel – und erst danach als gesellschaftspolitischer Utopie von „der Gnade Heil“ gesungen wurde, was Ministerpräsident Strauss zu einem selbstentlarvenden Protestschreiben und Udo Jürgens zu einem fulminanten Verteidigungsbrief veranlasste - nachlesenswert; eine Kunst-Können-Welt entfernt von Harry Kupfers Künstler-Revolutionär innerhalb von Mauern und seinem Scheitern in unserer aktuellen „Schampus-Society“, in Hamburg seit 1990 ein Spielplanhit; eine Kunst-Können-Welt entfernt von David Aldens surreal überwältigender Münchner Inszenierung von 1994, auf DVD weiterhin nacherlebbar.

München 2017: Auf sich selbst bezogener, blutleerer Ästhetizismus ohne jegliche Dramatik, gestylte Neo-Nazarenertümelei.

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