Henry Purcells „Fairy Queen“ ist am Theater Bremen in einer Version von Regisseur Robert Lehniger zu sehen. Lehniger hat alle Sparten einbezogen und eine vor Ideen sprühende Inszenierung geschaffen.
Die genaue Zuordnung von Henry Purcell‘s „The Fairy Queen“ (Die Feenkönigin) hat immer schon Schwierigkeiten gemacht. Auf Semi-Oper oder den alten Begriff der Masques, den Maskenspielen am englischen Hof im 16. und 17. Jahrhundert, läuft es meistens hinaus.
Eigentlich ist das 1692 uraufgeführte Werk eine kunstvoll gebaute Revue aus Sprech-, Gesangs- sowie Instrumentalpassagen. Damit unterlief Purcell das Theaterverbot der Puritaner – denn Musik war weiterhin erlaubt. William Shakespeares „Sommernachtstraum“, 100 Jahre zuvor uraufgeführt, mit seinen multi-amourösen Verwicklungen bildet die Basis. Hinzu kommen musikalische Szenen, in denen allegorische und mythologische Figuren auftreten.
Für heutige Regisseure bietet „The Fairy Queen“ mithin einen Steinbruch an interpretatorischen Möglichkeiten und die fast schon zwingende Notwendigkeit zu spartenübergreifendem Arbeiten. In Stuttgart und in Wien war die „Feenkönigin“ kürzlich in zwei völlig unterschiedlichen Arbeiten zu sehen. In der Region stand das Werk zuletzt 2004 am Oldenburgischen Staatstheater auf dem Programm, in der Regie von Andreas Baesler tobten sich die Mitwirkenden aus Oper, Schauspiel und Tanz in einer bunten, opulent ausgestatteten und augenzwinkernden Inszenierung aus.
Expedition in die Welt der Sehnsüchte
Am Theater Bremen sind gleich alle vier vorhandenen Sparten an der „Fairy Queen“ beteiligt, die Regisseur Robert Lehniger in seiner dritten Arbeit für das Haus (nach „Hair“ und „Oreste“) eingerichtet hat. Sein Konzept erscheint auf den ersten Blick karg – die Kostüme sind in schwarz-weiß gehalten, der Zauberwald ist eine ebenfalls schwarz-weiße, weich geschwungene Holzkonstruktion, die an ein Puzzleteil erinnert. Das Orchester sitzt in einer Art weißen Mulde sichtbar vor der Bühne (Bühne: Irene Ip, Kostüme: Selina Peyer).
Dieser Ansatz dient Lehniger als Folie: Er nimmt die Zuschauer mit auf eine Expedition in die Welt der Träume, Sehnsüchte, Leidenschaften. Was ist möglich, was unmöglich, und gibt es auf diesem Gebiet überhaupt Unmögliches, wo doch heute alles geht? Der Wald, der ja auch bei Shakespeare eher metaphorischer denn realer Ort ist, wird bei ihm daher zu einem wissenschaftlichen Institut namens „The Forest“, gemanagt von den Feenmonarchen Titania und Oberon. In einem ulkigen Fake-Dokumentarfilm berichten erste begeisterte Probanden zu positiven Erfahrungen. Das lässt hoffen. „The Forest“ heißt also: Elfen helfen in weißer Pflegerinnentracht. Sie haben eine Menge zu tun, denn die Vorkommnisse im Institut geraten ratzfatz außer Kontrolle.
Lehniger, die Mitwirkenden aus Tanz, Schauspiel, Oper und Moks, und natürlich die Bremer Philharmoniker mit Olof Boman am Pult bieten dem Publikum charmante, witzig-spritzige und manchmal auch nachdenkliche drei Stunden. Der Abend hat zwar durchaus Längen, und nicht jeder Gag ist unbedingt geschmackvoll, aber diese Lesart der „Fairy Queen“ ist durchaus überzeugend, was auch an dem begeisterten Schlussapplaus bei der Premiere am Sonntag zu merken war.
Countertenor im Kleid
Die große Fülle an Ideen lässt einen wild wuchernden Zauberwald in den Köpfen der Zuschauer entstehen, weil das ungemein spielfreudige Ensemble ein Kabinettstückchen nach dem nächsten abfeuert; das Gerüst bildet dabei der „Sommernachtstraum“, allerdings in entschlackter Form. Da gibt es die Geschichte der Feenkönigin Titania (Irene Kleinschmidt), die, nach einem Streit mit ihrem Gatten Oberon (Helge Tramsen), durch einen Liebeszauber verhext wird.
Sie verguckt sich in den einfältigen Zettel (Justus Ritter) mit dem Eselskopf. Die Zaubertropfen des frech-frivolen Trolls Puck (Parbet Chugh ) verwirren zudem die Liebespaare Hermia (Meret Mundwiler) und Lysander (Christoph Vetter) sowie Helena (Lina Hoppe) und Demetrius (Julian Anatol Schneider); eigentlich Aristokraten-Sprosse, bei Lehniger eine nervöse Kellnertruppe, die aber immerhin mit Champagner hantiert.
Eingewoben darin sind die Masques, die inhaltlich das zuvor Gesehene musikalisch-symbolisch verdoppeln, bei Lehniger zudem noch unterstützt durch weitere mediale Ebenen wie eingeblendete Schrift oder Live-Videosequenzen (Kamera: Cantufan Klose). Die Tänzer von Unusual Symptoms führen eine freche Variante der „traurigen Geschichte von Pyramus und Thisbe“ vor. Ein Bariton (Birger Radde) verfolgt einen Countertenor im Kleid (John Lattimore), beide im rot-schwarzen Cowboy-Look – gleichzeitig ist das eine kleine Verbeugung vor der Entstehungszeit des Stücks, in der alle Frauenrollen von Männern gesungen wurden. Plötzlich taumeln seltsame Gestalten in kreischbunten Baumkostümen über die Bühne, dann wird der Schwanz eines Löwen spontan zum Dolch, mit dem Verzweifelte sich meucheln.
Schauspieler mogeln sich unter das Publikum
Wie weiland in Oldenburg wird auch in Bremen ins Publikum hineinagiert, die ersten 30 Minuten finden gar bei Saallicht und offenen Türen statt. Dann werden Zuschauerinnen und Zuschauer auf die Bühne gebeten, um sich ihren Träumen hinzugeben. Doch keine Angst: Es handelt sich um Damen und Herren des Opernchors und des Schauspielensembles, die sich unter das Publikum gemogelt haben.
Es ist also eine Menge los, und Lehniger hält das Ganze in Schwung durch die unterschiedlich hohen Tempi der einzelnen Szenen. Das passt exakt zu der Musik von Purcell (und der Zusatzmusik von Lully, die hinzugefügt wurde), die diverse Stimmungen spiegelt. Olof Boman dirigiert die kleine Besetzung der Bremer Philharmoniker sowie die Continuogruppe wunderbar feinsinnig und präzise, lässt mal träumen, dann triumphieren, spotten oder zum Tanz aufspielen. Und er verhilft den durchweg überzeugenden Sängern zu berückenden Glanzparaden, allen vor voran Irina Dziashko, Nerita Pokvytyté und Hyojong Kim. Großen Anteil am Gelingen hat zudem einmal mehr der engagiert agierende Opernchor unter der Leitung von Alice Meregaglia.