Als Intendant einer Oper hat man es heutzutage nicht leicht. Lässt man die Reifröcke aus der Asservatenkammerr holen, beschweren sich die Kritiker, wie altbacken und verstaubt doch die Inszenierungen seien. Wird es zu politisch, greift es die Befindlichkeiten des Zuschauers zu stark an, dann vermisst der gentrifizierte Belcanto-Aficionado plötzlich die gute alte heile Opernwelt. Die Bayerische Staatsoper hat sich am vergangenen Sonntag mit ihrer Neuinszenierung von Richard Wagners Tannhäuser unter der Leitung von Romeo Castellucci für die mutigere Variante entschieden. Das wohl lauteste Buhkonzert im großen Haus der Münchner in den letzten fünf Jahre war damit trotz Topbesetzung wohl vorprogrammiert.

Dabei darf Oper mutig sein, soll Grenzen durchbrechen. Das wäre ganz im Sinne von Wagner selbst, der mit seinen durchkomponierten Opern mit mehr als nur einer Tradition gebrochen hatte. Im Tannhäuser setzte er beispielsweise in der auch an diesem Abend mit leichten Abwandlungen gezeigten Pariser Fassung die Ballett-Szenen ganz an den Anfang und nicht, wie von der Grand opéra gefordert, in den zweiten Akt. Nur ein Grund, warum die Produktion damals schon nach der dritten Aufführung abgesetzt wurde. Aber mehr noch: Wenn Oper aufhört unbequem zu sein, nicht mehr zum Denken anstößt, keine neuen Wege eingeht, dann wird sie zum bloßen Museumsstück, dann stirbt sie.

Aber ist es wirklich mutig, Inszenierung, Bühne, Kostüm und Licht in einer Position zu vereinen. Knapp drei Stunden lang hatte es eher den Eindruck, unter Castellucci wurden diese Stellen restlos gestrichen. Eine klassische Personenregie ließ sich nicht erkennen. Chor und Hauptdarstellern traut der Italiener über alle drei Akte nicht mehr zu, als das Publikum frontal mit Wagners Musik zu beschallen. Die Kostüme sind nichtssagend schlicht und ohne große Aussagekraft, die Bühne selbst nicht viel mehr als ein leerer Raum, mal schwarz, mal weiß, und ab und zu ein paar durchsichtige Vorhänge, die karg beleuchtet wurden. Ehrlicherweise eben so, wie man es von Castellucci kennt.

Der Fokus legt der Italiener auf andere Aspekte: Mit einer eklektischen Mischung aus Art Basel und symbolistischer Orgastik wollte er der Kunst eine Bühne geben. Eine barbusige Kohorte Amazonen ließ er dafür anrücken, in elaborierten Choreographien Pfeile schießen und im elysischen Reigen um Fruchtbarkeitssymbole tanzen. Selbst ein etwas störrisches Pferd wurde ideenschwanger durch den hinteren Bühnenraum gelockt.

Fast wie in einer konzeptionellen Parallelwelt, ließ Castellucci Kunstblut postmodern auf eine runde Drehscheibe zum apokalyptischen Mandala tropfen. Der Damien Hirst Zitate nicht genug, durften selbstverständlich tierische und menschliche Kadaverattrappen nicht fehlen. Dabei wurde scheinbar vergessen, das Wagner, ja Oper als solches bereits Kunst in Reinform ist. Warum also diese Überhöhung? Ein plumper Versuch die zwei Welten, Venusberg und Wartburg, an der Tannhäuser schlussendlich zerbricht, zu illustrieren? Was ist was? Eine wirkliche Erklärung findet sich auch im fleischfarbenen Programmheft nicht.

Wenn man eines geschafft hat, dann die Musik völlig zu entwurzeln, ihr den Raum und jegliche Bezüge zu nehmen. In der Hauptrolle als Tannhäuser sang Klaus Florian Vogt mit unglaublicher jugendlicher Klarheit und schillernder Brillanz die für betagte Wagnerianer wohl ungewohnt geklungen haben muss, aber durchaus nicht ohne Charm. Die Emotion allerdings, das lodernde Flammen der Jugend, das Spiel mit vollem bedingungslosen Einsatz, welches Wagner sich von seinem Tannhäuser erhoffte, dafür bot die Inszenierung keinen Raum. Knabenhafter Liedgesang, wenngleich technisch selbst in den größten Höhen nahezu perfekt und mit bewundernswerter Kondition, reichten schließlich nicht, um das Publikum restlos zu überzeugen.

Eingeengt in das starre Regiekonzept, hatte auch die sonst so fabelhafte Anja Harteros als Elisabeth kaum Spielraum für die Tragik ihrer Partie. Überhaupt kann darüber gestritten werden, ob Harteros nun die beste Wahl für eine solch jugendliche Rolle war, die eigentlich die Unschuld und Keuschheit verkörpern soll. Gleichwohl soll keineswegs der Eindruck entstehen, dass Harteros den musikalischen Ansprüchen nicht gewachsen war. Sie gab ihr etwas tragisches, dunkles und bewies mit verzaubernd schönen Piani erneut, dass sie mittlerweile längst in die erste Reihe der internationalen Operndiven gehört.

Heimlicher Star des abends war aber mit großem Abstand Christian Gerhaher als Wolfram von Eschenbach. Sein „O du mein holder Abendstern“ war im wörtlichsten Sinne eine wahre Sternstunde in der allenfalls nüchternen, dunklen, uninspirierten Inszenierung. So reduziert und doch so tief berührend hat man die berühmte Arie selten gehört. Da war Kraft, wo es Kraft brauchte, lyrischer Schmelz, wo sich die Emotionen verdickten. Einfach fabelhaft. Weltklasse!

Seinen Teil dazu beigetragen hat sicherlich auch das eher bedächtiges Dirigat von Kirill Petrenko. Deutlich stärker als sonst vom Generalmusikdirektor gewohnt, wummerte von tief unten wagnerischer Feinklang durch das große Haus und versuchte die Produktion zusammenzukitten. Das gelang nur bedingt. Und doch wirkte es so, als hätte sich der sonst so fordernde Petrenko für Castelluccis Inszenierung zurückgenommen. Zwar arbeitete er die Einzelstimmen, gerade im Zusammenspiel mit Chor und Solisten, auf meisterliche Weise heraus, aber darüber hinaus fehlten ein wenig die Kontraste und die feingeistige Emotion.

Wie ein Pfeil sollte die Produktion ins Ohr und ins Auge gehen. Doch der Pfeil ging leider daneben. Nur wenige Momente, wie der wallende Fleischberg menschlicher Lust, der zu Beginn des ersten Aktes die Zuschauer das „Zuviel, Zuviel!!“ des Tannhäusers verständlich näherbrachte, blieben wirklich nachhaltig in Erinnerung. Schade eigentlich.

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