Meese: Mehr als nur Rache an Bayreuth

Das Bühnenbild im Theater an der Wien
Viel Applaus für die Uraufführung von "Mondparsifal" bei den Wiener Festwochen.

Richard Wagner ist groß und gleichzeitig großkotzig. Richard Wagner ist herrlich und ebenso selbstherrlich. Richard Wagner ist zum Verlieben, aber auch enorm selbstverliebt. Und bei all diesen Dualismen ist Richard Wagner deutsch, sogar erzdeutsch. Er war übler Antisemit. Er ist Mythologie, Religion, Ideologie. Er ist Wort und Ton. Er ist Gesamtkunstwerk wie kein anderer.

Aber er ist – und das sagt ein bekennender Wagnerianer – auch besonders lustig.

Richard Wagner durch und durch ernst zu nehmen, ihn zu buchstabieren oder sich der Überhöhung gar zu verweigern, wie zuletzt oft bei klassischen Wagner-Produktionen geschehen, ist daher keine Lösung.

Leicht

Jonathan Meese, der Künstler und Performer, der Maler und Überstreicher, der Dies-, Das- und Adidasler, hat nun im Rahmen der Festwochen im Theater an der Wien seinen originären und originellen Ansatz im Umgang mit Wagner präsentiert – leicht, lustvoll, durch und durch authentisch. Er schuf eine humor- und geistvolle Variation, die Freude bereitet.

Meese befreit seinen Wagner, an dem er sich so heftig abgearbeitet hat, vom historischen Ballast, vom Mief, der so oft mitschwingt, von der ideologischen und religiösen Schwere, von der Über-Ernsthaftigkeit. Meese liegt vor Wagner auch auf dem Boden wie so viele Regisseure. Aber er starrt nicht bewundernd hinauf, sondern schaut, was darunter liegt, welche neuen Räume sich auftun, wenn die alten geradezu apokalyptisch eingestürzt sind. Er blickt nicht zurück, sondern in eine Sci-Fi-Zukunft. Damit taucht er tiefer in die Persönlichkeit Wagners ein als die meisten zuvor. Er wird selbst zur Wagner-Figur, ja sogar zu einem Teil von Wagner selbst. Being Richard Wagner ist hier being Jonathan Meese.

Eigentlich hätte Meese 2016 in Bayreuth "Parsifal" inszenieren sollen. Dazu kam es, offiziell aus Kostengründen, nicht. Stattdessen sah man eine Regie von Uwe Eric Laufenberg voll grauenhafter Religionsklischees.

Lang

Als Antwort auf die Ausladung realisierte Meese in Wien seinen eigenen "Parsifal", der sich "Mondparsifal Alpha 1 – 8" nennt (im Oktober kommt es in Berlin zu "Mondparsifal Beta 9 – 23"). Bernhard Lang komponierte die Musik, die sich über vier Stunden erstreckt. Insgesamt hat dieses neue Werk viel mehr mit "Parsifal" zu tun, als man vielleicht dachte, der "Mondparsifal" ist inhaltlich und analytisch sogar mehr "Parsifal" als der jüngste in Bayreuth.

Es geht ebenso um den reinen Toren, der diesfalls auf eine Mondlandschaft geworfen wird und später vor die Villa Wahnfried. "He! Ho! Waldhüter ihr", so beginnt das Original. Beim "Mondparsifal" sind Gurnemanzens erste Worte "Ho! He!" – alles wird auf den Kopf gestellt.

Gurnemanz erscheint im Jonathan-Meese-Look und wird von Wolfgang Bankl fabelhaft gesungen sowie gespielt. Kundry (exzellent: Magdalena Anna Hofmann) zeigt unterschiedlichste Frauenfacetten, als Verführerin im zweiten Aufzug ist sie etwa Barbarella. Damit nicht genug der Filmzitate: Amfortas (ebenso ausgezeichnet: Tómas Tómasson) sieht aus wie Marlon Brando und trägt am Ende ein Kostüm, auf dem "Lost Tangoz" steht – als Referenz an den "Last Tango in Paris". Klingsor, gespielt und gesungen vom höchst intensiven Martin Winkler, ist eine Art Dr. No, pervers mit seinem Teddy.

Parsifal sieht mit seinem lächerlichen Badehosen-Kostüm aus wie Sean Connery als Zed im Film "Zardoz" von John Boorman aus 1974. Gespielt wird er von Daniel Gloger, der als Countertenor gezielt über seine Grenzen geht, ähnlich wie einst David Moss als Orlofsky bei der "Fledermaus" von Hans Neuenfels in Salzburg. Filmzitate treffen auf Comics: Die Blumenmädchen als Mangas sind besonders amüsant.

Auch beim "Mondparsifal" geht um es Verwundungen am Gemächt, um die Befreiung von Mami Herzeleide und um Erlösung, also um ein Happy-End wie in Hollywood-Movies. Den optischen Rahmen dafür bildet eine Drehbühne, von Meese erdacht und bemalt, in seiner Mischung aus Kindlichkeit, Buntheit und Tiefgang. Im dritten Aufzug laufen auf der Bühne Ausschnitte aus dem Stummfilm "Die Nibelungen" von Fritz Lang (1924). Parsifal meets Siegfried – auch das funktioniert.

Live

Die Personenführung ist besonders gelungen, die zentralen "Parsifal"-Momente finden alle statt. Bei den beiden Verwandlungsmusiken gibt es sogar Live-Performances von Meese: Er zeichnet in einer Loge, die Bilder werden auf die Bühne übertragen – ein weiterer kraftvoller, innovativer, ja revolutionärer Beitrag zur Aufhebung der Genregrenzen und zur Verschmelzung von Musik, Theater und Kunst.

Die Musik von Bernhard Lang, durchaus im Geist von Ligeti, nützt sehr raffiniert Wagner-Zitate aus mehreren Werken. Es beginnt mit dem "Rheingold"-Vorspiel, das nahtlos in "Parsifal" übergeht, dann kommt "Lohengrin" zu Ehren, man meint auch "Tristan" zu hören. Lang dekonstruiert Wagner, verwendet aber ganze Phrasen von ihm, die er immer wieder abrupt stoppt und wiederholt. Das lange Warten auf die Erlösung – man hört es hier ganz stark. Die Repetitionen passen perfekt zu "Parsifal" mit den endlosen Gurnemanz-Erzählungen.

Es gibt viele jazzige Einschübe, schöne solistische Momente, etwa vom Saxophon, und farbenreiche Ensemblepassagen. Das Klangforum unter Simone Young spielt grandios, dieser Lang’sche Wagner rockt und swingt. Auch das Libretto stammt von Lang, seitlich gibt es zum Mitlesen Aufrufe von Meese und Plädoyers für die Diktatur der Kunst.

Bestimmt ist diese Produktion nicht jedermanns Sache. Aber sie hat das Potenzial, Kult zu werden. Und für ein Festival ist sie ideal.

Meeses Rache an Bayreuth ist vollzogen. Und sie ist vollendet. Aber es ist weit mehr als nur simple Rache. Es ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen, höchst intensiven Auseinandersetzung. Der Zauberlehrling hat sich vom Meister emanzipiert.

Diese Produktion entzieht sich der klassischen Sternewertung. Meese ist sein eigener Kosmos.

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