„Lohengrin“ von 1967 in Prag : Der Schwan ist mehr als nur eine Projektion
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Die Aura des zermürbten Helden: Olafur Sigurdason als Telramund Bild: Patrik Borecký
Diese Langsamkeit der Bewegungen, dieses weiche Licht: Am Prager Nationaltheater rekonstruiert Katharina Wagner eine Bayreuther „Lohengrin“-Inszenierung ihres Vaters Wolfgang von 1967.
Musealisierung folgt der Moderne so reflexhaft wie das Vorzucken des Unterschenkels dem Schlag auf die Patellarsehne unter der Kniescheibe. Denn Musealisierung ist – die Philosophen Joachim Ritter und Odo Marquard wiesen darauf hin – Kompensation von Herkunftsentwertung, gar Herkunftsvernichtung. Kulturen ungebrochener Kontinuität brauchen kein Museum. Erst wo die Guillotine das Ancien Régime von der Zukunft trennt, setzt Madame Tussaud das Getrennte wieder zusammen und macht es als totes Präparat überlebensfähig.
Warum soll dann das Theater selbst nicht museal sein oder werden dürfen? Gerade dort, wo sich die Regie, wie im letzten halben Jahrhundert, so stark als eigene Leistung exponiert, muss sie sich nicht wundern, dass sie zum Exponat wird. Als Exponat ruft sie den modernen Menschen, dem das Museum die Freiheit ästhetischer Distanz schenkt, zum Vergleich mit andern Exponaten auf. Das passiert gerade, wo überall alte Operninszenierungen wieder in die Vitrinen gestellt werden, die unsere Bühnen bedeuten: beim Festival „Mémoires“ in Lyon, bei den Salzburger Osterfestspielen, am Nationaltheater Mannheim, jetzt am Nationaltheater Prag.
Hier gibt es noch eine einsatzfähige alte Beleuchtungsanlage
Die dortige Opernintendantin Silvia Hroncová hat Katharina Wagner gewinnen können, die Inszenierung von Richard Wagners „Lohengrin“, mit der Wolfgang Wagner 1967 die Bayreuther Festspiele eröffnete, zu rekonstruieren. Das war eine mühselige Arbeit, gesteht Katharina während der Pause im Gespräch mit dieser Zeitung, aber die Quellenlage war dafür sehr gut. Beide Regiebücher der Assistenten Wolfgangs haben sich erhalten; Bewegungen der Figuren sind exakt notiert, auch Lichtwechsel im Klavierauszug der Beleuchter.
Darüber freut sich Katharina besonders: dass es in Prag noch eine einsatzfähige alte Beleuchtungsanlage gibt, die das weiche, an den Kegelrändern verschwimmende Licht wie 1967 quasi in die Luft tuschen kann. Szenisch übrigens gibt die Rekonstruktion nicht den Stand von 1967, sondern den der Wiederaufnahme von 1972 wieder, wo Friedrich von Telramund seinem König anfangs noch ohne Schwert gegenübertritt und es erst später, zum Gottesgericht, gereicht bekommt. Auch der ursprünglich braune Boden im ersten – und letzten – Bild ist blau und mit Schlingpflanzenornamenten bemalt.
Mehr Raum für eigene Gedanken und Träumereien
Das Bühnenbild von Wolfgang Wagner ist durch Fotos und Entwürfe ebenso genau dokumentiert wie die Arbeit des damaligen Kostümbildners Kurt Palm. Für die Rekonstruktion in Prag hat allerdings Thomas Kaiser die schweren Lederroben der Mannen von Brabant durch leichtere Stoffe ersetzt. Der vereinigte Chor des Nationaltheaters und der Staatsoper Prag, den Pavel Vaněk und Adolf Melichar so fabelhaft vorbereitet haben, so dass er mit stimmlicher Wucht und Grazie gleichermaßen agieren kann, wird dem Kostümbildner dankbar sein.
Was dem Betrachter heute auffällt, ist die Langsamkeit der Bühnenbewegungen, die – gemessen an der Assoziationsdichte heutiger Regisseure – dem Zuschauer mehr Raum für eigene Gedanken und Träumereien gibt, auch mehr Freiheit, der Musikerzählung zu folgen. Trotzdem sind Raumpositionen und Blickrichtungen der Figuren so exakt an der Handlung ausgerichtet, dass man aus jedem Szenenfoto genau die dramatische Situation des Stücks erraten könnte. Wolfgang Wagner hat in Licht und Pose langsam animierte Historienbilder gemalt. Sogar die religiöse Farbsymbolik Alter Meister führt er fort, wenn er die heidnische Hexe Ortrud am Ende des zweiten Akts gelb gewandet, wie es die Maler häufig mit Judas taten, dem Jünger, der Jesus verriet.