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Kritik - Neuer Don Giovanni in München Hinab ins Grabmal der Begehrlichkeiten

Diese Höllenfahrt ist eine Erlösung: Der schwermütige Don Giovanni erschießt sich aus Langweile, Weltekel und Frust. Die düstere und plausible Deutung des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München wurde vom Publikum einhellig gefeiert. Eine Kritik von Peter Jungblut.

Szenenbild Don Giovanni  | Bildquelle: Thomas Dashuber

Bildquelle: Thomas Dashuber

Seit Che Guevara sind ja alle Freiheitskämpfer schwermütig, warum sollte da der Busenfreiheitskämpfer Don Giovanni eine Ausnahme machen? Die Welt im Allgemeinen und die Frauen im Besonderen gehen ihm nur noch auf die Nerven. Zu seinem Leidwesen gibt es auf Erden einfach nicht genug Spaß für eine Party und nicht genug Erotik für eine Ausschweifung, deshalb schießt er sich konsequenterweise eine Kugel in den Kopf. Eine packende, zeitgemäße und umjubelte Inszenierung ist Regisseur Herbert Föttinger im Münchner Cuvilliéstheater gelungen.

Melancholie im Totentempel

Don Giovanni, der doch allein in Spanien angeblich 1003 Frauen verführte, nicht als weltläufiger Erotomane und Lebemann, sondern als todtrauriges Gespenst, das vor der Endhaltestelle Hölle noch einmal ein bisschen auf dem Friedhof herumspukt. Ausstatter Walter Vogelweider hatte für die Drehbühne drei Mausoleen entworfen, Totentempel mit jeweils vier majestätisch-düsteren Flügeltüren und grauen Steinreliefs, die an Kriegerdenkmäler oder Höllenstürze erinnerten. Dazwischen Uhren ohne Zeiger und ein Gekreuzigter: Trauer, Melancholie, Abschiedsschmerz in alle Richtungen. Genüsslich legt sich Don Giovanni zwischen Grablichter, er ist längst fertig mit der Welt. Auf seiner busenfreien Party amüsiert sich eigentlich niemand, Eifersucht langweilt ihn, Nackte öden ihn an, Liebe hält er wohl für Einbildung.

Schockgefrostete Erotik-Revue

Szenenbild Don Giovanni  | Bildquelle: Thomas Dashuber Bildquelle: Thomas Dashuber Mit eindringlichen Bildern illustrierte Herbert Föttinger die emotionale Leere der modernen Gesellschaft, ihren Ekel vor den eigenen Lüsten und Begierden. Diese Welt ist nur noch reif für den Friedhof, und Don Giovanni lauschte interessiert ihrem Untergang. Überraschend, dass diese durchweg pessimistische Deutung einhelligen Publikumsbeifall fand: Nicht mal, dass Don Giovanni persönlich den Gekreuzigten abhängte und auf ein Glas Rotwein einlud, erregte im katholischen München Missfallen, genauso wenig, wie Oben-ohne-Statistinnen und halbnackte Kerle auf hohen Absätzen. Das alles machte Sinn, denn gezeigt wurde ja der Überdruss an Emotionen, sinnliche Kälte, eine schockgefrostete Erotik-Revue. Hereinspaziert ins Grabmal der Begehrlichkeiten!

Cuvilliéstheater idealer Aufführungsort

Natürlich ist es ein Privileg, Mozarts "Don Giovanni" von 1787 im Münchener Cuvilliéstheater erleben zu dürfen, einem Gebäude von 1755, also aus dem Rokoko. Selten passen Musik und Architektur so gut zusammen. In der Intimität so eines historischen Saals kann sich Mozarts Oper ganz anders entfalten als in den Riesengebäuden des 19. oder 20. Jahrhunderts. Außerdem kündeten die vielen halbnackten Statuen vor den Logen im ersten Rang des Cuvilliéstheaters noch mehr als die nackten Tatsachen auf der Bühne vom ausgelassenen, aber auch morbiden Lebensgefühl des Rokoko, das den "Don Giovanni" ja prägt.

Abschied von Marco Comin

Für den venezianischen Dirigenten Marco Comin war es die letzte Premiere am Gärtnerplatztheater. Er wird das Haus nicht ganz freiwillig zum Ende der Saison verlassen, weil Intendant Josef Köpplinger der Meinung ist, dass Comin zu wenig an Operette und Musical interessiert ist, den traditionellen Schwerpunkten an Münchens zweitgrößtem Musiktheater. Comin sieht seine Zukunft mehr in der Oper, und den "Don Giovanni" leitete er tatsächlich souverän und mit eigener Handschrift. Perfekt ging er auf das Regiekonzept ein, mit einem schattenhaften, ganz und gar nicht verspielten Klangbild und fast bitterer Ernsthaftigkeit. Eine überzeugende Leistung!

Überzeugende Solisten

Das gilt auch für den Chor und die Solisten, allen voran Mathias Hausmann in der Titelrolle. Er sah aus wie ein abgetakelter Berliner Filmproduzent oder ein Stenz im Vorruhestand, sang bisweilen absichtlich fahl und lässig: Ein authentisches, eindringliches Rollenporträt. Der ungarische Bass Levente Páll als Diener Leporello war herrlich frustriert und verzweifelt in seine Gesten und stimmlich berührend.  Schmerzerfüllt und hilflos gaben sich die beiden Opfer von Don Giovanni, Jennifer O´Loughlin als Donna Anna und Camille Schnoor als Donna Elvira. Ein lohnender, ein intensiver Abend!

Sendung: Allegro, 26. Juni 2017, 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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