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Größe und Schnickschnack

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Catherine Naglestad als Carlotta
Catherine Naglestad als Carlotta © Wilfried Hösl

Das verspielte Schlüsselwerk: Münchner Operndurcheinander bei Franz Schrekers „Gezeichneten“.

In Frankfurt wurden „Die Gezeichneten“ von Franz Schreker in den frühen Achtzigern zu einer Kultaufführung der Opernära von Michael Gielen. Die spektakulär-suggestive Inszenierung von Hans Neuenfels sicherte dem 1918 uraufgeführten und auch nach der Nazizeit noch gemiedenen Stück den Ruf, zu den Schlüsselwerken des 20. Jahrhunderts zu gehören, war aber offenbar so einschüchternd, dass es seitdem international nicht zu sehr vielen Neuproduktionen kam (zu einer gerade mal zweistelligen Anzahl). Als Eröffnungspremiere der Münchner Opernfestspiele erinnerte diese vielleicht beste Schrekeroper jetzt daran, dass sich das konservative dortige Musikpublikum im Nationaltheater schwertut mit den nicht ganz das Kernrepertoire respräsentierenden Komponistennamen. Strauss – um in der Generation zu bleiben – ist hier ein hochgeschätzter einheimischer Zauberer; Schreker dagegen ein ungeläufiger Exot.

Gelang es nicht doch, bei diesem festlich-sommerlichen Anlass das bajuwarische Publikum für die klang-erotischen Finessen des Wiener Klimt- und Schiele-Zeitgenossen zu gewinnen und womöglich ein wenig süchtig zu machen? Man muss da leichte Skepsis anmelden. Musikalisch war die fiebrige Ansteckung mit der wollüstigen, raffinementgesättigten, oft auch von melodischem Schwung und eingängig-aparter Leitmotivik getragenen Partitur wohl nicht auszuschließen. Auch das Aufgebot an Stimmen war stattlich.

Nennen wir nur das dunkle Baritonorgan des Herzogs Adorno (Tomasz Konieczny), den geschmeidigeren Wohllaut des Grafen Tamare (Christopher Maltman) oder die sopraneske Wucht der intonationsmäßig freilich etwas unbedenklichen Carlotta (Catherine Naglestad) – Riesenstimmen für ein Riesenhaus und deshalb genau richtig eingesetzt. Das gilt umso mehr für die Hauptfigur, den unglücklichen Alviano, den der Charaktertenor John Daszak mit Verve imaginierte. Ein Schwacher, ein Unangepasster – seine Partie verläuft in den expressivsten, exponiertesten Intensitätskurven, und so war es legitim, dass der Vortrag auch von Merkmalen der äußersten Anspannung und Anstrengung gekennzeichnet war – alles andere wäre fad gewesen.

Chöre und Kinderchöre (Sören Eckhoff, Stellario Fagone) agierten prächtig, und auch das Orchester unter der Leitung von Ingo Metzmacher hatte imponierendes Format. Metzmacher ist ja fast ein Spezialist des deutschen Repertoires zwischen Spätromantik und Moderne geworden. Bei seinen „Gezeichneten“ fällt eine etwas „meistersingerhafte“ Gedrungenheit, Geradlinigkeit auf, eine Freude am kompakten, auch transparenten Klang, der weniger die flirrende, die feingliedrig einzelne Klangquellen verdeckende Typik des Schreker-Klangs mit ihrem unheimlichen Fächer von Valeurs hervorhebt.

So weit, so gut. Was indes die Visualisierung betrifft, sind Einwände zu machen. Dem polnischen Szeniker Krzysztof Warlikowski, der in München schon etwas so Komplexes wie „Die Frau ohne Schatten“ inszenierte, lag natürlich nicht an der Rekonstruktion eines (vermeintlichen) Renaissancestoffes, aber auch eine die Nervenpunkte des 20. Jahrhunderts treffende Erzählung à la Neuenfels wollte ihm nicht gelingen. Einige Neuenfels-Zitate (große Zweierszene am Tisch, auch der wie in der Frankfurter „Aida“ bühnenfüllend gespiegelte Zuschauerraum) wirkten aus zweiter Hand.

Schlimmer aber die geradezu anfängerhafte Überflutung der Szene mit Bildmotiven aller Art, darunter enigmatische Spiele mit Tiermasken (verblüffend auch bei überlebensgroßen Projektionen), androgyn durchmustertem ballettösen Schnickschnack und einschlägigen Fragmenten alter Horrorfilme (Video: Denis Guéguin). So aufwendig sich auch das Bühnenbild gerierte (Malgorzata Szczesniak), so wenig war es dazu angetan, das Durcheinander von Auftritten und die oft nichtssagenden Zusatzbilder in hereingefahrenen Kästen oder Vitrinen sinnvoll zu beleben und zu ordnen. Die Münchner Ressourcen mögen zu Materialschlachten verleiten; selten erlebte man derlei aber so wahl- und geistlos wie hier.

Schade um die Dynamik, ja die hintergründige Essenz des Stückes, wovon immerhin vokal etwas spürbar wurde, kaum im Spiel. Alviano, der sowohl an Macht wie in der Liebe Scheiternde, kenntlich als Selbstporträt des Opernautors, auch als Hinweis auf sein Judentum (die inszenatorischen Anspielungen darauf: ganz hilflos). Der Kernsatz „Die Schönheit sei Beute des Starken“ zeigte sich hernach als prophetische Chiffre für die Ästhetisierung der Gewalt bei Hitler (die Auftrittsmusik des Herzogs: purer Faschismus). Er nahm dafür nicht zuletzt auch die Oper in Dienst. Wenn auch beileibe nicht diejenige Schrekers.

Bayerische Staatsoper München:
4., 7., 11. Juli. www.staatsoper.de

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