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Durch Räume und Zeiten

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Puppen und Menschen, Annette Dasch und Rachael Wilson (r.).
Puppen und Menschen, Annette Dasch und Rachael Wilson (r.). © Wilfried Hösl

Großes Stück, groß interpretiert: Carl Maria von Webers "Oberon" zu den Münchner Opernfestspielen.

Warum, zum Teufel, soll man bei „Oberon“ immer die herrliche Musik „retten“ wollen! Mit dieser Haltung gehen seit knapp 200 Jahren Rezeptionsgeschichte die meisten Aufführenden an Carl Maria von Webers letztes, großangelegtes Bühnenwerk heran. Heraus kamen dann oft halbherzig-halbszenische Wiedergaben, die dann mal wieder sozusagen ganz für die Katz’ waren.

Die Münchner Opernfestspiele machten es (im schmucken Prinzregententheater) nun ganz anders. Das Stück, immerhin ein weimarisch-klassisches Wieland-Sujet mit einigen Shakespeare-Spritzern, wurde ernst genommen und liebevoll über dreieinhalb Stunden mit vielen Dialogen ausgebreitet. Das Prädikat einer liebevollen Personenregie und belebter feindrastischer Komik war dabei noch wesentlicher als die Tatsache, dass der Puppenmeister Nikolaus Habjan Regie führte und die Objekte seiner Profession, lebensgroß und noch größer, in Jakob Brossmanns praktikabel die Szenenwechsel markierenden Bühnenbildern zu zünftiger Wirkung brachte.

Ende nicht so gut, alles nicht so gut

Ohne freilich die lebendigen Akteure auch nur einen Moment zu vergessen. Ein Werk, das als ein scheinbares mixtum compositum aus „Zauberflöte“, „Entführung aus dem Serail“ und sogar „Parsifal“ (der Held, von orientalischen Odalisken umringt) schwer dramaturgische Eigenfarbe gewinnt, wurde dabei zu einer abenteuerlich-welttheatralischen tour d’horizon durch Abend- und Morgenländer.

Und durch die Zeiten. Durchaus befremdlich versetzt Habjan die Rahmenhandlung, die hier immer präsent bleibt, aus der Götter- und Elfensphäre Oberons in eine technologisch gepanzerte Wissenschaftsburg heutiger Weißkittel. Klar, heute sind die Physiker und Konsorten die allgemein bewunderten Metaphysiker des entzauberten Lebens. Sie sind es, die in ihrer religiösen Ranking-Wut zu Prüfungen und aberwitzigen Kontrollmaßnahmen schreiten und damit jedermann tyrannisieren. Etwa das (nah an die Konstellation der „Entführung“ herankommende) Doppelpaar Hüon/Rezia und Fatime/Scherasmin, das sie, um das Forschungsprojekt „Treue bis zum Tod“ zu testen, durch Märchen-Orient, Schiffbruch und Sklaverei jagen. Solch sturer Wissenschaftseifer ist human nicht zu rechtfertigen, und so erweisen die gebeutelten Akteure im szenographisch weidlich gebrochenen, ja kaputtgedroschenen Finale den Übermächten der Oberonsphäre eine durch Gehorsams- und Dankbarkeitsverweigerung bittere Niederlage. Ende nicht so gut, alles nicht so gut. Prüfungsmärchen dieser Provenienz sind offenbar nur durch Demolierung zu retten.

Durchweg gelungen die Gratwanderung zwischen naiver Romantik, Ironie, Sachlichkeit und karikierender Übertreibung. Zu heftiger Komödiantik verstand sich vor allem das Hauptpaar – die machtvolle Rezia-Statur von Annette Dasch (mit technisch gut kontrolliertem, in ihrer berühmtesten Arie „Ozean, du Ungeheuer“ aber nur einen schmalen Expressivitätsradius ausfahrenden Sopran) und der fast einen Kopf kleinere Hüon von Brenden Gunnell. Da lagen beim Liebesgetändel die witzigen Pointen nahe. Die Hüon-Partie ist überdies etwas geradezu Einmaliges: ein lyrischer Enkel Taminos; ein Über-Max, der Solitär eines „deutschen“ italienischen Tenors. Gunnell füllte dieses Format prächtig aus.

Das Dienerpaar (Rachael Wilson, Johannes Kammler) brauchte daneben nicht zu chargieren und konnte sich seinen Belcanto-Qualitäten widmen. Julian Prégardien verlieh mit seinen jetzt etwas schwereren Tenor dem Oberon autoritative Würde, die den Hüon-Artikulationen nicht in die Quere kam. Die akademische Partnerin und Konkurrentin Titania wurde von Alyona Abramowa streng und harsch dargestellt; die Textverständlichkeit der Sprechstimme war gleich Null.
Ivor Bolton hat schon des öfteren bei älteren Opernpartituren Feinfühligkeit und Sinn für historische Aufführungspraxis gezeigt. Das geschah auch wieder bei „Oberon“, der damit nicht, wie üblich, aus der Perspektive Wagners entwickelt wurde.

Habjan und Bolton nehmen sich Zeit für Weber

Bereits die Ouvertüre (nach einem als Prolog dienenden Chorstück intoniert) war nicht von vor-berlioz’scher Bravour geprägt, sondern hatte, einschließlich ur-romantischer Ingredienzien wie Hornruf und Holzbläser-Elfenspukgirlande, eine warm timbriert kammermusikalische Faktur. Ausladend dann oft die Chortableaus (Extrachor der Bayerischen Staatsoper), die ins klangmalerisch Naturgewaltige (Finale 1. Akt, orchestrales Gegenstück zur Wolfsschlucht)) oder janitscharenmusikalisch Grelle getriebene Klangexegese des Bayerischen Staatsorchesters.

Das hier begründeterweise nicht so recht affirmative Ende, immer wieder auch durch die Nebenhandlungen der Puppendarsteller verzögert, ist dann auch für den Zuschauer eine Geduldsprobe. Habjan und Bolton nehmen sich Zeit für Weber. Wenn schon „Oberon“, dann muss das genau so sein.

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