Was ist Liebe? Gibt es ewige Treue? Oder ist das alles nur Einbildung? Ein Laborversuch an der Bayerischen Staatsoper, gespickt mit Psychopharmaka, vielen weißen Kitteln, Rollstühlen und überlebensgroßen Puppen soll die Antwort liefern. Nach wenigen Takten wird klar, Nikolaus Habjan hat Carl Maria von Webers Oberon, König der Elfen als Wissenschafts-Satire inszeniert.

Es war der Versuch, dem betagten, viel zu behäbigen Spätwerk neues Leben einzuhauchen. Allzu tief wurde dafür aber nicht in die Trickkiste gegriffen. Habjan schickt in seinem Operndebüt ein paar Statisten, verkleidet als Versuchsleiter, in die Vorhalle des Münchner Prinzregententheaters. Er lässt sie artig Notizen über die wartenden Zuhörer notieren, um schließlich die beiden Hauptdarsteller aus dem Auditorium zu casten. Der Laborraum aus den 50er Jahren wartet schon mit vielen Elektroden und einem blinkenden Großraumcomputer.

„Oh nein, Mitmach-Theater!“ ätzt einer der beiden auf Knopfdruck und entlockt dem Publikum damit ein bemühtes Lächeln. Stets bemüht waren dann auch alle weiteren Versuche, Webers quälendem Stück einen Hauch von Relevanz abzuringen. Die Handlung bleibt gleichwohl trotzdem chaotisch wie sinnfrei.

Oberon hat sich mit Titania verstritten. Der König der Elfen möchte ihr dennoch beweisen, dass es die absolute Treue zwischen Mann und Frau gibt. Er holt sich dafür vier menschliche Probanden und lässt sie mit Hilfe von drei Pucks immer härtere Prüfungen absolvieren, um Liebe und Treue auf die Spur zu kommen – wie bei Shakespeares Midsummer Night‘s Dream. Doch Weber kippt, frei nach dem Motto „Viel hilft viel“, noch eine gute Dosis Entführung aus dem Serail und Zauberflöte mit dazu, und verrührt das mit einer gehörigen Prise Operetten-Feeling.

Huön von Bordeaux und sein treuer Knappe Scherasmin sollen auf Geheiß Karl des Großen Rezia aus dem Palast des Kalifen retten. Das gelingt mit Hilfe eines Zauberhorns, dazwischen ein, zwei Arien, ein paar Sprechpassagen, die Pause, eine Flucht auf dem Boot, Schiffsbruch, ein magischer Zauberkelch, Piraten; Rezia wird nach Tunis entführt, dort wieder gerettet und am Ende landen sie beinahe auf dem Scheiterhaufen. Oberon und die Liebe gewinnen und nach gut drei Stunden weiß wohl keiner im Publikum so richtig welchem Klamauk man da gewahr wurde.

Habjan und seine facettenreichen Inszenierung sollte deswegen aber nicht abgestraft werden. Die Idee, Puppen zu verwenden, um die Parallelwelt zu illustrieren, mag nicht neu sein, aber sie liefert dennoch einen kohärenten und nachvollziehbaren Rahmen für die eklektische Handlung Webers. Tatsächlich waren Manuela Linshalm, Daniel Frantisek Kamen und Sebastian Mock als die drei Pucks mit ihren überlebensgroßen Puppen ein echtes Glanzstück an diesem Abend. Wandelfreudig und mit ausdrucksstarkem Feingefühl für ihr Figurenspiel, versprühten sie galanten Wiener Charme.

Mit gemischten Akzenten spielte dagegen Annette Dasch in der Hauptrolle der Rezia. Schauspielerisch stark und sinnlich, beherrschte sie im entscheidenden Moment Satire und Übertreibung. Auch gab sie sich in den vielen Sprechpassagen extrem wechselfreudig und färbte ihre Stimme später fast mit wagner‘scher Hochdramatik. Ewas mehr Substanz und Kontur hätten ihrem Sopran allerdings nicht geschadet.

Auch Brenden Gunnell als Hüon von Bordeaux wirkte insgesamt eher blass, ein bisschen zu konzentriert und gewollt, auch wenn er die sängerisch anspruchsvolle Rolle schlussendlich gut meisterte. Umso überzeugender war dafür Rachael Wilson als Rezias Zofe Fatime. Von 2013 bis 2015 noch Mitglied des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper, zeigte sie an diesem Abend mit ihrer entzückenden Ariette und klarem, keck timbriertem Mezzosopran, dass sie ihren Platz auf der großen Bühne mehr als nur verdient. In den Duetten mit Johannes Kammler, ebenfalls Mitglied des Opernstudios, und an diesem Abend in der Rolle als Scherasmin mit mächtigem Bariton zu sehen, brillierte die gebürtige US-Amerikanerin. Dagegen kamen stimmlich weder Julian Prégardien als Oberon, noch Alyona Abramowa mit ihrem starken Akzent in der Rolle der Titania an.

Aus dem Orchestergraben tönte derweil ein anderer Rettungsversuch. Ivor Bolton führte das Bayerische Staatsorchester mit viel Mut und offensiven Tönen an, ließ Chor und Solisten dennoch genügend Raum für ihre Partien. Wer allerdings mystische Feenoper und romantische Klänge erwartet hatte, wurde wohl enttäuscht.

Als am Ende Oberon im Drogenrausch am Bühnenrand liegt und die Hauptdarsteller auf elektrischen Stühlen beinahe gegrillt werden, beibt beim Zuschauer nicht nur ein Fragezeichen übrig. Es wäre aber wohl ein Irrweg, hinter Webers letztem Beitrag zur Opernmusik einen tieferen Sinn zu suchen. Dieser Oberon an der Bayerischen Staatsoper ist so, trotz einiger Durchhänger und Zoten, kurzweilig, ja fast erfrischend; auch wenn nicht das volle gesangliche Potenzial des Ensembles ausgereizt wurde.

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