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Münchner Opernfestspiele 2017

24.06.2017 - 31.07.2017

La Favorite

Opéra in vier Akten
Libretto von Alphonse Royer, Gustav Vaëz und Eugène Scribe
Musik von Gaetano Donizetti

in französicher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere im Nationaltheater am 23. Oktober 2016

(rezensierte Aufführung im Rahmen der Münchner Opernfestspiele: 26.07.2017) 

 

 



Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Zwischen den Stühlen von Staat und Kirche

Von Thomas Molke / Fotos von Wilfried Hösl

Nachdem sich Gioachino Rossini Ende der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts von der Opernbühne zurückgezogen hatte und Vincenzo Bellini 1835 unter nie geklärten Umständen gestorben war, beherrschte Gaetano Donizetti als meistgespielter Opernkomponist die Bühnen in ganz Europa. Dabei bewies er mit seinen über 70 Opern in rund 25 Schaffensjahren eine enorme Produktivität, die bei dem teilweise vom französischen Publikum als Vielschreiber belächelten Komponisten eine schnelle Arbeitsweise abverlangte. Als er im September 1840 den Auftrag bekam, in weniger als zwei Monaten ein Werk für die Opéra de Paris zu komponieren, fiel die Wahl nicht ganz uneigennützig auf La Favorite. Im Vorjahr hatte er eine Oper unter dem Titel L'ange de Nisida komponiert, die allerdings nicht zur Aufführung gekommen war. Für La Favorite arbeitete er das ursprünglich auf drei Akte angelegte Werk einfach um. Den vierten Akt soll er dann in knapp vier Stunden vollendet, die große Kavatine des Fernand und Teile des Duetts zwischen Fernand und Léonor sogar erst bei den Endproben eingefügt haben. Das Endergebnis avancierte zu einer der erfolgreichsten Opern ihrer Zeit, die bis 1904 allein an der Pariser Opéra 650 Mal auf dem Spielplan stand, und 1912 als eine der ersten Opern überhaupt auf Schallplatte aufgenommen wurde. Selbst der junge Richard Wagner profitierte, wenn auch nicht aus freien Stücken, vom Ruhm dieses Werkes, da ihn die Anfertigung sechs verschiedener Transkriptionen immerhin ein kleines Einkommen in finanziell schwierigen Zeiten einbrachte.

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Balthazar (Mika Kares) ist nicht begeistert davon, dass sein Schützling Fernand das Kloster wegen Léonor (Elīna Garanča) verlassen will.

Die Oper handelt von einer kastilischen Adeligen des 14. Jahrhunderts, Leonor de Guzmán (Léonor), die jahrelang die Mätresse des Königs von Kastilien, Alfons XI (Alphonse XI), war. Während der reale König allerdings seine rechtmäßige Gattin, Maria von Portugal, wirklich verließ, mit Leonor zusammenlebte und insgesamt sogar zehn Kinder zeugte, bevor sich die gedemütigte Ehefrau des Königs nach seinem Tod an der Geliebten rächte und sie hinrichten ließ, verhindert in der Oper Balthazar, der Prior des Klosters in Santiago de Compostela, dass der König seine Ehefrau zugunsten der Favoritin verlässt, indem er ihm mit Exkommunikation droht. Da kommt dem König der junge und unbedarfte Fernand gerade recht. Dieser hatte sich ursprünglich als Novize für das Klosterleben entschieden, war jedoch am Weihwasserbecken Léonor begegnet und hatte sich unsterblich in sie verliebt, so dass er das Kloster verließ und auf Bitten Léonors für den König in den Krieg gegen die Mauren zog. Nach seiner siegreichen Rückkehr sieht der König die Chance, dem Ausschluss aus der Kirche zu entgehen, indem er den erfolgreichen Soldaten zunächst in den Adelsstand erhebt und ihm dann auch noch Léonor zur Frau gibt. Léonor will Fernand vor der Hochzeit mittels ihrer Vertrauten Inès über ihre Vergangenheit als königliche Mätresse aufklären, um ihn dann entscheiden zu lassen, ob er sie trotz dieses Makels noch lieben kann. Doch Inès wird auf dem Weg zu Fernand verhaftet. So erfährt Fernand erst nach der Hochzeit durch den Spott der Hofleute, wen er geheiratet hat, stößt Léonor verletzt von sich, fordert vom König Satisfaktion und begibt sich unter dem Schutz seines ehemaligen Mentors Balthazar zurück ins Kloster. Nachdem er die Weihen zum Priester empfangen hat, kommt es zu einer letzten Aussprache mit Léonor, in der sie ihn von ihren wahren Gefühlen überzeugen kann. Doch für eine gemeinsame Zukunft ist es nun zu spät. Léonor stirbt in Fernands Armen.

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Léonor (Elīna Garanča) zwischen Fernand (Matthew Polenzani, links) und dem König Alphonse XI (Mariusz Kwiecień, rechts)

Das Regie-Team um Amélie Niermeyer verzichtet auf eine zeitliche Einordnung der Geschichte und wählt einen abstrakten Ansatz mit modernen Kostümen. Das Bühnenbild von Alexander Müller-Elmau besteht aus hohen verschiebbaren grauen Kästen, die mit einer speziellen Ausleuchtung beeindruckende Räume schaffen. In dem mittleren Kasten befindet sich ein Statist als gekreuzigter Jesus, der immer dann zu sehen ist, wenn die Szene in Santiago de Compostela spielt oder die Kirche den König in seine Schranken weist. Die anderen Kästen sind im ersten Akt mit zahlreichen Madonnen-Figuren gefüllt, womit angedeutet wird, was Fernand in Léonor sieht und wieso er den Entschluss fasst, das Kloster zu verlassen. Wenn er im vierten Akt reumütig zurückkehrt, ist nur eine von diesen Figuren geblieben, die in ihrem schwarzen Kleid an Léonor erinnert und zeigt, dass er sich immer noch nicht wirklich von dieser Frau losgesagt hat. Im Herrschaftsbereich des Königs dienen diese Kästen lediglich als Wände, die den Raum einschließen und durch die Verschiebung bisweilen eine bedrohliche Enge erzeugen können. Unklar bleibt nur, was die zahlreichen Stühle im ersten bis dritten Akt auf der Bühne sollen. Zwar ermöglichen sie dem Chor in Standbildern die jeweilige Haltung des Hofes, Volkes oder der Priester zu den einzelnen Figuren auszudrücken, meistens stehen sie jedoch eher im Weg. Vielleicht sollen sie auch verdeutlichen, dass weder Léonor noch Fernand oder Alphonse ihren wirklichen Platz gefunden haben und gewissermaßen "zwischen den Stühlen" von Staat und Kirche sitzen.

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Eklat nach der Hochzeit. Léonor (Elīna Garanča) wird von den Höflingen (Chor) verhöhnt und von Fernand (Matthew Polenzani, rechts) verachtet.

Die modernen Kostüme von Kirsten Dephoff setzen vor allem farbliche Akzente. So fällt die Favoritin in ihrem leuchtend roten Mantel zwischen den in Schwarz gehaltenen Priestern im ersten Akt und den in königlichem Blau gekleideten Höflingen des Königs als Außenseiter sofort auf. Auch in der Mimik machen die Höflinge deutlich, dass sie das Liebesspiel des Königs, den Niermeyer als selbstverliebten Macho inszeniert, mit Léonor mehr als ablehnen. Erst wenn Alphonse beschließt, seine Mätresse Fernand zur Frau zu geben, legt sie den roten Mantel ab und hat einen kurzen Moment der Hoffnung, nun endlich in die Gesellschaft integriert zu werden. Doch das schwarze Hochzeitskleid, in dem sie dann zum Altar schreitet, macht deutlich, dass diese Hoffnung trügerisch ist. Wenn Fernand von ihrer Vergangenheit erfährt und sie entsetzt von sich weist, legt sie das schwarze Kleid ab und wirkt in ihrem hellen Untergewand absolut verletzlich. Bei ihrem Auftritt im Kloster im vierten Akt trägt sie einen schwarzen Anzug und hat eine nicht näher erläuterte Kopfverletzung, die anscheinend der Grund für ihren bevorstehenden Tod ist. Die Bühne ist nun mit zahlreichen weißen Lilien übersät, mit denen der Chor Léonor am Ende des dritten Aktes beworfen hat. Inmitten kleiner Lichter, die die Priester am Ende der Szene auf der jetzt weiten Bühne verteilen, stirbt Léonor nach der Versöhnung mit Fernand.

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Letzte Aussprache zwischen Fernand (Matthew Polenzani) und Léonor (Elīna Garanča)

Auf das für die Grand opéra obligatorische Ballett im zweiten Akt verzichtet Niermeyer in ihrer Inszenierung und nutzt die Ballettmusik, um das Verhältnis zwischen dem König und Léonor zu durchleuchten. Die Festlichkeiten, die der König nach seinem Sieg über die Mauren vorbereitet hat, und die er mit Léonor genießen will, wirken wie eine Art Kinofilm. Alphonse setzt sich mit der etwas gelangweilten Léonor auf zwei Stühle und schaut dabei ins Publikum, während flirrendes Licht andeutet, dass sie einen Film sehen. Und wie es im Kino bei manchen Pärchen so üblich ist, hat der König zwischendurch kein Interesse am Film, sondern will mit seiner Geliebten Zärtlichkeiten austauschen, die dabei durchaus auch unter die Gürtellinie gehen. Léonor fügt sich widerwillig, macht aber deutlich, dass sie aus diesem Leben gerne ausbrechen möchte. Wenn sie Inès den Auftrag erteilt, kurz vor der Hochzeit Fernand über ihre Vergangenheit zu informieren, befindet sich die Vertraute in einem der Kästen, so dass schon klar wird, dass sie den Bräutigam nicht rechtzeitig erreichen kann. Wieso Don Gaspar jedoch in einem anderen Kasten steht, wenn er Inès verhaftet, erschließt sich nicht wirklich.

Musikalisch ist die Produktion hochkarätig besetzt. Elīna Garanča glänzt darstellerisch und stimmlich in der Titelpartie mit samtig weichem Mezzosopran und großartigen dramatischen Ausbrüchen. Bei ihrem bewegenden Spiel nimmt man ihr in jedem Moment die innere Zerrissenheit der Léonor ab, die ihrem Leben als Mätresse am liebsten entfliehen möchte, aber nicht sicher ist, dass der träumerische Fernand die Kraft besitzt, mit ihrer Vergangenheit fertig zu werden. Besonders deutlich wird dies in ihrer großen Arie im dritten Akt "O mon Fernand!", in der Garanča mit dramatischen Spitzentönen und leidenschaftlichem Spiel begeistert. Bewegend gestaltet sie auch den Niedergang Léonors nach der Hochzeit, wenn sie von allen verhöhnt wird. Im vierten Akt findet sie dann zu enormer Größe, wenn sie sich kurz vor ihrem Tod mit Fernand aussöhnt und verhindert, dass er erneut das Kloster ihretwegen verlässt, auch wenn man sich nicht sicher ist, dass Fernand ihrem letzten Wunsch am Ende Folge leistet und nicht stattdessen für eine Wiedervereinigung im Tod Selbstmord begehen wird. Matthew Polenzani stattet die Partie des Fernand mit strahlendem Tenor aus, der in den Höhen enorme Durchschlagskraft besitzt, ohne dabei zu forcieren. Seine große Arie am Ende des ersten Aktes, "Oui, ta voix m'inspire", in der er seiner Zuversicht für eine glückliche Zukunft mit Léonor freien Lauf lässt, avanciert zu einem Glanzpunkt des Abends. Gleiches gilt für die große Enttäuschung, die in seiner Arie "Ange si pur, que dans un songe" im vierten Akt zum Ausdruck kommt.

Mariusz Kwiecień begeistert als König Alphonse XI mit machohaftem Spiel und markantem, kräftigem Bariton. Während er in seiner Kavatine "Léonor, viens, j'abandonne Dieu" noch fast wie ein verliebter Schuljunge daherkommt, gelingt ihm ein glaubhafter Wechsel zum kalkulierenden Machtmenschen, der letztendlich nicht nur bereit ist, seine Geliebte für seinen Frieden mit der Kirche zu opfern, sondern sie und seinen erfolgreichen Feldherrn auch noch vor dem ganzen Hof lächerlich macht. Mika Kares verleiht dem Prior Balthazar mit dunklem Bass enorme Autorität und zeichnet ihn absolut herz- und gefühllos. Elsa Benoit lässt als Inès mit strahlendem Sopran aufhorchen, und Joshua Owen Mills mimt den Fiesling Don Gaspar mit hellem, ein wenig schneidendem Tenor. Der von Sören Eckhoff einstudierte Chor präsentiert sich stimmgewaltig. Karel Mark Chichon rundet mit dem Bayerischen Staatsorchester diesen Belcanto-Abend beherzt ab, so dass es für alle Beteiligten am Ende großen Beifall gibt.

FAZIT

Dem Regie-Team um Amélie Niermeyer gelingt eine überzeugende Umsetzung der Geschichte. Elīna Garanča kann als Idealbesetzung für die Titelpartie bezeichnet werden.

Zur Premieren-Rezension

Weitere Rezensionen zu den Münchner Opernfestspielen 2017

 


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Karel Mark Chichon

Inszenierung
Amélie Niermeyer

Bühne
Alexander Müller-Elmau

Kostüme
Kirsten Dephoff

Licht
Michael Bauer

Choreographische Mitarbeit
Ramses Sigl

Chor
Sören Eckhoff

Dramaturgie
Rainer Karlitschek
 

Chor der Bayerischen Staatsoper

Bayerisches Staatsorchester

Statisterie der Bayerischen Staatsoper


Solisten

Léonor de Guzman
Elīna Garanča

Fernand
Matthew Polenzani

Alphonse XI
Mariusz Kwiecień

Balthasar
Mika Kares

Don Gaspar
Joshua Owen Mills

Inès
Elsa Benoit

 


Weitere
Informationen

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Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



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