Festspiele: Oper „Wozzeck“ bejubelt

Mit großem Jubel ist Dienstagabend im Haus für Mozart die nächste Opernpremiere der Salzburger Festspiele zu Ende gegangen. Der Südafrikaner William Kentridge macht aus Alban Bergs „Wozzeck“ ein düsteres Gesamtkunstwerk.

Kentridge setzt in seiner Inszenierung auf Endzeitvisionen. Seine Ausstattung ist geprägt von Kohlezeichnungen, die auf den Ersten Weltkrieg Bezug nehmen. In dieser bedrückenden Atmosphäre entwickelt das Drama um den Soldaten Wozzeck, seine untreue Gefährtin Marie und sein Kind einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

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Erster Gaskrieg der Geschichte

Der Südafrikaner Kentridge, dessen Ausstellung im Salzburger Museum der Moderne man sich ebenfalls nicht entgehen lassen sollte, hat ein klares Konzept für den Abend: Er liest Büchners „Woyzeck“ aus 1837, das von Alban Berg 1914 kurz vor Kriegsausbruch in Wien gesehen wurde, als bedrückende Vorahnung kommender Menschheitstragödien, und findet in Bergs 1917 begonnener Oper die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs gespiegelt.

Kentridges Kohlezeichnungen und kurze Filme, von Bühnenbildnerin Sabine Theunissen und Video-Designerin Catherine Mayburgh zu einer atmosphärisch dichten Ausstattung komponiert, nehmen unentwegt Motive des Ersten Weltkriegs auf: verwüstete Schlachtfelder, leere Ruinenlandschaften, Gasmasken, Tote, einmal eine Landkarte rund um Ypern, dem Schauplatz des ersten Gaskriegs der Geschichte. In diesem Ambiente sind die Sinne geschärft, man hört Anspielungen auf künftige KZ-Öfen und kann nicht umhin, in den Experimenten, die Wozzeck über sich ergehen lassen muss, spätere menschenverachtende Versuche von NS-Ärzten angekündigt zu sehen.

Schönheit von Berg Partitur

Hier sind „Die letzten Tage der Menschheit“ angebrochen, und es ist das Verdienst von Vladimir Jurowski, dass man dies in jeder der 90 Minuten nicht nur sieht, sondern auch hört. Die Wiener Philharmoniker verleihen der Schroffheit wie der Schönheit von Bergs Partitur Ausdruck. Diese Musik ist elementar. Sie zeigt die Welt zerrissen zwischen bedrohlichen Dissonanzen, martialischen Machtdemonstrationen und schlichter Sehnsucht. Sie findet eine Sprache dafür, welche Ängste die Menschen vor hundert Jahren beherrscht haben, und was uns heute wieder schlaflose Nächte bereitet.

In diesem tobenden Chaos des Leids und des Schreckens entfaltet sich ein stilles Drama, das in dem ganzen Gewimmel aus Zeichen und Zeichnungen mitunter unterzugehen droht. Man würde dem rechtschaffen seinen Sold für Frau und Kind zur Seite legenden und sich als menschliches Versuchskaninchen ein Zubrot verdienenden Soldaten Wozzeck sein kleines privates Glück von Herzen gönnen: Bariton Matthias Goerne, 2014 auch zentral an der phänomenalen „Winterreise“ von Kentridge und Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser beteiligt, legt die Titelfigur inmitten grell und expressiv gestalteter Nebenfiguren äußerst schlicht an, weder sängerisch noch darstellerisch drängt er sich in den Vordergrund. Doch in den zentralen Passagen beweist er unheimliche Präsenz.

Bewusster Seitensprung einer Selbstbewussten

Deutlich mehr Hang zur Selbstdarstellung hat die Marie der nicht nur in den Höhen überzeugenden litauischen Sopranistin Asmik Grigorian, die schon 2014 im Theater an der Wien in der Tschaikowski-Oper „Charodeyka“ begeisterte und nun ihr umjubeltes Salzburger Festspieldebüt gibt. Sie ist eine selbstbewusste junge Frau, die sich zum Seitensprung mit dem prahlerischen Tambourmajor (solide: John Daszak) bewusst entscheidet.

Die Mord-Szene gelingt Kentridge atemberaubend und exemplarisch, und auch bei der Untersuchung des Doktors (dämonisch: Jens Larsen), die in einem Kleiderkasten gespielt wird, entsteht jene Intimität, die dem Abend manchmal abgeht. In den Wirtshausszenen ist die Ablenkung von den wesentlichen Momenten manchmal groß, und auf die eine oder andere Filmsequenz, die immer wieder in Abwechslung zu den raumfüllenden Projektionen über eine kleine Leinwand flimmern, ließe sich zugunsten einer größeren Fokussierung vielleicht verzichten. Insgesamt ist dieser „Wozzeck“ jedoch eine außergewöhnliche Opernproduktion, die sich tief ins Gedächtnis schreibt.

Dazu trägt auch das beeindruckende Schlussbild bei: Nach einem fulminanten Orchester-Epilog, bei dem die Philharmoniker noch einmal alle Register ziehen, bleibt die Puppe alleine mit ihrem Steckenpferd zurück. Von den anderen Kindern hört sie, dass die Leiche ihrer Mutter gefunden wurde. Dass auch ihr Vater tot ist, weiß sie noch nicht. Doch sie ahnt, dass das Leben wohl nicht viel Schönes für sie bereithalten wird.

Wolfgang Huber-Lang, APA

Weitere Aufführungen:

14., 17., 24. und 27.8., Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski, Regie: William Kentridge, Bühne: Sabine Theunissen. Es musizieren die Wiener Philharmoniker und die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor sowie der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor. In den Hauptrollen: Matthias Goerne (Wozzeck), Gerhard Siegel (Hauptmann), Jens Larsen (Doktor), Asmik Grigorian (Marie).

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