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Plácido Domingo: Zu jung für die Rolle

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Im vierten Frühling: Plácido Domingo nimmt im Großen Festspielhaus die Ovationen entgegen.
Im vierten Frühling: Plácido Domingo nimmt im Großen Festspielhaus die Ovationen entgegen. © Foto: Marco Borrelli/ Salzburger Festspiele

Mit dem Dogen Francesco in Verdis „I due Foscari“ hat Plácido Domingo die perfekte Altersrolle gefunden. Bei den Salzburger Festspielen präsentiert er sich im dritten bis vierten Frühling.

Salzburg - Dass ihm dies noch einmal passiert, jetzt, im Karriereherbst - oder muss man sagen: im dritten bis vierten Frühling? Plácido Domingo ist jedenfalls zu jung für die Rolle. Francesco Foscari, historisch verbürgter und scheiternder Doge von Venedig, der seinen in Ungnade gefallenen Sohn verbannen muss und sich von der Familienzerstörung nicht mehr erholt, ist zum Zeitpunkt des Ablebens 84. Damit läge Domingo, so sagen es zumindest die offiziellen Angaben, acht Jahre darunter. Doch es kommt noch besser. Rein vokal gesehen müssen sogar ein paar Lenze mehr abgerechnet werden, denn der Superstar hat in Giuseppe Verdis „I due Foscari“ tatsächlich eine späte Lebensrolle gefunden. Nicht nur stimmlich: Ein Mann, der Macht und Rampenlicht gewöhnt ist, dem aber Kraft und Einfluss schwinden, der sich dagegen einschüchternd aufbäumt, um dann doch anderen Platz machen zu müssen, das lässt auch Biografisches mitschwingen – und Domingo hat die Größe, es zuzulassen.

In den vergangenen Sommern war konzertante Oper in Salzburg fast eine Verlegenheitslösung: die Chance, ohne szenische Anstrengung und mit minimalem Probenaufwand größtmögliche Summen in die Kassen zu spülen. Heuer gibt es nur mehr zwei Projekte, Donizettis „Lucrezia Borgia“ Ende August und eben „I due Foscari“. Der Abend setzt für Domingo eine längere Reihe fort. Den Francesco hat er in Los Angeles, in London sowie an der Scala szenisch gedeutet. Schon in Mailand dirigierte Michele Mariotti. Und wie nun auch in Salzburg der 38-jährige Maestro, der Italianità so stilsicher erspürt, so vielschichtig und fesselnd umsetzt und gewiss bald in der Liga Muti/Pappano spielen wird, mit dem Elder Statesman interagiert, das ist einer der Glücksfälle dieses Festspielsommers, auch dank des reaktionsstarken Salzburger Mozarteumorchesters.

Mit Bronzestimme und verführerischer Kraft

Endlich ist es egal, dass sich ein tiefer gelegter Tenorissimo „nur“ mit einer Baritonpartie bescheidet. Es passt sogar, weil es hier weniger um verschiedene Fächer, sondern um verschiedene Generationen geht. Dieser Francesco erscheint wie die ältere Ausgabe seines ebenso unglückseligen Sohnes Jacopo, der von Joseph Calleja gesungen wird. Während Domingo noch einmal die verführerische Kraft seiner Bronzestimme vorführt, seinen dramatischen Instinkt und seine Figur auf berührende Weise zwischen Manneskraft und Gebrochenheit schillern lässt, gibt Calleja den Fels in der Brandung.

Fast amüsant: Der Senior spielt den Kollegen trotz konzertanter Situation immer wieder an, fordert Reaktionen heraus, doch Calleja konzentriert sich fast ausschließlich auf die Noten vor ihm. An Biegsamkeit und Eleganz hat sein Tenor etwas eingebüßt, es gibt auch nervöse Momente. Callejas klare Tongebung, der Charme seines hellen Timbres, das schnelle Vibrato, das Bemühen um Legato-Kultur, die unverschleierte Textarbeit, all das verlebendigt die Partie aber auch ohne gestisches Beiwerk. Sopranistin Guanqun Yu als Jacopo-Gattin Lucrezia hat es gegen die starken Kerle, zu denen auch Roberto Tagliavini als Widersacher Loredano gehört, etwas schwer. Alle Töne sind da, alles weitgehend tadellos, doch das Spiel mit Farben und Schattierungen kommt bei der Chinesin zu kurz. Eine der nihilistischsten, handlungsärmsten Opern Verdis ist dies, und sie steuert auf den Weltabschiedsmonolog des alten Dogen zu. Wie Plácido Domingo dabei noch einmal Ressourcen bündelt zum erschütternden, noch immer virilen Psychogramm, reißt das Publikum von den Sitzen. Wer dabei innerlich Abschied nimmt vom Giga-Star, ist schiefgewickelt. Dem Mann ist noch einiges zuzutrauen.

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