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Der zeitlose Zauber großen Musiktheaters

FESTSPIELE / ARIODANTE

17/08/17 Die schon zu Pfingsten gefeierte Produktion von Georg Friedrich Händels Dramma per musica „Ariodante“ wurde am Mittwoch (16.8.) im Haus für Mozart wieder aufgenommen. Und wieder gab es großen Jubel für einen lustvollen und besinnlichen Theaterabend, wie er sein soll.

Von Gottfried Franz Kasparek

Die Oper nach einer Episode aus Ariosts „Orlando furioso“ zählt zu Händels innovativsten Werken. Was da 1735 in London das Bühnenlicht erblickte, ist ein wahres Meisterstück, in dem die Barockoper zur Klassik, ja zur Romantik hin geöffnet wird. Keine bloße Arienparade ist dies mehr, sondern wirkliches Musikdrama, aufgelockert mit Balletteinlagen, mit viel Aktion in den Rezitativen, mit einem veritablen Gottesgericht auf offener Szene, Duetten und Schlusschor. Von „Don Giovanni“ bis „Lohengrin“ reichen die Assoziationen. Die alte Geschichte von der zu Unrecht der Untreue bezichtigten schottischen Prinzessin Ginevra wird samt ein wenig ambivalentem „lieto fine“ mit Bravour erzählt – sollte die Textfassung wirklich von Händel „himself“ stammen, hat sich der alte Meister als wesentlicher Vorgänger Richard Wagners betätigt. Und es ist keine Frage, dass in all den brillanten Koloraturarien echtes Gefühl pulsiert, dass im relativ großen Orchester verblüffende, mitunter gar impressionistische Farben auftauchen und dass dieses Spiel von Liebe, Ehrgeiz, Wahrheit und Eifersucht im Grunde ein zeitloses Panorama menschlicher Emotionen ist.

Die grandiose Performerin Cecilia Bartoli ist die Initiatorin und selbstredend der Star dieser Aufführung. Regisseur Christof Loy spielt perfekt und voll Geist und Witz mit den Geschlechterrollen, denn die Bartoli verkörpert ja den Ritter Ariodante, der gerüstet erscheint und sich im Verlauf des bei aller Länge kurzweiligen Abends in ein androgynes, aber doch sehr feminines Wesen verwandelt. Und wie sie das mit pummeliger Burschikosität und reifem Sex appeal darstellt, und wie sie das mit höchster Virtuosität singt, etwa in ihrer ersten großen Arie, in der die Trunkenheit aus Liebe zu realer Trunkenheit führt und darüber die Koloraturen ein mitreißendes Psychogramm zeichnen! Tatsächlich lugt da Virginia Woolfs „Orlando“ heftig um die Ecke und am Ende raucht sich Ariodante gar eine sehr männliche Siegeszigarre an - nur angedeutet, aber wirkungsvoll.

Ein Abend ist dies, an dem gelacht werden darf, obwohl sich zwischendurch Abgründe auftun. Theater zum Lachen und zum Weinen sozusagen. Aufregend, wie sehr Sängerinnen und Sänger von heute mit intensivem Körpereinsatz agieren können. Bewundernswert, wie Christof Loy barocke Versatzstücke zu wunderschönen lebenden Bildern formt, ehe die Personen ihre Perücken verlieren und zu Menschen von heute werden.

Johannes Leiacker hat einen weißen Festsaal auf die Bühne gebaut, der sich nach hinten immer wieder öffnet, zu zauberhaft altmeisterlichen, idealen Landschaftsbildern, aber auch zu einer archaischen Ziegelmauer. Ursula Renzenbrinks kleidsame Kostüme passen punktgenau, wie auch Roland Edrichs atmosphärisches Lichtdesign und die liebevoll parodistische Barockchoreographie von Andreas Heise.Die achtköpfige Tanzgruppe besteht, man glaubt es kaum in den Paarszenen, aus jungen Männern. Händels Ballettmusik entpuppt sich als eine vergnügliche Aneinanderreihung von wahren Ohrwürmern – sogar Operette und Musical scharren da schon in den Startlöchern. Eine Wunderküche des modernen Musiktheaters!

Sie ist der emotionale Mittelpunkt: Kathryn Lewek, eine verzaubernde Singschauspielerin mit Zaubersopran als Ginevra. Sie hat die gefühlvollsten Arien zu singen, voll stiller Größe und brodelnder Leidenschaft, voll Lust und Schmerz. Und sie beherrscht gleichrangig neben der Bartoli die Bühne. Nicht bloß als koloraturgewandte und lyrisch ergreifende Sängerin, sondern ebenso als nicht ganz unwilliges Männeropfer in einer Traumsequenz. Wobei die Regie auch in betont erotischen Szenen nie die Grenzen zum allzu Derben überschreitet.

Der Bösewicht, der ihre Verführung in der Nacht nach der Verlobung Ariodante vortäuscht, der um den Thron betrogene Herzog von Albany, ist beim famosen Countertenor Christophe Dumaux in besten Händen und in der besten, durchaus männlich wirkenden Kehle. Dieser Bösewicht ist ein smarter Kerl, dem man glaubt, dass die Hofdame Dalinda ihm erliegt und das Spiel der Täuschung mitspielt. Sandrine Piau ist als diese verzweifelt Liebe suchende Frau zart, fast zerbrechlich, farbenreich in der hellen Stimme.

Nach dem Zweikampftod des Herzogs – großartig altmodisch in Rüstung und mit Schwert! – findet sie ja ihr Glück beim Sieger, bei Ariodantes Bruder Lurcanio. Als dieser hat Rolando Villazón immer noch sein verführerisch bronzenes Tenortimbre, teilt sich seine stimmlichen Kräfte gut ein, bemüht sich um barocke Kunstfertigkeit und passt gut als sensibler und wagemutiger junger Edelmann. Sein beseeltes Belcanto-Duett mit Dalinda gehört zu den Höhepunkten des Abends.

Den König von Schottland gibt Nathan Berg mit Würde und Charakterbass. Im Leid wirkt er wie ein milderer König Lear und überhaupt schwebt ja auch der Geist Shakespeares über dieser Oper. Dann gibt es noch Kristofer Lundin als Stichwortbringer Odoardo. Ein guter Bekannter vom Landestheater mit schönem Tenor. Das Schlusswort aber hat der wie immer berückende Salzburger Bachchor, stilgetreu einstudiert von Alois Glaßner. Am Pult des neuen, von der Bartoli gegründeten und mit Animo aufspielenden Originalklang-Orchesters „Les Musiciens de Prince – Monaco“ waltet Gianluca Capuano mit viel Liebe zum Detail, einigem Schwung und mitunter fast bis zum äußersten gespannten „Currentzis-Tempi“ im Leisen und Lyrischen. Am Ende gab es allgemeine Festlichkeit, obwohl im letzten Bild zwar niemand sterben muss, aber doch der Gefühlshaushalt der Überlebende etwas durchwachsen gezeigt wird. Ein gutes Ende, aber eines mit Schatten.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli (2); Monika Rittershaus (3)

 

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