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Hans Werner Henze. Foto: Hufner
Hans Werner Henze. Foto: Hufner
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Spitzendeckchen und Fremdenhass – Henzes „Der junge Lord“ an der Staatsoper Hannover

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Unvergessen sind die Zeiten der 50er und 60er Jahre, in denen Hans Werner Henze (1926-2012) von vielen gar nicht ernst genommen wurde, weil er jeglicher Art von Moderne, besonders der Darmstädter Schule mit ihrer geradezu orthodox vertretenen seriellen und elektronischen Musik angeekelt den Rücken kehrte, sozusagen ein Apostel des Wohllauts wurde. Gleichwohl hat er die Zwölftontechnik Arnold Schönbergs sorgfältig studiert und begreift sich (auch) in deren Nachfolge.

Heute hat man anerkannt, dass es neben der seriellen Musik zahllose stilistische Lösungen gab, die zum Teil auch als Protest zu verstehen waren. Von daher ist es mehr als interessant, sich eine frühe Oper von Henze wieder anzusehen, hatte er doch 1963 gesagt: „Alles bewegt sich auf das Theater hin und kommt von dort zurück“. Und seine Affinität zum Vokalen - „Singen, das ist die Manifestation des Lebens schlechthin“ – machte ihn zum genuinen Musikdramatiker des späten 20. Jahrhunderts. Nun also an der Staatsoper Hannover die sechste Oper des damals 38-Jährigen, „Der junge Lord“, im Jahrzehnt nach der Uraufführung an der Deutschen Oper Berlin die meist gespielte zeitgenössische Oper: die Aufführung wurde mit unbeschreiblichem Jubel aufgenommen.

1964 ist die „komische Oper“ entstanden, nach einem Libretto von Ingeborg Bachmann auf eine Parabel von Wilhelm Hauff: die BürgerInnen von Hülsdorf-Gotha mit den schönen Namen Hufnagel, Hasentreffer, von Mucker und Grünwiesel müssen erkennen, dass sie mit dem Besuch des fremden englischen Gentleman Sir Edgar einem dressierten Affen gehuldigt haben. Nach anfänglicher Atmosphäre der Ablehnung, die in eine regelrechte Progromstimmung kippt – „Schande“! schmieren die Bürger an das Haus des Engländers –, kippt die Stimmung abermals, dann in eine kritiklose Zustimmung. Der Affe mischt die biedermeierliche Gesellschaft von 1830 kräftig auf, findet nicht wenige Nachahmer und verwirrt vor allem die junge Luise, die nicht mehr weiß, wo ihr der Kopf steht, ist sie doch mit dem eher spießigen Wilhelm verlobt.

Der Regisseur Bernd Mottl hat unter wohltuendem Verzicht auf naheliegende Aktualisierungen den ganzen Anfang karikatural angelegt, was zum Teil viel zu künstlich und immer gleich affektiert wirkte, um auch als Sehnsucht nach einer anderen Welt verstanden zu werden. Der zweite Teil hingegen gelingt grandios: Purzelbaumschlagend mit Sonnenbrille, Michael-Jackson-Frisur und goldenem Anzug tobt Sung-Keon Park fabelhaft singend in Hülsdorf-Gotha. Niemand kann sich seinem Zauber und seiner Verrücktheit entziehen. Die Differenzierungen bei den BürgerInnen – ein Sonderlob dem Chor – gewinnen an Deutlichkeit, die dem Zuschauer nicht selten den Kloß im Hals spüren lässt und gleichzeitig dem Genre „komische Oper“ höchst unterhaltsam gerecht wird. Hierzu zählt auch die gelungene Komik des Auftrittes der Gaukler, die Sir Edgar in sein Haus einlädt, während er allen anderen provozierende Absagen erteilt („Das ist ein Affront!“ schreien sie). Großes Vokaltheater: Rebecca Davis als verzweifelte Luise, Julie Marie Sundal als karikaturale Baronin, und Simon Bode als braver Wilhelm.

Freilich schleppt die Musik von Henze die ganze Tradition der Musikgeschichte mit – auch ironisch –, aber sie ist ungheuer fein und gekonnt gemacht: Groß sind die Arien, und besonders brillant die Ensembles. Mark Rohde hatte das alles stets vorwärtstreibend und oft grell schärfend im Griff. Das Bühnenbild (Friedrich Eggert) kommt mit der Eingangstür von Sir Edgars Haus aus und spielt mit vormärzlichen Spitzendeckchen und den symbolischen Farben schwarz-weiß. Eine Produktion, die viel Spaß macht und nicht nur das Nachdenken über kollektive Intoleranz, sondern auch das über die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts anregt.

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