Es fällt der Tod krachend dem Tod zum Opfer

In György Ligetis Oper «Le Grand Macabre» erscheint das Absurde als eine ins Extreme verzerrte Groteske. Herbert Fritsch kostet das in seiner glänzenden Inszenierung im Theater Luzern voll aus.

Peter Hagmann, Luzern
Drucken
Ob sie den Weltuntergang überlebt haben? Hubert Wild (Fürst Go-Go) und Vuyani Mlinde (Astradamors) in György Ligetis Oper «Le Grand Macabre». (Bild: Ingo Höhn)

Ob sie den Weltuntergang überlebt haben? Hubert Wild (Fürst Go-Go) und Vuyani Mlinde (Astradamors) in György Ligetis Oper «Le Grand Macabre». (Bild: Ingo Höhn)

Dafür ist er genau der Richtige. Den «Freischütz» Carl Maria von Webers hat der Schauspieler und Regisseur Herbert Fritsch vor Jahresfrist im Opernhaus Zürich ziemlich malträtiert. Aber bei «Le Grand Macabre», der Anti-Anti-Oper von György Ligeti, konnte er sein Temperament nach Massen und mit Gewinn ausleben. Zwar geriet auch hier, in dieser grossartigen Produktion, die das Luzerner Theater in Zusammenarbeit mit dem Lucerne Festival gestemmt hat, das Werk bisweilen unter die Räder des szenischen Eifers.

Wenn sich zu Beginn des dritten Bilds zwei Minister (Remy Burnens, Bernt Ola Volungholen) mit einem Alphabet an Schimpfwörtern eindecken, wird so viel Akrobatik und musikalischer Druck eingesetzt, dass die Verständlichkeit leidet und der Witz der Szene dahin ist. Der Blick auf die Übertitelung hilft dabei wenig, denn auf die Projektion des Textes wurde verzichtet zugunsten pleonastisch wirkender Zusammenfassungen des Bühnengeschehens.

Ein Zeitstück als Harlekinade

In solchen Momenten verselbständigt sich die interpretatorische Idee zulasten des Interpretierten – doch vom Ansatz her passt der Zugang Fritschs haargenau auf die Vorlage. Ligetis kraftvoll aufbegehrende Oper von 1977, die 1996 eine Revision erfahren hat, ist mit ihren Anspielungen an einen unaufhaltsamen Aufstieg, an den Holocaust und den Kalten Krieg zweifellos ein Zeitstück, dies aber im Gewand einer deftigen Harlekinade. Anders als in dem der Oper zugrunde liegenden Schauspiel von Michel Ghelderode aus dem Jahr 1934 erscheint das Absurde nicht als das auf den Kopf gestellte Normale, sondern als eine in ihre Extreme verzerrte Groteske.

Fritsch nimmt das lustvoll auf. Er macht «Le Grand Macabre» zu einer knallbunten, lauten Clownerie, und er wird dabei von Clemens Heil, dem Musikdirektor des Luzerner Theaters, entschieden unterstützt. Das grosse Schlagwerk, das die Autohupen- und Türklingel-Vorspiele ausgezeichnet meistert, ist zusammen mit den Tasteninstrumenten auf der Bühne verteilt, die Trompeten von Jericho dröhnen vom Balkon herunter, und im Graben legt sich das Luzerner Sinfonieorchester mit muskulöser Brillanz ins Zeug.

Wie stets bei Fritsch lebt die vom Regisseur selbst entworfene Bühne von Hochglanz und drastischer Farbwirkung. Schwarz der leicht ansteigende Boden, der in seiner Mitte eine schmale, rot schimmernde Öffnung aufweist. Dort liegt das Grab, in dem das unersättliche Liebespaar Amanda (Magdalena Risberg) und Amando (Karin Torbjörnsdottir) sein Wesen treibt. Dahinter (und vor den Instrumentalisten) eine wachsende Anzahl farbenfroher, komfortabel ausstaffierter Särge, in die sich das Ensemble zum Schluss verzieht. Und davor die Spielfläche, auf der die mit festem Strich charakterisierenden Kostüme von Bettina Helmi, aber auch die weiss geschminkten Gesichter mit ihren dicken, grellroten Lippen dominieren.

Was das Ensemble – der Begriff ist wörtlich zu nehmen, entstammen doch fast alle Darsteller dem Hausensemble des Luzerner Theaters – in diesem szenischen Ambiente bietet, stellt gesanglich wie darstellerisch eine stupende Leistung dar. Dass sich der Abend in seinem zweiten Teil etwas in die Länge zieht, ist weniger der Produktion als dem Stück anzulasten, das im vierten und letzten Bild auf etwas verschlungenen Pfaden zum Tod des Todes findet.

Die andere Königin der Nacht

Bald nach Beginn des Abends schlägt die Stunde von Claudio Otelli, der als Nekrotzar, als der feuerrot gewandete Sensemann mit seinem gewaltigen Bariton und seinem vielsagenden Mienenspiel das Geschehen dominiert. Rasch hat er sich Piet vom Fass, den Robert Maszl mit bewundernswerter Agilität verkörpert, zum dienenden Kumpanen gemacht, und so zieht er los mit seinen entsetzlichen Prophezeiungen vom Ende der Welt insgesamt. Nach dem folgenreichen Besuch bei der Domina Mescalina (Sarah Alexandra Hudarew) und ihrem nicht immer willigen Opfer Astradamors (Vuyani Mlinde) zieht er sich für eine Weile zurück, denn nach der Pause gehört das Feld dem degenerierten Fürsten Go-Go, dem der Schauspieler, Bariton und Countertenor Hubert Wild sein sagenhaftes Können leiht.

Die Fratzen, die er schneidet, laufen bald einmal ins Leere, aber die ebenso verständliche wie unverständliche Ansprache, die er an sein Volk richtet, an den hervorragenden, von Mark Daver geleiteten Chor des Hauses, die hat es in sich. Dero Gnaden sehnen sich nach Fressen und Saufen, sehen sich aber alsbald gestört durch den Geheimdienstchef Gepopo, der Fürchterliches kommen sieht. Wie die Sopranistin Diana Schnürpel den exorbitanten Auftritt dieser anderen Königin der Nacht hinlegt, setzt dem Abend das Glanzlicht auf.

Beispielhaft zeugt die Produktion von der Qualität des kleinen Luzerner Mehrspartenhauses, dem Benedikt von Peter als wirbliger Intendant ganz eigene Vitalität verleiht. Aus dem Nichts kommt solches Niveau nicht – daran erinnerte der schockierende Unterbruch der Premiere, mit dem das Theater zusammen mit den Luzerner Kulturschaffenden gegen drohenden Raubbau protestiert hat.