Eine dichte Parabel über Leid, Tod und Erlösung

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Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ – entstanden im Jahr 1840 – reiht die Musikwissenschaft gern in die Kategorie „romantische Oper“ ein. Das ist angesichts der Entstehungszeit und des vordergründigen Sujets durchaus nachvollziehbar: die Geschichte des Seemanns, der zu ewiger Seefahrt verdammt ist, bis ihn die selbstlose Liebe einer Frau erlöst. Naturgewalten, geheimnisvolle Transzendenz und Eros bilden eine für die Romantik typische Melange. Schaut man jedoch genauer hin, und Regisseur Dietrich W. Hilsdorf hat das offensichtlich getan, so trägt diese Oper wesentlich existenziellere, über das rein Romantische hinausgehende Züge und verweist auf die letzten Werke Wagners, vor allem den „Parsifal“.

Astrid Weber (Senta) und der Chor des Staatstheaters

Am Beispiel des Holländers zeigt Wagner  das ewige Leid des Menschen – hier nicht ein legendäres Individuum, sondern die Gattung – und die Sehnsucht nach Erlösung. Seit Bestehen des gesellschaftlichen Bewusstseins existiert auch das Leiden an Not und Tod und die Hoffnung auf eine wie auch immer geartete Erlösung von der ewigen Wiederkehr des Kampfs ums Überleben. Die Religionen singen ein Lied davon, und ihre monotheistischen Varianten haben das Paar aus Leid und Erlösung konsequent transzendiert. Dass der Eros eng mit dem Tod liiert ist, wusste schon die Antike, und so nimmt es nicht Wunder, dass sich die irdische Liebe in den Sehnsüchten der Menschen schließlich zum Opfer transformiert und damit selbst transzendiert. Die Parallele zur christlichen Religion ist verblüffend: wie Jesus die Menschen durch den Tod am Kreuz von ihren Sünden befreit, erlöst Senta den Holländer durch ihren freiwilligen Tod („Treue bis in den Tod!“) von dem Fluch des ewigen Herumziehens.

Die Erkenntnis dieser existenziellen Aussage hat Hilsdorf in seiner Inszenierung konsequent umgesetzt. Eine wichtige Entscheidung bestand dabei in einer Verdichtung der Oper mit dem Verzicht auf eine Pause. Damit bleibt der Spannungsbogen von Anfang bis Ende erhalten und wird nicht von Pausengesprächen über Kinder und Hobbies unterbrochen. Das zweite wichtige Element für die transzendente Wirkung dieser Inszenierung war die Wahl des richtigen Bühnenbildes. Auch hier besteht die  Versuchung, durch realistisch-romantische Bilder von Seefahrt und Sturm das Konkrete des novellenartigen Einzelfalls zu betonen. Hilsdorf und Bühnenbildner Dieter Richter erlagen dieser Versuchung nicht und beschränkten sich in den entscheidenden Szenen auf eher symbolische Bilder einer hoch aufschießenden Woge, die auch ein Breughel gemalt haben könnte. Diese Woge steht weniger für konkrete Seenot als für das Unwägbare, Leid Bringende der menschlichen Existenz. Lediglich bei den Innenszenen macht das Bühnenbild ein Zugeständnis an die Erwartungshaltung des Publikums, indem es die Innenansicht eines großbürgerlichen Hauses aus dem 19. Jahrhundert zeigt. Doch die lichte Höhe dieses Innenraums verweigert die Denunziation eines beschränkten Horizonts der Protagonisten und verortet sie dagegen in einer nach oben offenen Welt, die Transzendenz und Erlösung ermöglicht. Und die Szenen mit den Hausmädchen am Spinnrad geraten bei Hilsdorf nicht zur sozialen Anklage der Unterdrückung sondern wirken geradezu heiter – im Kontrast zu Sentas Erlösungsphantasien.

Krzysztof Szumanski (Holländer) und der Chor

Doch ganz löst sich Hilsdorf nicht von der konkreten Vorlage des Librettos. Er verortet die Handlung durchaus in einem Seefahrer-Milieu mit Männern im Lederzeug, die an der Ankertrosse ziehen. In gewisser Weise muss er den entsprechenden Texten Tribut zollen und tut dies offensichtlich auch gerne. Denn derart kontextbezogene Szenen auf einer puristisch leere Bühne zu verorten, wäre wohl der Abstraktion zuviel gewesen. Die Mannschaft des Geisterschiffes lässt er mit kalkweißen Gesichtern und in zerrissenen Lumpen auftreten, ein guter Kontrast zu den ansonsten lebensnahen Kostümen.

Die Handlung läuft in einer verdichteten Folge dramatischer Szenen ab, unter Verzicht auf überflüssige Details. Tempo und Dichte sind alles, und die einzelnen Szenen gehen fast nahtlos ineinander über, wobei die Drehbühne behilflich ist. Der Chor spielt bei dieser Verdichtung eine wesentliche Rolle und sorgt an entscheidenden Stellen für zusätzliche Spannung, wenn er als Mannschaft des Schiffes an Bord oder beim Feiern – „Steuermann, lass die Wacht!“ – oder als Gesinde des Dalandschen Haushalts auftritt. Eine geschickte Personenregie sorgt für stete Bewegung auf der Bühne, und die durchkomponierte Texte kommen trotz ihrer anspruchsvollen musikalischen Struktur fast wie die Dialoge eines Kriminalschauspiels daher. Hilsdorf schafft das Kunststück, das Drama um Erlösung und Tod tatsächlich als spannende Geschichte zu erzählen, ohne dabei den künstlerischen Anspruch zu senken oder gar aufzugeben.

Krzysztof Szumanski und Seokhoon Moon (Daland)

Dabei helfen ihm die Darsteller durch eine konzentrierte und eindrucksvolle Leistung. Krzysztof Szumanski verleiht dem Holländer mit seinem voluminösem Bariton die Kraft der Verzweiflung und beherrscht durch seine Präsenz in vielen Szenen die Bühne. Astrid Weber spielt als Gastsängerin eine selbstbewusste Senta und bewegt sich in den Schlüsselszenen auf Augenhöhe mit Szumanski. In allen Lagen überzeugt sie durch eine klare, unangestrengte Sopranstimme. Seokhoon Moon ist als Daland mit hoher Stirn und grauem Haarkranz kaum wiederzuerkennen und steigert sich nach einem etwas zu verhaltenem Beginn sowohl sängerisch als auch darstellerisch von Szene zu Szene. Er verkörpert den von Wagner verachteten Geldmenschen auf treffende Weise, ohne diese Figur deswegen zu denunzieren. Marco Jentzsch verleiht dem zurückgewiesenen Verlobten Erik Züge des verzweifelten Aufruhrs, die nahe an die Tätlichkeit gehen, und lässt den Zuschauer die wütende Enttäuschung des verlassenen Geliebten fast physisch spüren. Elisabeth Hornung singt die Amme Mary als mahnende reife Frau, und Michael Pegher gibt einen von Schiff, Kapitän und Mannschaft hin und her geworfenen Steuermann. Als zusätzliche Figur hat sich die Regie den bösen Engel Samiel ausgedacht, der als zweigesichtiger Hermaphrodit mit unübersehbar doppelten Geschlechtsmerkmalen auftritt. Michaela Süß bewältigt diese stumme und etwas undankbare Rolle mit Haltung.

Ensemble

Der Musik des Orchesters unter der Leitung von Will Humburg sei ein besonderes Kompliment ausgesprochen. Von Beginn an verzichtet Humburg auf jeglichen „romantischen“ Zusatz, wenn man darunter Eingängigkeit und Liedhaftigkeit versteht. Schon die Ouvertüre besticht durch die teilweise schroffen Kontraste, mit denen Humburg das Grundthema der Oper markiert. Jeder Einsatz der Hörner ist dabei als Fanal für das Leid des ewigen Fluchs und jeder Aufschwung der Streicher als Sehnsucht nach Erlösung zu verstehen. Da bleibt kein Platz für „schöne“ romantische Tonfolgen. Diesen Duktus behält Humburg bis zum Schluss durch, und zusammen mit dem kompromisslosen Spiel der Darsteller auf der Bühne ergibt sich ein in seiner Konsequenz geradezu beängstigendes Musikdrama, das zwar in Erlösung mündet, aber auf Kosten des Lebens. Senta endet ihr Leben ausgerechnet mit dem Gewehr ihres verflossenen Geliebten Erik, wobei dieser sein Eingreifen allerdings ziemlich lange verzögern muss, um den Freitod zu ermöglichen. Vielleicht die einzige Szene mit einem gewissen Glaubwürdigkeitsproblem. Symbolträchtig ist diese Szene dennoch.

Das Premierenpublikum zeigte sich einhellig begeistert von diesem Saisonauftakt und spendete lang anhaltenden Beifall.

Frank Raudszus

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