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Staatsoper Hamburg: "Parsifal" einmal ganz bunt

Foto: Markus Scholz/ dpa

Premiere an der Staatsoper Hamburg Passt schon, Parsifal!

Wie man Wagners "Parsifal" locker nimmt, zeigt Regie-Veteran Achim Freyer an der Staatsoper Hamburg: bunte Lichter, Totenköpfe und salopper Ideenklau bei Kollegen. Nur Dirigent Kent Nagano erweist sich als Spaßmuffel.

Das Licht! Von Beginn an ließ Regie-Altmeister Achim Freyer keinen Zweifel daran, dass ihm die bildhafte Verbindung von Erleuchtung und Erlösung in seiner neuen Hamburger "Parsifal"-Inszenierung extrem wichtig war - mehr als rein inhaltliche Ausdeutung.

Der Publikumsraum blieb zum Vorspiel erst mal hell, langsam verdunkelte sich die Sicht auf das Tableau von Richard Wagners "Bühnenweihfestspiel", dessen werkgerechte Aufführung der eigentliche Zweck des ganzen Bayreuth-Unternehmens war. Von Kunst zu Religion.

Und der "reine Tor" Parsifal als Inkarnation von Wagners Kunst: Dessen Weg zu Wissen und Wahrheit muss man bei aller seiner philosophischen Wucht heute wohl mit einigen Körnchen Ironie-Salz nehmen. Was Achim Freyer dann auch tat.

Schlichte, zupackende Bilder

Nicht ohne Respekt. Die Bühne - schließlich ist Freyer auch ein erfolgreicher Bildender Künstler und Schüler von Bertolt Brecht - hat der Regisseur gleich mit konzipiert, wie auch Licht und Kostüme. Er baute einen großen, halb gerundeten Raum, der bis an die Bühnendecke reichte. In dessen Etagengängen gaben sich die Gralsritter, der verwundete Amfortas, der böse Zauberer Klingsors und Retter Parsifal die Klinke in die Hand, das Weltenrund eben, zu dem alle gehören.

So kann alles bildlich binden, was zusammengehört. Und niemand kann daraus wirklich entfliehen: eines der schlichten, aber zupackenden Bilder, die Freyer für seinen "Parsifal" erdachte.

Vor dieser Bühne spannte sich eine Gaze-Wand, die Raum für Projektionen bot. Mal Wassergewalle, mal Kernbegriffe der Inszenierung. "Gnade", "Mitleid", "Schmerz" - für alle Fälle, damit niemand im Publikum den Anschluss verlöre. Ein Hauch von Volkshochschule wehte durch die Staatsoper, aber auch die Art von Humor, die Achim Freyer für die Konterkarierung der Weiheveranstaltung, Marke Wagner, vorgesehen hatte.

Der alle verbindende Gral: ein Licht, mehr nicht. Und von diesem Gral trägt jeder Ritter einen Teil mit sich, ein schlichtes, aber schlüssiges Bild. Diese Macht der schlichten Bilder kultivierte Achim Freyer bereits in seiner legendären Hamburger Inszenierung von Helmut Lachenmanns epochaler Oper "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" , die dem Haus an der Dammtorstraße 1997 einen bescheidenen Skandal bescherte.

Ein Licht, mehr nicht

Für die Klammerung von Respekt und Distanz ließ Freyer seine Protagonisten im Regen der Regie-Disziplin stehen, buchstäblich. Den mächtigen Ritter Gurnemanz, wichtiger Erklärer und Zeremonienmeister jeder "Parsifal"-Inszenierung, platzierte Achim Freyer meist sängerfreundlich und friedlich im vorderen Bühnenraum oder an der Rampe stehend, was dem großartigen Bass- und Bayreuth-Erfahrenen Kwangchul Youn bestens gefiel: Seine mächtige und tiefgründige Stimme füllte und formte die Rolle in Vollendung.

Andreas Schagers Parsifal, mit einem schwarz-weißen Harlekin-Kostüm (ein "Narr" halt, zunächst!), schwarz-weiß geschminkt als Früh-Punk, musste sich tenoral mächtig aufpumpen, um gegen diesen Fels zu bestehen - was ihm im Laufe der Inszenierung immer besser gelang. Volle Punktzahl.

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Staatsoper Hamburg: "Parsifal" einmal ganz bunt

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Durch diese Statik der Personenregie bekam man auch ausreichend Gelegenheit, das verschrobene Outfit der zunächst bösen Zauberin und Intrigantin Kundry zu bewundern. Von Kopf bis Fuß mit wuchernden Glitter-Dreadlocks über ihrem schwarzen Gewand behaftet, wirkte sie beim sängerischen Herumstehen stets wie ein glamouröser Gothic-Baumstumpf, verschmolz auf diese Weise aber bestens mit der Schwarzkittel-Versammlung der Rittersleut, deren Totenkopf-Gesichtsbemalung ebenfalls noch ein paar weitere Punkte auf der nach oben offenen Freyer-Skala der Ironie anzeigten. Dazu passte in seiner optischen Schrillness auch das Blumenmädchen-Ensemble, das Achim Freyer als B-Movie-Truppe aus einer Bunny-Ranch ausstaffiert hatte, Russ-Meyer-Busenträume inklusive.

Glitter-Dreadlocks und Gothic-Ritter

Wären da nicht die fortwährenden Licht-Einfälle gewesen, man hätte depressiv werden können. Aber der weite Gaze-Raum brachte nicht nur Begriffe, sondern auch reinigende Wasseranmutungen - und damit immer neue Suggestionen. Das Schwert, das die Wunde des todkranken Amfortas schließen soll, ist ein Lichtschwert, die Star-Wars-Fans kennen und lieben das: Es schwebt als Damokles-Waffe über der Szenerie, denn auch der neue, "reine" König Parsifal, zu dem er am Ende gekrönt wird, ist nicht für alle Zukunft sicher.

Das Krönchen aber, das der Ironiker Achim Freyer seiner Inszenierung als Insider-Joke aufsetzt, sind Zitate - von geklaut mag man bei der Offensichtlichkeit nicht reden - von illustren Kollegen, die sich ebenfalls dem Parsifal gewidmet hatten. So steht der Harlekin-Tor im plakativen Handzeichen-Modus auf der Bühne herum (die letzte Hamburger Inszenierung von Robert Wilson lässt grüßen), da marschiert das legendäre Schlingensief-Häschen über die Bretter (Bayreuth 2004) und am Ende malträtiert Freyer das grandiose Spiegel-Schlussbild von Stefan Herheims überragender Bayreuther Parsifal-Version 2008.

Das allerdings so kasperhaft vergrützt, dass einen der Witz schon wieder nervt. Klar, Spaß muss sein, aber warum dann "Parsifal"? Passt schon, möchte man sagen. Der Weihe ist genug getan, nun muss das Leben weitergehen. Oder so ähnlich.

Wiedersehen mit dem Schlingensief-Häschen

Irgendwie schien auch Maestro Kent Nagano im Orchestergraben diese Welle von Witz einen Tick zu weit gegangen zu sein, denn sein bis zum Exzess dezentes Dirigat grenzte stellenweise an Dienst nach Vorschrift, was für die Sänger und die Inszenierung letztlich eine höchst diplomatische Lösung war.

Er begleitet den vor Intensität berstenden Klingsor des vitalen Vladimir Baykov mit Kraft und Fülle, flankierte die etwas kehlig-kalte aber intensive Kundry von Claudia Mahnke gewissenhaft und ließ dem Leiden von Wolfgang Kochs zuverlässigem Amfortas alle Ausdruckskraft. Der Chor, von Bayreuth-Meister Eberhard Friedrich gewohnt perfekt geführt, konnte in jeder Phase begeistern, ein ungeheurer Aktivposten im Hamburger Opernhaus.

Manchmal, vor allem im zweiten Aufzug der grell-traurigen Klingsor-Welt, ließ Nagano es mehr blühen, wobei auch das perfekt eingestimmte und hochmotivierte Orchester noch besser aufschimmerte: Glanz bis ins letzte Details, ein großer Abend in Sound und Dichte.

Langweilig wurde es jedenfalls nie, auch wenn Achim Freyers altersmilde, fröhlich-freundliche Weiheveranstaltung ein wenig zu sehr dem Lächeln frönte: Dem Premierenpublikum gefiel es. Es feierte Ensemble und Solisten, wie auch die Musiker. Beifall kann nicht ironisch sein, aber hier hätte man sich dieses "Parsifal"-Wunder gewünscht.

Nächste Aufführung: 24.09.2017

Hinweis: Wir haben den Vornamen des Komponisten Lachenmann korrigiert.