Triptychon mit Barbier: Drei Perspektiven auf «Figaro» in Genf

Das Grand Théâtre de Genève zeigt gleich alle drei Opern, die nach Beaumarchais' «Figaro»-Trilogie entstanden sind. Neben den Klassikern von Rossini und Mozart ist Elena Langers «Figaro Gets a Divorce» eine Entdeckung.

Peter Hagmann, Genf
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Funktioniert seit 231 Jahren: Der Page Cherubino belauscht hinterm Sessel den Schürzenjäger Almaviva in flagranti mit Susanna (Bild: Grand Théâtre de Genève)

Funktioniert seit 231 Jahren: Der Page Cherubino belauscht hinterm Sessel den Schürzenjäger Almaviva in flagranti mit Susanna (Bild: Grand Théâtre de Genève)

«Figaro qua, Figaro là», das ist bekannt. Wer genau dieser Schlaumeier sei, Kammerdiener oder doch eher Friseur oder gar etwas ganz anderes – dem wollte der britische Opernregisseur David Pountney einmal auf den Grund gehen. Er hat bei Pierre-Augustin Caron, später Caron de Beaumarchais nachgefragt, der mit «Le Barbier de Séville ou La précaution inutile» (1775), mit «Le Mariage de Figaro ou La folle journée» (1778) und mit «La Mère coupable» (1792) der von ihm erfundenen Figur in gleich drei Theaterstücken Kontur verliehen hat. Dieser «Figaro»-Trilogie hat sich Pountney verschrieben – und damit begab er sich auf guten Weg, stehen doch mit «Il barbiere di Siviglia» von Gioachino Rossini und «Le nozze di Figaro» von Wolfgang Amadeus Mozarts weltberühmte Vertonungen zur Verfügung.

Nur bei dem dritten Teil der Trilogie wollte es bis dato nicht zu Weltruhm reichen: Weder «La Mère coupable» von Darius Milhaud, 1966 am Genfer Grand Théâtre uraufgeführt, noch John Coriglianos «Ghost of Versailles» von 1991 vermochten zu überzeugen – weshalb Pountney kurzerhand selber zur Tat schritt und ein Libretto entwarf, das neben Beaumarchais' Schauspiel Ödön von Horváths Stück «Figaro lässt sich scheiden» einbezieht. Auf Pountneys Einladung hin brachte die britisch-russische Komponistin Elena Langer dieses Textbuch in Musik, und fertig war sie, die «Figaro»-Trilogie. 2016 ging sie an der von Pountney geleiteten Oper Cardiff in Premiere, jetzt ist sie im koproduzierenden Grand Théâtre de Genève herausgekommen.

Menschlichkeit triumphiert

Drei Abende hintereinander Figaro – das macht Vergnügen. In erster Linie darum, weil das Einzelne aus einem bisher wenig beachteten Ganzen heraus verstanden werden kann. Den Auftakt bildet nicht die älteste der drei Opern, sondern Rossinis «Barbiere» von 1816. Hier ist Figaro noch der Friseur, der von seinem Salon aus die Welt zusammenhält. Und der einem jungen Adligen namens Almaviva hilft, die angebetete Rosina ihrem Vormund Bartolo zu entreissen.

Entstehungsgeschichtlich einen Schritt zurück, inhaltlich aber einige Jahre nach vorn führt die zweite Oper, denn in Mozarts «Figaro» von 1786 sind Almaviva und Rosina ein in die Jahre gekommenes Paar, ist Figaro ihr Kammerdiener und Susanna seine virtuos verteidigte Braut – wobei ans Licht kommt, dass der von Figaro bei Rossini hinters Licht geführte Bartolo in Wirklichkeit sein Vater ist.

Geistreich fortgesetzt wird die Geschichte in «Figaro Gets a Divorce» von Elena Langer. Als Folge der inzwischen ausgebrochenen Revolution sind sie hier alle an ein Ende gelangt: Graf und Gräfin versinken nach letztem Aufbäumen in Altersresignation, Susanna verlässt ihren Figaro und wendet sich für eine folgenreiche Affäre dem vom Grafen ins Feld der Ehre verbannten, nun aber überraschend zurückgekehrten Cherubino zu, während mit Serafin und Angelika ein neues Liebespaar eingeführt wird. Ein Einziger behält durchgehend den Kopf oben: Als gewiefter Strippenzieher bietet Figaro sogar dem mafiösen, schlicht als Major bezeichneten Geheimdienstagenten oder Mafiaboss die Stirn. Und mit ihm triumphiert eine Menschlichkeit, in der die Liebe ein über allem Versagen stehender Wert bleibt.

Witzig sprudelnde Komödie

Die sichtbare Verbindung zwischen den drei Teilen schafft in Genf die szenische Einrichtung; sie stammt von Ralph Koltaï, der britisch-ungarischen Legende des Bühnenbilds, und der Kostümbildnerin Sue Blane. Diskret, aber unübersehbar werden die Linien, die sich durch die Stücke ziehen, in Kostüm und Maske angedeutet. Und in der Anlage gleich bleibt an allen drei Abenden die Bühne in der Genfer Opéra des Nations, dem noch diese Saison bespielten Provisorium des Grand Théâtre: leer, gegliedert durch zwei drehbare Wände, die in der jüngsten Oper von zwei eleganten Tänzerinnen bedient werden und die, hier kompakt, dort transparent, die unterschiedlichsten Raumkonfigurationen schaffen – grandios, welche Vielfalt an Anmutungen aus dieser minimalistischen Grundidee entstehen.

Dramaturgisch konsequent gebaut auch der atmosphärische Verlauf der Trilogie. Der Regisseur Sam Brown zeigt Rossinis «Barbiere» als eine schwungvolle, witzig sprudelnde Komödie, bei der man anhaltend schmunzeln, zwischendurch auch herzlich lachen kann. Für gute Laune sorgt aber vor allem das Orchestre de la Suisse Romande, das mit seinem neuen Chefdirigenten Jonathan Nott – er debütiert mit dieser Produktion in der Genfer Oper – zu prickelnder Energie findet. Als Graf Almaviva brilliert der junge rumänische Tenor Bogdan Mihai mit einer Koloraturensicherheit sondergleichen; was Lena Belkina als Rosina nicht schafft, sie packt eher durch die schlichte Schönheit ihres Timbres. Bruno Taddia ist ein bisweilen etwas dröhnender, aber witziger Figaro, während Bruno de Simone als der argwöhnische Bartolo eine Nummer ganz eigener Art bietet.

Lichtblick und Endzeit

Dieses Niveau hält die Produktion von Mozarts «Figaro» nicht – obwohl Tobias Richter, der in dem von ihm geleiteten Genfer Haus zum ersten Mal als Regisseur erscheint, die Verstrickungen subtil auf die Spitze treibt und zugleich dem Melancholischen sensibel Raum lässt. Sehr schön nützt das Nicole Cabell als eine Gräfin, die nur zu gern auf die puerilen Avancen Cherubinos (Avery Amereau) einginge; Ildebrando D'Arcangelo beschränkt sich dagegen auf den metallenen Ton und viriles Aufbrausen. Ein Lichtblick ist Regula Mühlemann als Susanna, die in Stimme wie Erscheinung entschieden an Format gewonnen hat, während Guido Loconsolo einen aufgeweckten Figaro gibt. Das alles freilich in einer musikalischen Grundanlage, die von dem Dirigenten Marko Letonja in ein erstaunliches Mass an Langeweile gekleidet wird – das Orchestre de la Suisse Romande ist jedenfalls nicht wiederzuerkennen.

Alles zurück auf Anfang? Szene im Barbier-Salon aus «Figaro Gets a Divorce» von Elena Langer. (Bild: Grand Théâtre de Genève)

Alles zurück auf Anfang? Szene im Barbier-Salon aus «Figaro Gets a Divorce» von Elena Langer. (Bild: Grand Théâtre de Genève)

Amüsante Verstrickungen gibt es auch noch bei «Figaro Gets a Divorce», aber hier setzt sich dann doch das Endzeitliche durch. Elena Langer fasst das in eine Musik, die unüberhörbar von heute ist, aber nicht mit Emotionalität und Wohlklang spart – unter der engagierten Leitung von Justin Brown lässt das die Basel Sinfonietta blendend hören. Und in der ebenso souveränen wie feinfühligen Inszenierung von David Pountney sorgt das fabelhafte Ensemble aus Cardiff für spannungsvolle wie für zutiefst berührende, wenn auch nirgends kitschige Momente.